Weder Wellness noch Allheilmittel
Wann Achtsamkeit die falsche Methode ist
Die Wirksamkeit von Achtsamkeitstraining ist unumstritten. Wer Achtsamkeitstraining praktiziert, bekommt mehr Kontrolle über seine Emotionen, ist weniger anfällig für Stress, Depressionen, Angst und Suchtverhalten, schläft besser und auch Vergeltungswünsche werden reduziert.
Die Technik wird nicht nur in Meditationskursen und Yogaschulen gelehrt, sondern auch z.B. in den von Jon Kabat-Zinn entwickelten und international anerkannten Kursen zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR), die von Krankenkassen bezuschusst werden.
Gefahr der sozialen Ruhigstellung
Den Hype, der aktuell um Achtsamkeit gemacht wird, hält Yogalehrer Sven Schneider jedoch für bedenklich. Er sieht darin unter anderem ein Risiko, dass sich Menschen durch Achtsamtkeitstraining sozial ruhig stellen lassen. "Es ist doch nicht richtig, wenn z.B. Unternehmen ihren gestressten Mitarbeitern Achtsamtkeitskurse anbieten, ohne etwas an den Arbeitsbedingungen zu ändern", sagt er. Damit werde dem Individuum die Verantwortung für die stressauslösenden Ursachen übertragen.
Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen es nicht rund läuft, sei die Methode kein Allheilmittel.
"In Beziehungen geht es um ein Wir. Achtsamkeit ist jedoch ganz und gar privat und nach Konzentration die die zweite Stufe der Meditiation", sagt Sven Schneider. "Während sich die Aufmerksamkeit bei der Konzentration auf einen Punkt richtet, richtet sie sich bei der Achtsamkeit auf den gegenwärtigen Moment."
Das eigene Innere ohne Bewertung zu beobachten, ist privat
Dabei gehe es darum, das eigene Innere - Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen - zu beobachten, ohne zu bewerten. Diese Technik des Nicht-Bewertens eigne sich aber nicht für das Leben im Außen. "Wie kann ich zu einer Sache, Situation oder zu einem Menschen ja oder nein sagen, wenn ich nicht bewerte?", fragt Sven Schneider. "Wie soll ich ohne Bewertung Grenzen setzen?"
Spätestens wenn allgemeingültige oder vereinbarte Werte einseitig verletzt werden, wenn Arbeitsverträge, Abmachungen oder Versprechen nicht eingehalten werden, sei das kein Fall mehr für Achtsamkeitstraining, bringt es Sven Schneider auf den Punkt.
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