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Nach dem Olympia-Debakel im Modernen Fünfkampf
Reiten heißt, mit dem Partner Pferd zu arbeiten

Andreas Dibowski auf Corrida: "Die Bilder aus Tokio schaden dem Reitsport" | Foto: cc
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  • Andreas Dibowski auf Corrida: "Die Bilder aus Tokio schaden dem Reitsport"
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(tk). Diese Schläge mit der Springpeitsche wirken bis heute nach: Beim Modernen Fünfkampf bei den Olympischen Spielen hat die deutsche Goldmedaillen-Anwärterin Annika Schleu beim Springen auf das ihr zugeloste Pferd, das verweigerte, eingeschlagen. Ihre Trainerin forderte sie auch noch auf: "Hau richtig drauf." Die Folge: Eine internationale Protestwelle und die lautstarke Forderung, Reiten als Disziplin beim Modernen Fünfkampf zu streichen. Die Landkreise Stade und Harburg sind Pferdeland mit vielen bekannten Akteuren aus der Reiter- und Züchterszene. Wie bewerten sie das Debakel? Andreas Dibowski, dreimaliger Olympia-Teilnehmer und Goldmedaillengewinner 2008 mit der Mannschaft in der Vielseitigkeit, wohnt in Döhle (Kreis Harburg): "Mit Reiten, wir wir das verstehen, hat das nichts zu tun." Gleichwohl bringe es nichts, jetzt nur auf die Sportlerin einzuprügeln. Für den Reitsport seien die Bilder aus Tokio "eine Katastrophe". Eine Einordnung der Geschehnisse, die so von vielen Aktiven der Reiterszene geteilt wird.

Was wichtig zu wissen ist: Reiten im Modernen Fünfkampf hat vom Reglement nichts mit dem zu tun, was auf den Turnierplätzen in der Region zu sehen ist. Egal ob Springen, Vielseitigkeit oder Dressur: Jeder Wettbewerb findet unter den Regularien der Reiterlichen Vereinigung (FN) statt. Zugeloste Pferde, die der Reiter erst 20 Minuten vor dem Wettkampf kennenlernt, sind undenkbar. Reiter und Pferde gehen als Team ins Turnier.

Ebenfalls wichtige Fakten: Beim Springen im Modernen Fünfkampf sind die Hindernisse 1,20 Meter hoch. Der Parcours enthält zwei- und dreifache Kombinationen. Das würde im Springsport unter den Regeln der FN ein Mittelding der Klassen L (Leicht) bis M* (Mittelschwer) sein - also kein Anfänger-Parcours.
"Der Parcours überfordert Athletinnen und Pferde", sagt Andreas Dibowski über die Bilder aus Tokio. Würde jemand, den er ausbilde, so ans Springen herangehen, fände er sich auf dem E-Parcours wieder. Das E steht für Einsteiger.

Svenja Peper-Oestmann auf Disneyworld: "Die Basis beim Reiten ist Vertrauen zwischen Pferd und Reiter" | Foto: privat/Peper
  • Svenja Peper-Oestmann auf Disneyworld: "Die Basis beim Reiten ist Vertrauen zwischen Pferd und Reiter"
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Svenja Peper-Oestmann gehört zu den erfolgreichsten Dressurreiterinnen aus der Region. "Alle, die mit Pferden arbeiten, wissen, dass Vertrauen die Basis ist", sagt die gebürtige Harsefelderin. Der Weg zu reiterlichen Erfolgen dauere Jahre und beinhalte auch Rückschläge. "Nur so werden aus dem Reiter und seinem Pferd Partner." Der Dressurreiterin ist es genauso wichtig wie dem Vielseitigkeitsreiter Dibowski, dass Reiten im Modernen Fünfkampf "nichts mit dem zu tun hat, was wir machen". Die Olympia-Ritte in der Dressur hätten dagegen gezeigt, wie Harmonie in der Dressur aussehe.

Frank Johannsen, Vorsitzender des Reitvereins Estetal mit Mitgliedern aus beiden Landkreisen, kann verstehen, dass Schleus Pferd "Saint Boy" "den Dienst quittiert hat". Der Fehler, das betont er, liegt im System. Egal in welcher reiterlichen Disziplin: "Der pferdegerechte Umgang muss immer im Mittelpunkt stehen." Sollten die Funktionäre des Modernen Fünfkampfs Reiten behalten wollen, gibt es für ihn zwei Möglichkeiten. Der Optimalfall: Die Sportlerinnen und Sportler bringen ihre eigenen Pferde mit. "Dann wäre das Pferd ein Sportpartner der Athleten." Ein Debakel wie jetzt wäre vermeidbar. Oder: Statt Springen wird eine einfache Dressur geritten. "Das wäre für die Pferde auf jeden Fall besser."

Veränderungen im Reglement der Modernen Fünfkämpfer fordert auch Andreas Dibowski. Zudem erinnert er daran, dass die Debatte übers Springen in dieser olympischen Sportart nicht neu ist. Isabell Werth, in Tokio Goldmedaillen-Gewinnerin mit der Mannschaft in der Dressur und Silber im Einzel, hatte nach dem Schleu-Ritt einen Tipp, der sich in der internationalen Presse schnell verbreitet hat: Man sollte den Athleten besser ein Fahrrad oder einen Roller geben. So seien die Pferde nur ein Transportmittel.

Kommentar: Setzt die Funktionäre auf die Pferde

Ich bin kein Mega-Sportfan und am Modernen Fünfkampf hatte ich bislang kein Interesse. Auf dem einen oder anderen Turnierplatz in der Region bin ich dagegen schon gewesen. Man muss nicht alles richtig finden, was die Reiterliche Vereinigung (FN) vorgibt - aber sie verhindert mit ihren Regelwerken Auswüchse wie in Tokio mit dem Spring-Drama um Annika Schleu.

Es ist unpassend, jetzt vor allem auf diese Athletin einzudreschen, die, mit der Goldmedaille vor Augen, falsch reagiert hat. Wer nicht selbst in einer vergleichbaren Situation auf dem Rücken eines Pferdes gesessen hat, sollte sich mit guten Ratschlägen zurückhalten.

Aber: Was mich auf die Palme bringt, sind Reaktionen aus dem Lager der Funktionäre des Modernen Fünfkampfs. Das Springen sei ein Teil des "dramatischen Spektakels" und eine "ultimative Prüfung der moralischen und physischen Qualitäten". Hört sich sehr gestrig an - und ist es auch. Mit pferdegerechtem Reitsport hat diese "Moral" nichts zu tun.

Mein Tipp an die Sportfunktionäre, die alles beim Alten lassen wollen: Nach 20 Minuten Schnellkontakt rauf auf ein nervöses Pferd und den Springparcours selbst absolvieren. Dabei Sporen und Gerte so dosiert einsetzen, wie es pferdegerechtes Reiten verlangt und das Ganze auch noch unverletzt, mit gesundem Pferd, und ohne Abwurf überstehen.
Tom Kreib

Andreas Dibowski auf Corrida: "Die Bilder aus Tokio schaden dem Reitsport" | Foto: cc
Svenja Peper-Oestmann auf Disneyworld: "Die Basis beim Reiten ist Vertrauen zwischen Pferd und Reiter" | Foto: privat/Peper
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Tom Kreib aus Buxtehude

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