Kein Geld für Investitionen und Gammelfleisch
Schwarz Cranz: Das Ende kam nicht überraschend
Wirtschaftliche Schieflage zeichnete sich ab / Noch viele offene Fragen tk. Neu Wulmstorf. Etwas überspitzt formuliert: Die Pastrami mit Pfefferkruste und der mild geräucherte Rohschinken haben dem Neu Wulmstorfer Wurst- und Schinkenproduzenten Schwarz Cranz den letzten Schubs Richtung Abgrund versetzt. Beide Produkte wurden von Aldi Nord beziehungsweise Norma zurückgerufen. Es bestand der Verdacht, dass sie mit Listerien kontaminiert sind. Das war der Anfang vom endgültigen Ende des Traditionsunternehmens, dessen Produktionsstätte vom Insolvenzverwalter stillgelegt wurde (das WOCHENBLATT berichtete).
Gammelfleisch und
fehlende Mittel
Die WOCHENBLATT-Recherche zeigt: Das Ende kam nicht überraschend. Die wirtschaftliche Schieflage hatte sich angekündigt. Und: Nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Insider, die sich mit der Causa Schwarz Cranz samt der Vorgeschichte auskennen, gibt es offene Fragen, die es jetzt aufzuklären gilt. Wem gehört zum Beispiel das Grundstück, auf dem die Firmengebäude stehen? Und: Bereits vor der Übernahme der Geschäftsführung durch den Insolvenzverwalter hatte Schwarz Cranz - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - mit einem Gammelfleischproblem zu kämpfen. Zudem besteht ein Verdacht, dass es Abflüsse liquider Mittel aus dem Unternehmen gegeben haben soll, als sich eine Schieflage bereits angedeutet hat.
Rückblick: Ende vergangener Woche hatte der Insolvenzverwalter Friedrich von Kaltenborn-Stachau mitgeteilt, dass die Betriebsstätte stillgelegt wird. Rund 500 Menschen verlieren dadurch ihren Job in Neu Wulmstorf. Die "Zur Mühlen"-Gruppe" die zum Tönnies-Konzern gehört, will den Standort nicht übernehmen. Die Anfang November geplante Betriebsübergabe war damit gescheitert. "Zur Mühlen" übernimmt nur noch Anlagen und den Markennamen Schwarz Cranz. Wobei das nicht erheblich ist, weil das Neu Wulmstorfer Unternehmen ausschließlich für Discounter und Einzelhandel produziert hatte und über keine eigenen Handelsmarken verfügt. Außerdem bietet "Zur Mühlen" den Schwarz-Cranz-Mitarbeitern neue Jobs an.
Kein Geld für
Investitionen
Der Grund für das Aus: Es liegt nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Insider ein enormer Investitionsstau vor. Der wurde sichtbar, nachdem der Listerienbefall Mitte November nach einer großangelegten Reinigungsaktion unter Kontrolle der Winsener Landkreisbehörden nicht überwunden wurde.
Nach WOCHENBLATT-Informationen sollen die Listerien vermutlich über angeliefertes Fleisch Eingang in den Betrieb gefunden haben. Das Tückische: Über Klima- und Lüftungstechnik haben sie sich schnell verbreitet. Abspülen und desinfizieren reicht nicht, denn Listerien überleben auch im Gulli. Ein Insider nennt die Desinfektion, während der das Unternehmen geschlossen war, eine "Radikalkur". Gleichwohl: Die Eindringlinge, die Krankheiten auslösen können, waren immer noch da. Das haben Untersuchungen nach der Reinigung gezeigt. Das Problem wäre nur mit einer massiven Investition in Maschinen und Gebäudeumbauten lösbar gewesen. Daran hatte die "Zur Mühlen"-Gruppe kein Interesse. Und das Unternehmen Schwarz Cranz verfügte über keinerlei Mittel, mit denen das zu stemmen gewesen wäre. Das, was in der ersten Pressemitteilung des Insolvenzverwalters als "kurzfristiger Liquiditätsengpass" bezeichnet wurde, war ein deutlich größeres Problem. So wurde aus der ursprünglich geplanten Insolvenz in Eigenregie ein reguläres Insolvenzverfahren mit dem Verkauf an "Zur Mühlen" und letztendlich das Aus für immer.
Schwarz Cranz hatte nicht nur mit Kosten durch gestiegene Fleischpreise, einem schwierigen Marktumfeld und zusätzlichen Hygienemaßnahmen durch die Corona-Pandemie zu tun. Das war bislang die offizielle Erklärung für die Schieflage. Im letzten veröffentlichten Konzernabschluss im Bundesanzeiger für das Geschäftsjahr 2018 deuten einige Kennzahlen bereits auf ernsthafte Probleme hin: Der Umsatz sank von 129,3 Millionen Euro im Jahr 2017 um 9,4 Prozent auf 117,1 Millionen Euro. Auch die Aufwendungen für das Personal haben von 2017 auf 2018 von 20,37 auf 17,77 Millionen Euro abgenommen. Zudem zeigt der Abschluss auf, dass es Geldabflüsse in beträchtlicher Höhe gegeben hat. Diese Frage wird im Rahmen des Insolvenzverfahrens untersucht werden. Es soll nach bislang unbestätigten Informationen aber Anzeichen dafür geben, dass die Mittel Richtung der Gesellschafter geflossen sein sollen.
Wem gehört das Grundstück?
Wie es jetzt weitergeht? "Dass ein familiengeführtes Traditionsunternehmen wie Schwarz Cranz verschwindet, hat mich schockiert", sagt Neu Wulmstorfs Bürgermeister Wolf-Egbert Rosenzweig. Gleichzeitig macht er sich Sorgen, dass auf dem Firmengelände eine Industriebrache entstehen könnte. Problem für die Gemeinde: Sie weiß nicht, wer derzeit Eigentümer der Flächen ist. "Das ist im Rathaus nicht bekannt, doch wir versuchen, das herauszubekommen."
Diese Frage ist insofern interessant, weil ein WOCHENBLATT-Informant davon spricht, dass die Flächen an eine andere Firma übertragen worden sein sollen. Nach übereinstimmenden WOCHENBLATT-Informationen ist die Liegenschaft vor vier bis fünf Jahren aus dem Firmen- bzw. Familienbesitz an die Schwarz Cranz Liegenschaften GmbH übertragen worden. Dorthin soll nach ebenfalls übereinstimmenden Informationen auch die Miete bzw. Pacht überwiesen worden sein, als Schwarz Cranz schon im Insolvenzprozess steckte.
Jetzt - darauf deutet das Fragezeichen hinter den tatsächlichen Besitzverhältnissen hin - gibt es die Vermutung, dass zumindest der Versuch der Weitergabe von Grund und Boden unternommen wurde. Es ist aber offen, ob dieser mutmaßliche Grundstücksdeal rechtswirksam geworden ist. Nach übereinstimmenden Aussagen soll es zumindest notarielle Verträge darüber geben. Was außerdem der Aufklärung bedarf: Ein mit dem Fall Schwarz Cranz vertrauter Informant spricht davon, dass die Mietzahlungen an die Liegenschaften GmbH höher als ortsüblich gewesen sein sollen.
Die Arbeit des Insolvenzverwalters geht weiter, auch wenn die Rettung des Unternehmens gescheitert ist. Jetzt geht es darum, dass die Ansprüche der Gläubiger befriedigt werden können. Die Rede ist von Forderungen von mehr als 70 Millionen Euro. Dafür wird Friedrich von Kaltenborn-Stachau jeden Stein umdrehen und nicht nur auf die vergangenen Monate blicken. Es geht dann auch um Geldströme und darum, wem das Firmengelände tatsächlich gehört. Es gibt noch jede Menge offener Fragen und je nachdem, wie die Antworten ausfallen, könnte die Causa Schwarz Cranz auch ein juristisches Nachspiel haben.
Insolvenzverwalter prüft genau
Patrick Hacker, der Sprecher des Insolvenzverwalters, sagt dazu: "Selbstverständlich wird der Insolvenzverwalter sämtliche Geschäftsvorfälle genau prüfen und gegebenenfalls anfechten - auch mehrere Jahre rückwirkend. Einzelne Punkte werde ich nicht kommentieren. Ziel des Insolvenzverwalters ist es, die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Sollten im Zuge der Prüfungen strafrechtlich relevante Aspekte zutage treten, können Sie sicher sein, dass der Insolvenzverwalter entsprechend zuständige Stellen einbinden wird. Aber darüber werde ich jetzt nicht spekulieren."
840 Tonnen Fleisch mussten entsorgt
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Wurst- und Schinkenproduzent Schwarz Cranz aus Neu Wulmstorf im Juni ein Problem mit Gammelfleisch und Fleisch unbekannter Herkunft gehabt. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die in Niedersachsen als Zentralstelle für Verstöße gegen das Lebensmittelrecht zuständig ist, führt ein Ermittlungsverfahren. "Tatvorwurf ist das Inverkehrbringen nicht zum Verzehr geeigneter Lebensmittel", erklärt Martin Rüppell, Erster Staatsanwalt und Pressesprecher der Oldenburger Ermittlungsbehörde. Am 24. Juni fand auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung des Firmengeländes statt. Daran waren der Landkreis Harburg sowie das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) beteiligt. Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch einen anonymen Hinweis. Einige Fleischproben, die das LAVES untersucht hat, hätten gezeigt, dass die Waren nicht für den Verzehr geeignet gewesen seien. Andere seien hingegen in Ordnung gewesen.
Belastetes Fleisch ist aber nur ein Teil des Problems: Größere Fleischmengen, die auf dem Firmengelände lagerten, konnten nicht zurückverfolgt werden. Sprich: Wo es herkam, war nicht klar. "Nach derzeitigem Kenntnisstand wurde keine verdorbene Ware in den Verkehr gebracht", hatte der Landkreis Harburg im Nachgang der Durchsuchung mitgeteilt.
Die Kontrolle hatte dennoch Folgen: 840 Tonnen Fleisch mussten entsorgt werden, teilt das niedersächsische Landwirtschaftsministerium mit. "Die Entsorgung wurde vom Landkreis Harburg kontrolliert."
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