Antibiotika Datenbank: Geheimniskrämerei wie bei NSA-Akten
tk. Landkreis. Gleich zwei Ministerien der Bundesregierung, Justiz sowie Landwirtschaft, behandeln die Antibiotika-Datenbank als Geheimsache. Garadezu so, als wären es geheime Kanzlerinnen-Abhörprotokolle der NSA. Das bringt vor allem die Kritiker der industriellen Mega-Mast auf die Palme. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) erklärt im WOCHENBLATT: "Die Geheimniskrämerei des Bundes ist kontraproduktiv." Die Redaktion hat mit dem Ministerium und Experten aus der Region über den Maulkorberlass des Bundes und den eigentlichen Sinn der Datenbank gesprochen.
Darum geht es: Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Tiermast ist eine der Ursachen für das Anwachsen der Krankheitserreger, gegen die kein Antibiotikum wirkt. An diesen multiresistenten Keimen (MRSA) sterben in Deutschland schätzungsweise 15.000 Menschen jährlich.
Als Reaktion darauf wurde 2014 das Arzneimittelgestz geändert. Bauern, die Masttiere halten, sind per Gesetz verpflichtet, alle sechs Monate den Antibiotika-Einsatz zu melden (siehe Infokasten). Landwirte, die eine bestimmte Kennzahl überschreiten, müssen einen Minimierungsplan vorlegen. Verstöße können geahndet werden.
In Niedersachsen haben 21.000 Betriebe die Daten gemeldet. "Die Meldedisziplin war sehr hoch", so Minister Meyer. Die Ergebnisse, die eigentlich für mehr Transparenz sorgen sollten, will das Bundeslandwirtschaftsministerium nun doch nicht veröffentlichen. Weder auf Politiker- noch Medien-Nachfrage. Die Ergebnisse sollten bis auf Landkreis-Ebene heruntergebrochen werden.
In einem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, das dem WOCHENBLATT vorliegt, heißt es: "Nach Auffassung der Bundesregierung dürfen auch statistische Daten (...) die sich auf einen Landkreis oder ein Land beziehen ausschließlich zum Zweck der Überwachung (,,,) verwendet werden. Die Unterrichtung einer interessierten Fraktion in einem Landtag (...) ist nicht zulässig; ebenso die Weitergabe (...) an die Medien oder die allgemeine Öffentlichkeit." Diese Anordnung kann Agrarminister Meyer "nicht nachvollziehen". Bundesminister Schmidt und seine Vorgängerin Aigner (beide CSU) hatten "hoch und heilig Transparenz versprochen".
Harsche Kritik kommt auch von Eckhardt Wendt, Vorsitzender der "Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung" (AGfaN) aus Stelle. "Hier wird Datenschutz überstrapaziert." Sein treffender Vergleich: "Wer sein Auto nicht zum TüV bringt muss auch damit rechnen, dass es stillgelegt wird." Der Maulkorberlass schütze diejenigen, die sich in einer Grauzone bewegen.
Weil Transparenz neben der Verringerung des Antibiotika-Einsatzes im Stall ein Kern der Gesetzesreform war, nennt das Ministerium in Hannover die Zahlen für Niedersachsen: Von 21.000 erfassten Betrieben müssen rund 6.000 einen Minimierungsplan vorlegen. Besorgniserregend sei der Medikamenteneinsatz besonders in der Putenzucht: Im Durchschnitt bekommt jede Pute jeden dritten Tag ein Antibiotikum. "Diese Daten sind erschreckend", sagt Christian Meyer.
So funktioniert die Antibiotika-Datenbank
Landwirte, die mehr als 10.000 Masthühner, 250 Mastschweine über 30 Kilo, 250 Mastferkel unter 30 Kilo, 20 Mastrinder älter als acht Monate, 20 Mastkälber unter acht Monaten sowie ab 1.000 Mastputen halten, sind per Gesetz verpflichtet, den Antibiotika-Verbrauch in ihren Ställen in die Datenbank einzutragen. Die Daten müssen alle sechs Monate gemeldet werden.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat Kennzahlen ermittelt, bei deren Erreichen der betroffene Bauer einen Minimierungsplan für den Antibiotika-Einsatz aufstellen muss. Bei Nichteinhalten drohen Strafen. Weil die Daten aber zum ersten Mal ausgewertet wurden, wurden bislang keine Sanktionen verhängt. Laut einem Artikel in der Fachzeitschrift "Land & Forst" sollen rund ein Viertel aller Betriebe in Niedersachsen den Maßnahmenplan erstellen müssen.
Antibiotika werden in der Tiermast zu einen zur Krankheitsbekämpfung eingesetzt. Weil die Mastzeiten - etwa bei Hähnchen - extrem kurz sind, haben diese Tiere kaum ein eigenes Immunsystem. Außerdem sind bei Hunderten bis Tausende von Masttieren auf einer kleinen Fläche die Gefahr einer Massenepedemie groß. In vielen Fällen wird ein Antibiotikum daher nicht gegen eine bestimmte Krankheit, sondern schon prophylaktisch gegeben. Hinzu kommt, dass das Medikament beim schnellen Wachstum der Masttiere hilft. Bestimmte Darmbakterien werden abgetötet, sodass die Futteraufnahme besser wird. Die "Turbo-Tiere" wachsen schneller.
Landwirtschaftsminister Christian Meyer zum Maulkorberlass
Das Statement von Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) zum Maulkorberlass des Bundes in Sachen Antibiotika-Datenbank im Wortlaut:
„Die Anordnung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die Daten nicht herauszugeben, kann ich nicht nachvollziehen. Erst dann wissen die Landwirte, wo sie im Bundesvergleich beim Antibiotikaverbrauch stehen und ob sie Maßnahmen zur Verringerung des Antibiotika-Einsatzes ergreifen müssen. Die Geheimniskrämerei ist vollkommen kontraproduktiv. Denn das Arzneimittelgesetz sollte ja Transparenz schaffen. Das haben der jetzige Bundesagrarminister Christian Schmidt und seine Vorgängerin Ilse Aigner hoch und heilig versprochen. Herr Schmidt hat ja sogar noch im April die Länder ultimativ aufgefordert, Vollzugsdefizite abzustellen. Da muss er sich schon entscheiden, was er will: Veröffentlichen oder vertuschen? Das Thema ist zu wichtig, um es unter den Teppich zu kehren.
Die Resistenzen gegen den für den Menschen wichtige Antibiotika nehmen zu. Mitverantwortlich dafür sind auch die in den Tierställen eingesetzten Antibiotika. Nicht von ungefähr gelten ja Landwirte in Krankenhäusern sogleich als Risikopatienten zur Übertragung solcher Keime. Hinzu kommt: Die von der Weltgesundheitsorganisation als „Reserveantibiotika“ für den Menschen bezeichnete Gruppe wird auch in Niedersachsens Ställen zunehmend verwendet. Genau diese „harten“ Antibiotika sollten aber dem Menschen vorbehalten bleiben. Jedenfalls dürfen sie keinesfalls zur Kaschierung mangelhafter Haltungsbedingungen in Mastställen eingesetzt werden.“
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