"Knackis" drücken Tränen weg
Trister Jahreswechsel im Gefängnis: Silvester tritt die Tragweite der Haftstrafe zutage / Familie leidet mit
(tp). Raketen, Sekt und ein fröhliches "Prosit Neujahr!" im Kreis der Lieben: So erleben Millionen Deutsche Silvester - nicht die Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremervörde: "Sie verbringen die letzte Stunde des Jahres einsam, sagt die stellvertretende Anstaltsleiterin Nicola Wimmers (45). "Hier gibt es nichts zu feiern."
Stacheldrahtbewehrte, sieben Meter hohe Stahlbeton-Mauern umringen die beiden winkelförmigen Knast-Bauten des Anfang 2013 eröffneten Gefängnisses, in dem bis zu 300 Häftlinge in knapp zehn Quadratmeter großen Zellen einsitzen. Viele von ihnen erhielten ihr Urteil vor der Großen Strafklammer des Landgerichts Stade, andere warten noch auf ihren Prozess. Derzeit "brummen" im Bremervörder Kittchen 270 Männer - Untersuchungshäftlinge genauso wie Schwerverbrecher mit mehr als zehnjähriger Freiheitsstrafe. Die Delikte reichen von Drogenvergehen über Fahren ohne Führerschein und sexuellem Missbrauch bis zum Totschlag.
Nicola Wimmers, Wirtschaftswissenschaftlerin und Pädagogin, arbeitete in den vergangenen 18 Jahren in unterschiedlichen Führungspositionen im Vollzug und hat während dieser Zeit oft erlebt, dass schwere Jungs an Silvester so manche Träne wegdrücken. Besonders "zwischen den Jahren", wenn das traurige Weihnachtsfest hinter Gittern gerade vorbei ist und dein neues Jahr naht, für das die Menschen draußen Pläne schmieden, verlangten die Häftlinge vermehrt nach Betreuung durch den Gefängnisseelsorger, so Nicola Wimmers. "Und viele fragen nach Haftlockerung, um wenigstens ein paar Stunden bei der Familie sein zu dürfen." Doch nur selten lassen die Verantwortlichen Milde walten.
Gute Vorsätze zu fassen, scheint angesichts der vielfach langen Haftstrafen und des eintönigen Knast-Alltags - Arbeit in der anstaltseigenen Schmiede, Ausbildung zum Gebäudereiniger, etwas Sport am Nachmittag - schwierig. So verstreicht Silvester leise und ohne Höhepunkt. Einzige Besonderheit: An diesem Tag ruht die Arbeit. Ein geselliges Beisammensein findet jedoch nicht statt, von einer Fete mit Böllern ganz zu schweigen. Alkohol sei ohnehin Tabu, so Nicola Wimmers. Und um Mitternacht läuten die Wärter die Nachtruhe ein. Hier und da hallt ein verhaltenes "Guten Rutsch" aus einem gekippten Zellenfenster, einige "Knackis" blicken sehnsuchtsvoll durch die Gitterstäbe auf das Feuerwerk am Nachthimmel.
Die emotional schwierige Lage entspannt sich erst Neujahr, einem traditionellen Besuchstag, an dem viele Inhaftierte Gäste empfangen. Im spartanisch eingerichteten Besuchsraum stehen kleine Tischgruppen, ein Getränke- und Süßigkeitenautomat, für Kinder gibt es eine Spielecke.
Nicola Wimmers erinnert sich an eine tragische Familiengeschichte zum Jahreswechsel: Ein junges Mädchen war von zu Hause fortgelaufen, um am Silvesterabend bei ihrem geliebten Vater im Gefängnis zu sein. Der Teenager wurde auf halber Strecke aufgegriffen. "An Festtagen kommt die ganze Tragweite einer Freiheitsstrafe ans Licht", sagt Nicola Wimmers. "Dabei leidet die Familie häufig mehr als der Häftling."
Redakteur:Thorsten Penz aus Stade |
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