Anonymes Anschwärzen reicht derzeit aus
Obwohl Bernd Greve (67) topfit ist, musste er seine Fahrtüchtigkeit nachweisen

Symbolbild  | Foto: MSR

(lm). Wie leicht es das Denunziantentum derzeit in Deutschland hat, zeigt der Fall von Bernd Greve aus Hittfeld. Der 67-Jährige fiel aus allen Wolken, als er einen Brief vom Landkreis Harburg im Postkasten fand, in dem an seiner Fahrtauglichkeit gezweifelt wurde. Anlass war ein anonymer Hinweis, der bei der Behörde eingegangen war.

Am 30. Dezember erhielt Greve das Schreiben, einen Monat gab ihm das Amt, um seine Fahrtüchtigkeit mittels Sehtest und ärztlichem Gutachten nachzuweisen - ansonsten würde ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden. Körperlich und geistig noch vollkommen fit und ohne Punkte im Verkehrssünder-Register in Flensburg, schaltete Greve zunächst eine Anwältin ein, wollte auch der Aufforderung des Landkreises im ersten Moment nicht nachkommen. Seine Anwältin riet ihm jedoch dazu. Wäre er dem nicht gefolgt, wäre ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden. Dagegen hätte er klagen können, seine Anwältin stellte ihm auch einen erfolgreichen Prozess in Aussicht. Der Haken an der Sache: Die Verwaltungsgerichte sind überlastet. Wenn alles gut liefe, könnte er in knapp anderthalb Jahren mit einem Urteil rechnen. So lange wäre Greve ohne Führerschein gewesen.

Nachdem er den Sehtest fristgerecht eingereicht hatte - das ärztliche Gutachten wurde ihm auf mehrfaches Drängen seines Rechtsbeistandes dann doch erlassen - richtete sich der Landkreis wieder an seine Anwältin: Der Fall sei abgeschlossen, die Behörde würde ihn nun höchstbürokratisch "in die Eigenverantwortung entlassen". "Verantwortung, die die Behörde nie selbst gelebt hat. Das ist an Überheblichkeit kaum zu überbieten", so der Vorwurf des Hittfelders. Was ihm bleibt, sind die Kosten für die Anwältin und ein ganz schlechter Eindruck von den Behörden.

Katja Bendig, Pressesprecherin des Landkreises, erklärt dagegen: "Solche Fälle mit anonymen Hinweisen sind die absolute Ausnahme." Regelmäßiger hingegen kämen solche Hinweise aus dem familiären Umfeld des Fahrers und würden dementsprechend nur dessen Schutz dienen. Die Aufforderung zur Abgabe eines Sehtests und einer ärztlichen Stellungnahme sei dabei das äußerste Mittel. Erhält die Verkehrsbehörde des Landkreises einen solchen Hinweis, machten sich die zuständigen Mitarbeiter zunächst selbst ein Bild vom Fahrer, in den meisten Fällen sei die Sache damit auch schon erledigt. Derzeit mache die Corona-Pandemie solchen "Hausbesuchen" allerdings einen Strich durch die Rechnung.

Die Kritik von Greve an den Behörden ist unmissverständlich: Er kann nachvollziehen, dass sie in einem Fall wie dem seinen gezwungen sind, zu handeln. Aber die Art und Weise, wie das Verfahren hier abgewickelt wurde, lässt in seinen Augen stark zu wünschen übrig. Gegenüber dem WOCHENBLATT formuliert der ehemalige Unternehmer seine Vorwürfe klar und deutlich. Er hätte sich ein schnelleres Handeln seitens des Landkreises gewünscht. Das Schreiben erhielt der 67-Jährige am 30. Dezember, bekannt war der Fall dort allerdings bereits seit Anfang November.

Durch die Akteneinsicht, die er über seine Anwältin angefordert hat, wurde klar, dass sich niemand von den Verantwortlichen in diesem Fall so richtig zuständig gefühlt hat. So wurde die "Causa Greve" innerhalb der Behörde immer wieder hin und her geschoben, ehe dann kurzerhand beschlossen wurde, mit Sehtest und ärztlichem Gutachten das "äußerste Mittel" bei Greve anzuwenden.
"Wegen Corona kann kein Mitarbeiter zu mir kommen, aber von mir wird verlangt, mich beim Arzt ins Wartezimmer zu setzen", setzt Greve seine Vorwürfe fort. Außerdem hätte er sich gewünscht, dass die Behörde ihm selbst zunächst Gehör schenkt und ihm Gelegenheit gibt, Stellung zu dem Vorwurf zu beziehen.

Aus der Akteneinsicht geht ebenfalls hervor, dass beim Landkreis Harburg nicht mehr wiedergegeben werden kann, auf welchem Wege der Hinweis eingegangen ist. "Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass bei anonymen Anzeigen und möglichen Verleumdungen die Eingangsart nicht festgestellt und die Originaldokumente nicht aufbewahrt werden. Damit ist Denunziationen Tür und Tor geöffnet", entrüstet sich Greve. "Unbescholtene Bürger, die nicht in der wirtschaftlichen Lage gewesen wären, sich anwaltlich vertreten zu lassen, hätten wahrscheinlich anderthalb Jahre auf ihren Führerschein verzichten müssen", führt er weiter aus. Er hat sich dazu entschlossen, Anzeige gegen unbekannt wegen Verleumdung zu erstatten.

Mehr Fingerspitzengefühl 

Wie die Verkehrsbehörde des Landkreises Harburg mit Bernd Greve umgegangen ist, lässt einiges an Fingerspitzengefühl vermissen. Bei aller Bürokratie und bei allen Fristen, an die sich in Deutschland nun einmal gehalten werden muss, so muss es doch auch den Opfern einer solchen Beschuldigung gestattet sein, sich zum Sachverhalt zu äußern. Die Tatsache, dass hier ein ärztliches Gutachten gefordert wird, während sich die Verantwortlichen der Behörde selbst hinter der Pandemie verstecken, ist an Ironie kaum zu überbieten. Im gesamten Ablauf wäre es angebracht gewesen, wenn der Landkreis die Fesseln der Bürokratie ein wenig gelockert hätte und die Sache feinfühliger angegangen wäre.
Lennart Möller

Redakteur:

Lennart Möller aus Rosengarten

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