Wieviel Werbung tut unseren Schulen gut?

Mitja Schrader: "Sponsoring ist keine Einbahnstraße"
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Viele Unternehmen kooperieren mit Bildungsträgern - dabei geht es oft um Marketing in eigener Sache

(mi). Schulen sollen ein neutraler Raum sein, der es jungen Menschen ermöglicht, ein demokratisches Weltbild zu entwickeln. Diese Aussage war lange gesellschaftlicher Konsens. Schließlich hatten Nationalsozialismus und DDR-Ideologie gezeigt, wie wirkungsvoll Kinder und Jugendliche über die Schule beeinflussbar sind.
Längst bröckelt das Tabu. Der Grundsatz, Schule als neutraler Raum, wird dabei nicht mehr von politischen Ideologien, sondern in erster Linie durch die Wirtschaft aufgeweicht. Unternehmen haben Schulen als den idealen Ort ausgemacht, um ihre jugendlichen Zielgruppen zu erreichen. Mit Sponsoring von Schulveranstaltungen, Werbung in Aulen oder sogenannte Kooperationsverträge, bei denen Schulen und Firmen eine Partnerschaft eingehen, bringen sie ihre Interessen direkt oder indirekt in die Wahrnehmung der Schüler.
Auch in unserer Region sind Konzerne in den Klassenzimmern längst präsent. Der „SportsFinderDay“ an der IGS in Buchholz beispielsweise wurde vom Unternehmen „Ferrero“ unterstützt, das dort Werbung für seine Nussnougat-Creme präsentierte. Die Oberschule in Rosengarten hat gerade einen Kooperationsvertrag mit der Sparkasse Harburg-Buxtehude unterzeichnet. Darin heißt es u.a.: „Mitarbeiter des Unternehmens gestalten Unterrichtseinheiten zu Themen wie Kapitalmarkt und Börse“. Außerdem ist u. a. die „Anbringung des Unternehmenslogos an exponierter Stelle“ festgeschrieben.
Dass Sponsoring auch handfeste politische Interessen verfolgen kann, zeigt ein kürzlich in der ARD-Sendung „Die Story“ geschilderter Fall: Die RWE Dea AG, zuständig für Rohstoff-Förderung, hatte Gymnasien in Niedersachsen 50 PC gesponsert. Auf den Rechnern installiert: Material für das umstrittene „Fracking“-Verfahren zur Erdgasförderung - unkritisch und einseitig pro Fracking. Kein Einzelfall: Bundesweit bieten laut eines Artikels der Tageszeitung (taz) 16 der 20 umsatzsstärksten Unternehmen kostenloses und häufig wenig neutrales Lehrmaterial an.
Mittlerweile gibt es Unternehmen, die sich auf Werbekampagnen in Schulen spezialisiert haben. Die Firma „Schulkurier“, zu deren Kunden u.a. Lidl und der Energie-Riese Eon, aber auch das Rote Kreuz gehören, bezeichnet sich als „Schnittstelle zwischen Unternehmen und Schule“.
Ist es bei soviel kommerzieller Beeinflussung überhaupt noch möglich, dass Schüler lernen, „Informationen kritisch zu nutzen“? Das ist nämlich eines der Bildungsziele, die im niedersächsischen Schulgesetz verankert sind. Ein Pro und Kontra zum Thema von Mitgliedern der WOCHENBLATT-Redaktion

Pro und Kontra: Sponsoring in der Schule

Segen für klamme Bildungskassen oder versteckte Produktinformation und Schülerbeeinflussung?

Befürworter sprechen von Sponsoring, Kritiker von Werbung, Lobbyismus oder anfixen, wenn Firmen Schulen mit Geld oder Sachmitteln versorgen, scheiden sich daran die Geister. Auch in der WOCHENBLATT-Redaktion wurde jetzt über das Thema diskutiert:

Sponsoring ist keine Einbahnstraße
Eine werbefreie Schule ist in unserer Konsumgesellschaft ein Anachronismus. Außerdem ist Sponsoring keine Einbahnstraße. Auch die Schulen und damit in erster Linie die Kinder profitieren schließlich davon, wenn Unternehmen den Unterricht mit Geld oder Sachmitteln unterstützen. Mal ehrlich: Eltern verlangen von der Schule mittlerweile das Rund- um-sorglos-Paket inklusive Erziehung, Bildung und Berufsvorbereitung; selbstverständlich auch mit Ganztagsunterricht, Mensaverpflegung sowie Schwachen- und Begabtenförderung. Das kostet Geld. Wie sollen heute schon unterfinanzierte Schulen im Konkurrenzkampf um Schüler und Elterngunst bestehen ohne finanzielle Unterstützung aus der Privatwirtschaft? Steuererhöhungen will ja auch niemand. Ich habe zwar noch keine Kinder, aber wenn durch Sponsoring frisches Geld in unser marodes Bildungssystem fließt, nehme ich dafür auch gerne in Kauf, dass mein Kind lieber Nutella als Kräuterquark isst - was wohl auch der Fall wäre, wenn seine Schule nicht von „Ferrero“ gesponsert würde.
Mitja Schrader

Propaganda im Klassenzimmer
Neulich im Supermarkt: „Lass uns doch Nutella nehmen“, sagt mein Sohn. „Cooles Unternehmen, denn sie unterstützen unsere Schule.“ Da hat die Werbestrategie voll gewirkt.
In erster Linie sind Eltern dafür da, ihre Kinder durch den Konsum-Dschungel zu führen. Aber von Schule im Allgemeinen und Lehrern im Besonderen erwarte ich, dass sie Kinder für die Gefahren der Konsumwelt sensibilisieren.
Sicher: Schoko-Creme mag noch nicht tragisch sein. Aber wenn meine Kinder später lieber ein Sparkassen- statt einem Postbankkonto eröffnen wollen, weil sie in der Schule an gesponserten PCs sitzen, dann geht das zu weit. Was kommt als nächstes? Die Mathe-Olympiade präsentiert von Apple, der Lese-Tag gesponsert von der „Bild“-Zeitung und „Swiss Life“ macht einen Vorsorge-Tag? Auf gar keinen Fall darf Werbung und Lobbyarbeit schon bei den Kleinsten beginnen. Für mich ist das Propaganda im Klassenzimmer. Und ganz nebenbei: Es ist traurig, dass dass man überhaupt über Sponsoring nachdenken muss. Für Bildung sollte die Bundesregierung, beziehungsweise die Länder genug Geld zur Verfügung stellen.
Sascha Mummenhoff

Redakteur:

Mitja Schrader

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