WOCHENBLATT-Serie Lost Places
Teil 8: Als Kehdinger Milch zum Kultgetränk wurde - die alte Molkerei in Assel
Molkereien gehörten einst zum typischen Dorfbild. Heute sind fast alle verschwunden. Milchlaster karren jetzt ihre flüssige Fracht quer durch die Region zu Großbetrieben. Manche Molkereigebäude werden heute anderweitig genutzt, einige sind waschechte "Lost Places" - wie in Assel.
Zerschlagene Fensterscheiben, marodes Mauerwerk und im Inneren überall Spuren des jahrzehntelangen Verfalls: Nur noch die riesige Buttermaschine und ein paar alte Kessel stehen in den sonst kahlen Räumen der ehemaligen Asseler Molkerei. Bereits 1996 stellte die Molkerei-Genossenschaft Süd-Kehdingen ihren Betrieb ein - nach fast 70 Jahren. Es war wie überall auf dem umkämpften Agrar-Markt: Nur die ganz Großen überlebten. Mit etwas mehr als 20 Mitarbeitern gehörte das Kehdinger Unternehmen zu den ganz Kleinen der Branche.
Die Geschichte der Molkerei
Zuletzt wurden Jahres-Überschüsse von gerade mal 2.000 bis 7.000 D-Mark erwirtschaftet. Dabei galt Geschäftsführer Egon Meinshausen als äußerst sparsam: So soll er für die Betriebsführung bis zum Schluss ein Lochkarten-System aus den 1960er Jahren verwendet haben. Und wozu Schreibmaschine oder gar Computer? Die Protokolle aller Vorstandssitzungen und Versammlungen der Genossenschaft wurden bis zum Schluss mit akkurater Handschrift in Kladden festgehalten.
Vertrieben wurden die Milchprodukte unter der Handelsmarke "Schmecke-Fuchs". Woher der originelle Name stammt, weiß auch Ulrich Reinecke nicht. Der Rentner betreut die Asseler Heimatstube. Dort ist eine kleine Ecke eingerichtet, in der sich verschiedene Exponate aus der Molkerei finden. Die Markenrechte gingen an die Nordmilch in Zeven, die inzwischen in Deutschlands größten Molkereikonzern DMK aufgegangen ist. Das schwarze Füchslein prangt auf keinem Milchprodukt mehr.
Der "Schmecke-Fuchs"
Dabei war der "Schmecke-Fuchs" kurzzeitig ein richtiges Kultobjekt. So berichtet der Journalist Guido Walter, wie die Milch aus Assel zum Modegetränk der Hamburger Kunstszene avancierte: 1993 habe der Filmemacher Henrik Peschel, ("Die letzten Tage des Parvis K.") ein Milchtütchen mit dem Fuchs-Logo in einem Feinkost-Laden entdeckt. Peschel sei von dem "sympathisch zurückgebliebenen Design" begeistert gewesen. Seiner Promotion-Kampagne für die Milch von der Mini-Molkerei schlossen sich zahlreiche Künstler an.
In Hamburg gab es mehrere Aktionen im Stil moderner Performance-Kunst: Menschen waren mit Fuchsmasken unterwegs, eine Galerie stellte Interpretationen zum "Schmecke-Fuchs" aus und in Szene-Kneipen stiegen Milch-Partys mit Frei-Milch. In der Molkerei soll man über diese Gratis-Werbung nur die Stirn gerunzelt haben.
Die Idee, in der alten Molkerei Getränke zu verkaufen statt herzustellen, zerschlug sich: Zu hoch seien die behördlichen Auflagen für den Bau eines Getränkemarktes gewesen, berichtet der jetzige Eigentümer. Neue Pläne für das alte Objekt habe er noch nicht geschmiedet.
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