Wie der Krieg zwei Generationen prägt: So gehen Günther Krause und seine Enkelin Marie-Madeleine mit dem Thema um

Erinnerungen an die Vergangenheit: Günther Krause, der vor seiner Einberufung eine Lehre bei einer Krankenkasse machte, mit seinem Bescheid über die Einstellung des Entnazifizierungsverfahrens - zu jung für das NS-Regime
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ce. Hanstedt/Toppenstedt. "Man kann nicht aus dem Kopf löschen, was man erlebt hat. Aber ich leide nicht mehr unter dem Geschehenen." Das sagt Günther Krause (85) aus Hanstedt, als er auf seine Erlebnisse in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren zurückblickt.
Ende 1944 lebte Günther Krause mit seinen Eltern in Winsen (Aller). Seine drei Brüder waren bereits an der Front. "Ich wollte auch dabei sein, denn ich war überzeugt von der Sache", so Krause. Als der knapp 16-Jährige seinen Einberufungsbescheid erhielt, musste er auf die Gebietsführerschule der Hitlerjugend in Hankensbüttel (Kreis Gifhorn), wo er einer 120-köpfigen Kompanie zugeteilt wird. "Mit unserem Soldbuch mit Bild des Führers in den Händen waren wir ganz stolz."
Dieses Hochgefühl wich purer Angst, als Krause und seine Kompanie in einem Wald bei Uelzen von Engländern eingekesselt und beschossen wurden. "Von unseren 120 Jungs wurden 71 getötet. Zehn Kameraden erlitten schwere Verletzungen und haben vor Schmerzen geschrien", erinnert sich Krause an seine "Feuertaufe" als Soldat.
Mit Feuergefechten zwischen Deutschen und Engländern als ständigem Begleiter gelangte die körperlich geschwächte und stark dezimierte Truppe bis in den Raum Lübeck. Der Hauptmann glaubte nicht mehr an weitere Kampferfolge oder gar an einen Sieg an der Front. "Wir lösen uns auf. Werft alle Waffen weg, tut euch in Gruppen zusammen und versucht, nach Hause zu kommen", befahl er den Soldaten. Dass Günther Krause und seine Kameraden gehorchten, war ihr Verhängnis: Sie wurden von englischen Truppen erwischt und in Kriegsgefangenschaft genommen. "Drei Wochen lebten wir mit rund 20.000 anderen Gefangenen im Sammellager. Wir mussten uns täglich zu Viert eine Dose Corned Beef teilen. Ansonsten gab es nur Butterkekse und kaum etwas zu trinken", so Krause.
Die jugendlichen Gefangenen wurden dann in ein Sonderlager gebracht - in das nur wenige Tage zuvor befreite Konzentrationslager Neuengamme. "Die Insassen, die sich dort noch aufhielten, bewarfen uns mit Lebensmitteln", blickt Krause zurück. "Dieser 'Angriff' war wohl die Rache dafür, dass sie während des NS-Regimes im KZ von den Deutschen, zu denen wir ja auch gehörten, nichts zu essen bekommen hatten", vermutet Krause. "Wir wussten damals nicht, welche schrecklichen Dinge sich in Neuengamme abgespielt hatten."
In der Kriegsgefangenschaft mussten er und seine Kameraden als Landarbeiter bei Bauern in Billwerder schuften. Nach drei Wochen türmten sie, um nach Hause zu kommen. Beim Zollenspieker am Elbdeich trafen sie auf ein Sturmboot der Engländer, die Post transportierten und im Tausch gegen Wertsachen auch Soldaten mitnahmen, die - wie Krause - die nötigen Entlassungspapiere der Wehrmacht nicht besaßen. Krause "erkaufte" sich seine Überfahrt mit einem Seekompass.
Mitfahrgelegenheiten auf Heuwagen nutzend und zu Fuß erreichte Günther Krause schließlich am 13. Juni 1945 wieder sein Elternhaus in Winsen (Aller). "Meine Mutter freute sich riesig, fragte aber gleich, ob ich als Soldat einen Menschen erschossen hatte", beschreibt Günther Krause das Wiedersehen. "Im ersten Reflex bejahte ich aus purer Angeberei ihre Frage. Im gleichen Atemzug erklärte ich aber, dass ich niemanden getötet hatte. Mit dieser Schuld leben zu müssen, ist mir zum Glück erspart geblieben."

Mit dem Zweiten Weltkrieg unmittelbar verbunden ist auch das Schicksal von Anne Frank. Das jüdische Mädchen floh 1934 mit seinen Eltern aus Deutschland vor den Nationalsozialisten in die Niederlande, wo die Familie in einem versteckten Hinterhaus in Amsterdam lebte. 1945 wurden die Franks an die Nazis verraten und schließlich ins Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht, wo Anne wenige Wochen vor Kriegsende mit nur 15 Jahren starb. Im holländischen Versteck hatte sie ihre Erlebnisse und Gedanken in einem Buch dokumentiert, das nach dem Krieg von ihrem Vater Otto als "Tagebuch der Anne Frank" veröffentlicht wurde. Das weltbekannte Werk diente auch als Vorlage für die multimediale Lesung, in der die aus Toppenstedt (Kreis Harburg) stammende Schauspielerin Marie-Madeleine Krause, Enkelin von Günther Krause, und ihr Kollege Willi Schlüter derzeit mit großem Erfolg im Hannoveraner Theater in der List auf der Bühne stehen.
"Das Leben von Anne Frank hat mich schon in der Schule sehr berührt", sagt Marie-Madeleine Krause (29). "In vielen Gedanken von Anne beispielsweise zur ersten Liebe und inneren Konflikten finde ich mich wieder, ähnlich habe ich in ihrem Alter empfunden."
In der Lesung tragen Krause und Willi Schlüter, Intendant des Theaters in der List, ausgewählte Auszüge aus Anne Franks Tagebuch vor. "So entstehen interessante Spannungs- und Kontrapunkte, die Annes Geschichte tragen", so die Schauspielerin. Ergänzt werden die Rezitationen durch Einspielungen von Videos und Fotos. "Wir möchten Jugendliche und Erwachsene mit dem Stück zum Nachdenken anregen und sensibilisieren. Viele haben das Gefühl, das Geschehene ist lange her und damit weit weg. Das ist es aber nicht." • Das Stück kann für Schulen und Jugendgruppen gebucht werden. Infos unter www.theaterinderlist.de.

Erinnerungen an die Vergangenheit: Günther Krause, der vor seiner Einberufung eine Lehre bei einer Krankenkasse machte, mit seinem Bescheid über die Einstellung des Entnazifizierungsverfahrens - zu jung für das NS-Regime
Liest aus dem Tagebuch von Anne Frank: Schauspielerin Marie-Madeleine Krause
Redakteur:

Christoph Ehlermann aus Salzhausen

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