Eine Welt ohne digitale Medien
jd. Harsefeld. Was lernten Schüler vor 150 Jahren? Harsefelder Gymnasiasten blätterten in alten Büchern. Sie werden wegen ihres ständigen Blicks aufs Smartphone als Generation "Kopf unten" bezeichnet, sie sind mit dem Internet aufgewachsen und sie beziehen einen Großteil ihres Wissens aus Wikipedia: Für die heutigen Schüler ist die mediale Informationsflut ganz selbstverständlich. So etwas Altmodisches wie ein Buch nehmen sie allenfalls in die Hand, wenn die Lehrer es verlangen. Dass aber das gedruckte Wort über Jahrhunderte die wichtigste Quelle für Wissen und Bildung war, wurde jetzt einer Gruppe Elftklässlern des Aue-Geest-Gymnasiums Harsefeld auf eindrucksvolle Weise deutlich. Die Oberstufenschüler befassten sich mit dem historischen Bestand einer der ältesten Volksbüchereien in der Region: der Harsefelder Friedrich-Huth-Bücherei.
Dort ist in drei Glasvitrinen eine bibliophile Kostbarkeit verwahrt: Hunderte Bücher aus dem 19. Jahrhundert. Sie bilden den Grundstock der Bücherei, die vor 170 Jahren vom großen Sohn des Ortes, dem Bankier Friedrich Huth (1777 - 1846), gestiftet wurde. Ein Dorf mit einer eigenen Bibliothek: So etwas gab es auf dem Lande sonst weit und breit nicht. Bevor Schülerin Sabrina die Glastür öffnet, zieht sie weiße Handschuhe an. "Die sind erforderlich, um das Papier vor Schweiß zu schützen", erläutert die Gymnasiastin, während sie in den vergilbten Seiten eines Buches mit dem Titel "Elisabeth Christine, Gemahlin Friedrichs des Großen" blättert.
Den 1866 erschienenen Band aus der Reihe "Lebensbilder christlicher Frauen und Jungfrauen" hat die Schülerin für ihre Facharbeit ausgewählt. Auf rund 15 Seiten setzt sie sich nun damit auseinander, warum die preußische Königin damals als ein leuchtendes Vorbild für tugendhaftes Verhalten galt. Solche Biographien dienten früher der Volkserziehung: Die vornehmlich jugendlichen Leser sollten sich am untadeligen Lebenswandel einer historischen Persönlichkeit ein Beispiel nehmen.
Die anderen "alten Schwarten", mit denen sich Sabrinas Mitschüler aus dem Oberstufenkurs befassen, beschrieben in pathetischen Worten den Glanz vergangener Tage: Es geht um den Aufstieg Preußens, die großen Herrscher des Mittelalters oder bedeutende Staatsmänner der Antike wie Cäsar. Die Fokussierung des Kurses auf historische Themen kommt nicht von ungefähr: Treibende Kraft bei dem Projekt ist Geschichtslehrer Martin Kuhnert. Der findet es in höchstem Maße spannend, dass seine Kursteilnehmer direkt vor Ort die Gelegenheit haben, mit Büchern zu arbeiten, die Schülern schon vor 150 Jahren als Informationsquelle dienten.
"Der alte Buchbestand bietet einen hervorragenden Einblick in den Lernstoff, der seinerzeit der Jugend vermittelt wurde", so Kuhnert. Um den damaligen Schülern das Lesen schmackhaft zu machen, hätten die Autoren die Fakten in historisierende Erzählungen gekleidet. Der Blick auf die Vergangenheit sei mit einem schwülstigem Pathos verbrämt. Damals mag das funktioniert haben, um das Interesse der Schüler zu wecken. Doch da war das Buch auch das einzige Medium, das zur Verfügung stand. Eine Vorstellung, die die jungen Gymnasiasten erschreckend finden: Ein Welt ohne Handy, Fernseher und Computer können sie sich nicht mehr vorstellen.
Bildungskanon des 19. Jahrhunderts
(jd). Der historische Buchbestand der Friedrich-Huth-Bücherei ist eine in der Region einzigartige Quelle, da er den Bildungskanon des 19. Jahrhunderts in der Provinz widerspiegelt. Neben historischen Abhandlungen befassen sich etliche Werke mit landwirtschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Themen. Das Projekt des Harsefelder Gymnasiums mit dem Schwerpunkt Geschichte ist nur ein Anfang: Auch in anderen Fächern sollen sich die Schüler mit den alten Büchern beschäftigen. Unterstützung gibt es vom Landschaftsverband Stade: Deren Bibliothekarin Catrin Gold steht den Schülern mit Rat und Tat zur Seite.
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