Harsefeld: Ärger um Absetzung des Films "Die Geige aus Cervarolo"
+ + + Aktuelle Meldung: In Harsefeld wird der Film "Die Geige aus Cervarolo nun doch gezeigt. + + + DIe Vorführung findet am Donnerstag, 6. Juni, um 19.30 Uhr im Aue-Geest-Gymnasium statt. + + + Lesen Sie dazu bitte: Gymnasium zeigt "Geige aus Cervarolo". + + +
jd. Harsefeld. "Nach Drohungen von Neonazis wird Filmvorführung in Harsefeld abgesagt" - diese Schlagzeile war am Samstag in italienischen Tageszeitungen zu lesen. Die "Gazzetta di Reggio" brachte die Geschichte sogar auf der Titelseite. Doch warum steht Harsefeld im Fokus italienischer Presseorgane? Im Harsefelder Hotel "Eichhorn" sollte der Film "Die Geige aus Cervarolo" gezeigt werden. Der Streifen handelt von einem Prozess in Verona gegen deutsche Wehrmachtssoldaten, denen Kriegsverbrechen gegen italienische Zivilisten zur Last gelegt wurden.
Der Film, der die Angehörigen von Mordopfern im Dörfchen Cervarolo zu Wort kommen lässt, wurde kurzfristig abgesetzt. Doch was steckt hinter der Absage? In einem Artikel in der hiesigen Tageszeitung wurde unter anderem behauptet, dass "es Drohungen aus rechtsextremistischen Kreisen" gegen den Gastwirt gegeben haben soll. Diese Aussage ist nach Auskunft des Veranstalters, des Linken-Politikers Michael Quelle, jedoch unzutreffend. Vielmehr hätten Anrufer aus Harsefeld dem Gastwirt ein Boykott seines Lokals angedroht. Doch der Tageszeitungs-Artikel hat nun dazu geführt, dass in der italienischen Presse von Drohungen durch eine Gruppe Neonazis (di un gruppo neonazista) die Rede ist.
In Harsefeld sorgt die geplatzte Filmvorführung für reichlich Diskussionsstoff. Harsefeld war nicht ohne Grund für die Vorführung ausgewählt worden: In der Samtgemeinde wohnt der in Italien rechtskräftig als Kriegsverbrecher verurteile Ex-Wehrmachts-Feldwebel und pensionierte Förster Alfred L. (88). Er gehörte derselben Einheit an, um die es im Film geht: der Fallschirm-Panzer-Division "Hermann Göring", die nach der Bewertung von Historikern als Truppe besonders fanatischer Nazi-Anhänger gilt.
Für Quelle ist der Film ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung eines dunklen Kapitels deutscher Geschichte. Dass einflussreiche Kreise in Harsefeld die Vorführung verhindert hätten, sei für ihn nicht hinnehmbar. Er appelliert nun an die Kommunal-Politiker, "sich dafür einzusetzen, dass der Film jetzt in öffentlichen Räumlichkeiten gezeigt wird" - egal in welcher Trägerschaft.
Mit seinem Ansinnen stößt Quelle allerdings auf wenig Gegenliebe bei der örtlichen Politik: Sämtliche Parteien im Ort halten sich zu dem Thema bedeckt. Auf WOCHENBLATT-Nachfrage teilte die Grünen-Politikerin Elke Martin in einer gemeinsamen Erklärung aller vier Ratsfraktionen (CDU, SPD, FWG und Grüne) mit, dass es nach ihren Informationen "keine Bedrohung" gegeben habe. Eine weitere Stellungnahme werde ohne Gespräche mit den direkt Beteiligten abgelehnt. (Zu den Fragen des WOCHENBLATT und den Antworten der Parteien siehe untenstehende Dokumentation.)
Harsefelder wollen Initiative gründen, damit Film gezeigt wird
Rückendeckung erhält Quelle jedoch von anderer Seite: In der Redaktion meldete sich die Harsefelderin Else Zager (64). Die pensionierte Lehrerin ist empört: "Es kann doch nicht sein, dass das Recht auf freie Meinung und Informationsfreiheit beschnitten wird, weil irgendwelche konservativen Kreise einen Gastwirt wirtschaftlich unter Druck setzen." Solche Repressalien seien für sie auf keinen Fall hinzunehmen.
Zager denkt nun darüber nach, mit ihrem Nachbarn Volker Schlözer (70) eine Initiative zu gründen, in deren Trägerschaft der Film gezeigt wird. "Wir müssen eine Allianz der demokratischen Kräfte bilden", erklärt Schlözer. Darin sollten sich alle zusammenfinden, die für Meinungsfreiheit und gegen jegliche Verharmlosung der NS-Verbrechen eintreten.
"Die Geige aus Cervarolo" ist bereits in mehreren deutschen Städten gezeigt worden. Nach Auskunft der beiden Filmemacher Matthias Durchfeld und Nico Guidetti gab es bislang nirgendwo Probleme. Auch nicht in den Orten, in denen Mitangeklagte von L. leben. Beide äußerten ihr Befremden über die Vorgänge in Harsefeld. "Geschichte ist kein Meinungsaustausch", erklärten die zwei Filmautoren in einer Stellungnahme gegenüber dem WOCHENBLATT. Hier gehe es um Tatsachen. "In Harsefeld scheint es Menschen zu geben, (...) die nicht wahrhaben wollen, dass einer der Täter in ihrem Ort wohnt", teilten Durchfeld und Guidetti mit. "Unsere Gedanken gelten den Opfern und ihren noch lebenden Angehörigen, deren einzige - sehr eingeschränkte - Wiedergutmachung das Gefühl ist, dass die Wahrheit nicht vergessen wird. Dafür haben wir den Film gemacht... Wir erwarten einen neuen Termin in Harsefeld." (Der volle Wortlaut der Stellungnahme ist weiter unten zu lesen.)
Eindrucksvoller Film über die Massaker der Division "Hermann Göring"
Eine alte Frau sitzt im Zeugenstand. Mit zitternder Stimme berichtet sie, auf welch bestialische Weise ihre Brüder getötet wurden - von deutschen Soldaten, die im Frühjahr 1944 mordend durch norditalienische Dörfer zogen. Die bedrückende Szene stammt aus dem Film "Die Geige von Cervarolo". Die 2012 uraufgeführte Dokumentation schildert eindrucksvoll aus Sicht der Opfer-Familien die Hintergründe für den Verona-Prozess, bei dem Angehörige der Wehrmachts-Division "Hermann Göring" wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurden - darunter auch Alfred L. (88) aus Ohrensen. Die Taten, an denen L. beteiligt gewesen sein soll, spielten sich unter anderem in dem nur 25 Kilometer von Cervarolo entfernten Dorf Monchio ab.
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DOKUMENTATION
A) Absage der Filmvorführung
"Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass uns Räumlichkeiten in der Gaststätte Eichhorn in Harsefeld nicht mehr zur Verfügung stehen, um dort am Freitag, den 3. Mai, auf einer Veranstaltung der Partei "Die Linke" den Film "Die Geige aus Cervarolo" zu zeigen. (...)
Alfred L. wurde wegen Beteiligung an dem Massaker in Monchio verurteilt.
Robert Tincani vom Verein "Angehörige der Opfer von Monchio" schrieb in einem Grußwort an die Teilnehmer der Demonstration am 1.12.2012 in Harsefeld:
"Der Krieg und seine Gründe haben uns Jahrzehnte getrennt. Das, was uns trennt, sollten wir nun endlich gemeinsam bekämpfen. Erinnern, um dies alles abzulehnen: den Hass auf die anderen, die Verachtung all dessen, was anders ist, die Grausamkeit gegen Schwächere, die Gewalt gegen Schutzlose.
(...) Ich denke ... an Monchio, an die Familie meines Vaters, an die 136 Toten, an die vergewaltigten Frauen, an die in die Luft geschleuderten kleinen Kinder."
In dem Film kommen ebenfalls die Angehörigen zu Wort. Sie, und nicht ein Täter ohne Reue, sollten für uns im Mittelpunkt stehen.
Wir halten es für wichtig, dass der Film in Harsefeld, in welcher Trägerschaft auch immer, gezeigt wird und erwarten von der Samtgemeinde Harsefeld, dass sie öffentliche Räumlichkeiten zur Verfügung stellt."
Michael Quelle, Partei "Die Linke"
B) Anfrage des WOCHENBLATT an die örtlichen Parteien und deren Antworten:
"Sehr geehrte Fraktionsvorsitzende!
(...)
Der Linken-Politiker Michael Quelle sieht ... "die demokratischen Kräfte und Parteien in der Samtgemeinde Harsefeld gefordert", die Aufführung zu ermöglichen. Er erwartet von der Gemeinde, dass diese öffentliche Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.
An Sie in Ihren Funktionen als ... Fraktionsvorsitzende richtet sich nun folgende Anfrage:
Unterstützen Sie bzw. Ihre Parteien das Vorhaben, den Film in Harsefeld zu zeigen?
Sehen Sie Möglichkeiten, den Film in öffentlichen Räumlichkeiten der Kommune vorzuführen?
Wie stehen Sie dazu, dass Drohanrufe offenbar zur Absage der geplanten Filmvorführung geführt haben?
Die Veranstalter haben Harsefeld als Vorführort für den Film unter anderem deswegen gewählt, weil in der Samtgemeinde ein in Italien als Kriegsverbrecher verurteilter Ex-Wehrmachtssoldat wohnt. Finden Sie es richtig und angemessen, dass hier Zusammenhänge hergestellt werden?
Werden Sie sich den Film anschauen?
Gern können Sie ihre Antwort um Aspekte erweitern, die Ihnen wichtig erscheinen.
Jörg Dammann, WOCHENBLATT-Redaktion"
(E-Mail vom 3.5., 14.08 Uhr)
"Ich sehe nicht, dass in Harsefeld ein öffentliches Interesse bestehen sollte, den Film zu zeigen. Von der Partei "Der Linken" lassen wir uns nicht unter Druck setzen."
Harsefelds Bürgermeister Michael Ospalski (SPD) in einer mündlichen Stellungnahme am 4.5., gegen 10 Uhr
"Sehr geehrter Herr Dammann,
wegen nicht vorhandener objektiver Sachverhalte erübrigt sich eine Stellungnahme.
Mit freundlichem Gruß
Harald Koetzing
SG-Fraktionsvorsitzender SPD-Harsefeld"
(E-Mail vom 4.5., 12.32 Uhr)
"Hallo, Herr Dammann!
Danke für Ihre nachstehende Anfrage. Die Fraktionsgemeinschaft FWG/FDP im Flecken Harsefeld wird zu diesem Thema keine Stellungnahme abgeben.
Herzliche Grüße
Susanne de Bruijn
Fraktionsvorsitzende FWG/FDP im Flecken Harsefeld"
(E-Mail vom 5.5., 9.52 Uhr)
"Sehr geehrter Herr Dammann,
nachfolgend erhalten Sie die gemeinsame Stellungnahme zu der abgesetzten Filmvorführung von den Fraktionen der Samtgemeinde und des Fleckens Harsefeld von CDU, SPD, FWG und Bündnis 90/Die Grünen:
Selbstverständlich dulden wir wir keinen Rechtsradikalismus in Harsefeld! Nach unseren Informationen hat es jedoch keine Bedrohung gegeben. Daher werden wir ohne Gespräche mit den direkt Beteiligten keine weitere Stellungnahme abgeben.
Mit freundlichem Gruß,
Elke Martin (Bündnis 90 / Die Grünen)"
(E-Mail vom 5.5., 22.08 Uhr)
Dieser gemeinsamen Stellungnahme der Harsefelder Parteien hat sich Samtgemeindebürgermeister Rainer Schlichtmann (parteilos) am 6.5. angeschlossen.
C) Stellungnahme der Filmemacher gegenüber dem WOCHENBLATT:
"In diesen Tagen ist die italienische Version des Films "Die Geige aus Cervarolo" in den Kinos der Städte Bologna, Modena, Verona und Reggio Emilia gezeigt worden.
In den letzten Monaten hat es zahlreiche Filmabende in Italien, in der Schweiz und in Deutschland gegeben. Es gab auch eine Tournée durch die Städte der Angeklagten.
Nirgends hat es Probleme gegeben, das Publikumsinteresse war überall eher groß.
In Harsefeld scheint es nun Menschen zu geben, die die Geschichte der Kriegsverbrechen gegen die italienische Zivilbevölkerung leugnen wollen und die nicht wahrhaben wollen, dass einer der Täter in ihrem Ort wohnt.
Geschichte ist allerdings kein Meinungsaustausch. Hier geht es um Tatsachen.
Die Verbrechen einiger Einheiten der Fallschirm-Panzer-Division "Hermann Göring" aus dem Jahre 1944 sind unbestritten.
Herr Alfred L. ist von italienischen Militärgerichten wegen persönlicher Verantwortung bei der Durchführung der Mordaktionen von Monchio (18. März 1944, 136 Tote) und von Vallucciole (13. April 1944, 200 Tote) verurteilt worden.
Leider kann man Geschichte nicht rückgängig machen. Leider werden die Opfer und ihre Familien nicht entschädigt. Leider werden die Täter aus politisch-diplomatischen Gründen auch trotz ihrer Verurteilung nicht bestraft.
Was wir tun können ist die Dinge beim Namen nennen, damit unsere Gesellschaft darüber nachdenkt und hoffentlich ein paar Schlüsse zieht:
Die Tötungsaktionen von Monchio und Vallucciole waren Verbrechen - diejenigen, die sie durchgeführt haben sind Verbrecher.
Unsere Gedanken gelten den Opfern und ihren noch lebenden Angehörigen, deren einzige sehr eingeschränkte Wiedergutmachung das Gefühl ist, dass diese Wahrheit nicht vergessen wird.
Dafür haben wir diesen Film gemacht und werden ihn weiterhin überall zeigen.
Wir erwarten uns einen neuen Termin auch in Harsefeld."
Nico Guidetti und Matthias Durchfeld
Reggio Emilia, 03.05.2013
D) Links zu dem Thema:
Bericht in der italienischen Tageszeitung "Gazzetta di Reggio" über die Absage der Filmvorführung in Harsefeld (4.5.2013): Titelseite - Seite 31
Bericht in der "Gazzetta di Reggio" über die Bestätigung des Verona-Urteils durch die zweite Instanz in Rom (27.10.2012)
Bericht in der "Gazzetta di Reggio" über das Urteil im Verona-Prozess (8.7.2011)
Kampagne "Mai più Fascismo" (Gegen den Faschismus):Artikel über die Massaker in Italien
Ausführlicher Bericht der Historikerin Marianne Wienemann über die Verbrechen der Division "Hermann Göring"
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