"Integration droht zu scheitern": Niedersachsens Kommunen warnen die Landesregierung
jd. Harsefeld. "Wir schaffen das", verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle. Doch dort, wo die Integration der rund einer Million Flüchtlinge, die seit Sommer 2015 nach Deutschland gekommen sind, erfolgen muss, fehlt das Geld: Die Kommunen fühlen sich von Bund und Land im Stich gelassen, weil es nicht ausreichend finanzielle Unterstützung gibt. Auf seiner Mitgliederversammlung in Harsefeld verabschiedete der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) jetzt eine Resolution zum Thema Integration: Der kommunale Spitzenverband fordert darin die Bereitstellung einer Integrationspauschale.
Laut NSGB-Präsident Dr. Marco Trips erhält das Land Niedersachsen vom Bund 186 Millionen Euro für die Jahre 2017 und 2018, um die Integration von Flüchtlingen zu fördern. "Mit Befremden nehmen wir zur Kenntnis, dass dieses Geld nicht an die Kommunen weitergeleitet wird", erklärt Trips. Statt die Mittel gezielt den Gemeinden für deren Flüchtlingsarbeit zukommen zu lassen, "wurschtelt sich das Land mit einem unkoordinierten Angebot von Sprachkursen durch."
Nach Ansicht des Städte- und Gemeindebundes kann echte Integration nur über Arbeit und selbstverantwortliches Handeln der zugewanderten Menschen erfolgen. Doch die Flüchtlinge würden mangels entsprechender Angebote so lange ohne Arbeitsmöglichkeit gelassen, bis sie sich daran gewöhnt hätten, so Trips. Die große Politik setze im wesentlichen die Fehler der Vergangenheit fort: "So droht die Integration dramatisch zu scheitern."
Rund ein Dreivierteljahr vor den Landtagswahlen positioniert sich der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) zudem gegenüber einer künftigen Landesregierung: Die kommunale Interessenvertretung, in der etwa 400 (Samt-)Gemeinden und kleinere Städte zusammengeschlossen sind, hat auf der Jahrestagung in Harsefeld deutliche Erwartungen formuliert, die sie an die Landespolitik richtet. NSGB-Präsident Dr. Marco Trips stellte seine Forderungen an Hannover unter das Motto: "Hilfe (für die Kommunen): Ja! - Teure Wahlversprechen: Nein!"
Rechtsanspruch auf Ärzteversorgung und Breitband für alle
Das WOCHENBLATT hatte bereits in der Samstags-Ausgabe über die Ablehnung einer Kita-Beitragsfreiheit seitens des NSGB berichtet. Neben der Forderung nach einer Integrations-Pauschale (siehe Titel dieser Ausgabe) nahm Trips sich die Ärzteversorgung, den Breitbandausbau und die Überlegungen zu einer Gebietsreform in Niedersachsen vor:
• Ärzteversorgung: Die Schaffung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) könnte nach Auffassung des NSGB eine Lösung sein, um der drohenden Unterversorgung bei Landärzten zu begegnen. Laut Trips wird eine kommunale Trägerschaft solcher Ärztezentren aber mehrheitlich von den Gemeinden abgelehnt.
Die vom Land in Aussicht gestellten 50.000 Euro für Kommunen, die ein MVZ betreiben wollen, würden nicht einmal ausreichen, um bestehende Räume renovieren zu können. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung sei Aufgabe des Landes und der kassenärztlichen Vereinigung, so Trips: "Wir fordern einen Rechtsanspruch auf einen Hausarzt in jeder Gemeinde." Für nur 50.000 Euro sei das aber nicht zu haben.
• Breitband: Deutschland hinke beim schnellen Internet anderen Ländern weit hinterher, so Trips. Während beispielsweise in Spanien 53 Prozent der Haushalte über Glasfaserkabel verfügen, seien es in Deutschland nicht einmal sieben Prozent, in ländlichen Regionen sogar nur 1,4 Prozent. Im OECD-Vergleich liege die Bundesrepublik ganz weit hinten. "Hier sehe ich ein Komplettversagen von Bund und Land" erklärt Trips: "Nun sollen es die Kommunen richten." Allerdings würden diejenigen Kommunen, die nicht gleich in Glasfaser investieren, ein falschen Weg beschreiten. Der geförderte Ausbau auf dem Land komme nicht recht voran: "Die Programme leiden am Rosinenpicken der Telekom."
• Gebietsreform: Trips warnt die Regierenden in Hannover davor, die kommunalen Strukturen im Land anzutasten: "Zerstören Sie die Samtgemeinden oder geben eine neue Gemeindegröße vor, so zerschlagen Sie die Identifikation der Menschen mit ihrer örtlichen Gemeinschaft." Eine Gemeindereform, die die Abschaffung der Samtgemeinden und deren Umwandlung in Einheitsgemeinden zum Ziel habe, dürfe in Niedersachsen auf keinen Fall auf den Weg gebracht werden.
Die Botschaft an die Landespolitiker ist unmissverständlich: "Hüten Sie sich vor einem Angriff auf die Samtgemeinden oder einer großen Fusionitis!" Gerade bei der Flüchtlingskrise habe es sich gezeigt, dass kleinere kommunale Einheiten besser funktionieren, so Trips: "Wenn von Fusion die Rede ist, dann sollen erst einmal Niedersachsen und Bremen fusionieren."
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