Kritik an Bürokratie-Irrsinn

Auch für Sanierungsarbeiten - wie hier in den vergangenen Sommerferien in der Grundschule Dollern/Agathenburg - sind umfangreiche Vergabeverfahren erforderlich  Foto: lt/Archiv
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Was für ein Wahnsinn: Kommunen sollen elektronische Abrechnung einführen, aber beim Land Belege in Schriftform einreichen

(jd). Trotz aller Unkenrufe: Noch brummt die Konjunktur. Die Steuersäckel der meisten Kommunen sind gut gefüllt. Städte und Gemeinden investieren in Neubauvorhaben und Sanierungsmaßnahmen. Doch längst nicht jedes Bauprojekt kann umgesetzt werden - nicht, weil das Geld fehlt, sondern weil sich derzeit kaum noch Handwerker finden lassen. Die Betriebe sind gut ausgelastet und viele ziehen Aufträge aus dem privaten Bausektor vor, weil die Auftragsvergaben der öffentlichen Hand oftmals mit vielen formalen Hürden verbunden sind. Weg mit den bürokratischen Hemmnissen, verlangen jetzt die drei kommunalen Spitzenverbände in Niedersachsen. Sie fordern die Landesregierungen auf, den angekündigten Abbau von überflüssiger Bürokratie zügig umzusetzen. Auch in den Rathäusern der Region sieht man hier dringenden Handlungsbedarf.

"Wir haben vor Ort Handwerksfirmen, die reagieren gar nicht erst auf unsere Bitte, Angebote für Bauleistungen abzugeben", sagt Roger Courtault, Bauamtsleiter der Samtgemeinde Horneburg. Gerade Inhaber kleinerer und mittlerer Betriebe würden den Aufwand scheuen, der mit einem öffentlichen Vergabeverfahren verbunden sei. "Die sagen sich dann, der ganze Papierkram ist uns zu viel, nur um den Zuschlag für einen Auftrag über 10.000 Euro zu erhalten." Mit dieser Erfahrung steht Cortault nicht allein da: Laut Thorsten Bullerdiek, Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB), bekämen die Verwaltungen von den Handwerkern immer wieder zu hören: "Die öffentlichen Auftraggeber müssen sich hinten anstellen, das System ist uns zu kompliziert."

Immer komplizierter und aufwändiger wird es auch für die Verwaltungen: "Die Kommunen müssen jetzt das elektronische Vergabeverfahren einführen", sagt Courtault. Was im Prinzip eine Arbeitserleichterung und Vereinfachung der Abläufe darstellen soll, beinhaltet zahlreiche Fallstricke, weil vieles im krassen Gegensatz zu den geltenden Förderrichtlinien steht. Expertenwissen ist dann gefragt, doch viele Rathäuser sind aus Kostengründen gar nicht in der Lage, solch hoch spezialisiertes Personal vorzuhalten.

Für die großen Bauvorhaben ziehen selbst Städte wie Buchholz externe Berater hinzu. Im eigenen Haus könnten solche Großprojekte nicht mehr bearbeitet werden, weil das Vergaberecht gerade auf EU-Ebene viel zu kompliziert sei, so Heinrich Helms, Pressesprecher der Stadt Buchholz. Eine Lösung könnte die sogenannte Vergabestelle sein, die jetzt der Landkreis Harburg eingerichtet hat und der auch Buchholz beigetreten ist. Bei größeren Bauvorhaben können sich die Kommunen nun an den Landkreis wenden. "Wir versprechen uns davon eine Effizienzsteigerung", so Helms.

Einer, der sich in der Region wie kaum ein anderer mit der Förderpraxis von Land, Bund und EU auskennt, ist Harsefelds Samtgemeinde-Bürgermeister Rainer Schlichtmann. Er kritisiert, dass ausgerechnet die Landesbehörden bei der Gewährung von Fördermitteln eine Abrechnung in Papierform und das Einreichen von Originalbelegen und -rechnungen verlangen.

"Das passt doch nicht zusammmen", erklärt der Harsefelder Rathauschef und wundert sich über den Bürokratie-Irrsinn: "Einerseits sollen wir bei der Abrechnung mit den Baufirmen und den Handwerksbetrieben das beleglose Verfahren einführen, andererseits wird seitens des Landes verlangt, die ausgedruckten Formblätter mitsamt Verwendungsnachweisen abzugeben." Die Kommunen zu verpflichten, digitale Rechnungen zu akzeptieren, und dann aber die Vorlage von schriftlichen Originalbelegen zu fordern, bevor Fördergelder ausgezahlt werden, sei doch ein Widerspruch in sich.

Schlichtmann, der Vize-Präsident des NSGB ist, setzt wie viele seiner Amtskollegen jetzt darauf, dass Wirtschaftsminister Bernd Althusman (CDU) Ernst macht mit der Ankündigung, bürokratische Hürden einzureißen. Gerade das Vergaberecht sollte man sich in Hannover vornehmen, so Schlichtmann: "Ich frage mich, ob es sein muss, dass bei den vom Land, vom Bund oder von der EU bezuschussten Baumaßnahmen Unterlagen gleich bei drei bis vier Institutionen zur Prüfung vorgelegt werden müssen." Es könnte doch reichen, wenn eine Behörde im Auftrag anderen bestätigt, dass alles in Ordnung sei.

Schlichtmann schließt sich der Forderung seines Verbandssprechers Bullerdiek an, den Kommunen wieder mehr freie Hand bei Investitionen zu geben und das Vergaberecht zu entschlacken: "Wenn das Vergaberecht so bleibt, wie es ist, werden viele Baustellen noch viel länger dauern als geplant."

• Dies ist nur ein Punkt von vielen zu den Themen Lockerung des Vergaberechts und Entbürokratisierung. Mehr dazu lesen Sie in einer der nächsten WOCHENBLATT-Ausgaben.

Redakteur:

Jörg Dammann aus Stade

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