Ende der Dorffürsten? AfD schlägt Einheitsgemeinde Hollenstedt vor

Für viele wohl ein Alptraum: Die „Einheitsgemeinde Hollenstedt“ | Foto: msr/wikipedia
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mi. Hollenstedt. Die Samtgemeinde Hollenstedt steht finanziell auf tönernen Füßen. Nach derzeitigen Prognosen kann die Kommune bereits 2018 Kreditzinsen nur noch aus der Rücklage finanzieren. Der Schuldenstand steigt bis 2019 auf neun Millionen Euro. Um diese finanzielle Talfahrt zu beenden, will die AfD prüfen lassen, ob es nicht effizienter wäre, der klammen Samtgemeinde die reichen Mitgliedsgemeinden zuzuschlagen und eine neue Einheitsgemeinde zu gründen.
Die Idee, Samtgemeinden in Einheitsgemeinden aufgehen zu lassen, hat durchaus Charme: Im Jahr 2011 führte der Landesrechnungshof dazu eine Studie durch. Ergebnis: Durch die Umwandlung zur Einheitsgemeinde reduziert sich die Anzahl der politischen Mandatsträger im Schnitt um 53 Prozent. Auch die Anzahl der Ratssitzungen sinkt laut der Studie um rund 57 Prozent. Allein hier attestiert der Rechnungshof ein Sparpotenzial von durchschnittlich 45.000 Euro jährlich. Noch wichtiger ist aber, dass sich laut Rechnungshof auch bei den Ausgaben für Verwaltungspersonal Einsparungen von über neun Prozent erzielen lassen. Durch die schlankere Verwaltung sinken außerdem langfristig gesehen auch die Kosten für Pensionen. Die AfD will mit dem Vorschlag die Spardebatte um eine Facette erweitern.
Mit einem umfangreichen Fragenkatalog will die AfD klären lassen, welche finanziellen Einsparungen zu erwarten sind.
Fraktionschef Wolfgang Mader konkretisiert: „Wir wollen eine ergebnisoffene Prüfung.“ Allerdings gebe es in seiner Fraktion nach dem derzeitigen Faktenstand durchaus Sympathien für den Vorschlag. Wolfgang Marder: „Es kann nicht sein, dass die Mitgliedsgemeinden im Geld schwimmen, während die Samtgemeinde finanziell immer mehr ins Abseits gerät.“ Damit spricht Marder ein grundsätzliches Problem an: Anders als in einer Einheitsgemeinde sind die Mitgliedsgemeinden in einer Samtgemeinde eigenständige Verwaltungseinheiten, sie verfügen über Finanz- und Planungshoheit. Kostenintensive Aufgaben, wie Feuerwehren, Grundschulen und Kinderbetreuung, sind allerdings fast immer auf die Samtgemeinde ausgelagert. Dafür zahlen deren Mitgliedsgemeinden einen erheblichen Anteil ihrer Einnahmen direkt an die Samtgemeinde.
Mit ihrem Vorstoß will die AfD nach eigenen Angaben auch den Gegnern des Einheitsgemeinden-Konzeptes einen Denkanstoß geben. Davon gibt es eine ganze Menge. Angefangen bei der CDU und den diversen Wählergemeinschaften Hintergrund: In fast jeder der sieben Mitgliedsgemeinden sitzt entweder ein CDU-Mann oder ein Mitglied der Wählergemeinschaften auf dem Bürgermeisterthron. Diese „Dorffürsten“ können der Idee einer Einheitsgemeinde nichts abgewinnen. Kein Wunder: Die Konsequenz wäre ihre politische Bedeutungslosigkeit. Das Vermögen ihrer Gemeinden würde komplett in den Besitz der neuen Einheitskommune übergehen. Doch auch diese Kritiker  können gewichtige Argumente ins Felde führen. Folgt man Hollenstedts Bürgermeister Jürgen Böhme, einem erklärten Gegner des Konzepts, so halte die Reform nicht, was sie verspreche. Böhme: „Es ist so gut wie sicher, dass es im Personalbereich zu keinerlei Einsparungen kommt.“ Die Verwaltung sei in einer Einheitsgemeinde sowohl geographisch als auch inhaltlich für ein viel umfangreicheres Gebiet zuständig. Die Folge wären Personalaufstockungen, nicht Einsparungen. Außerdem sei eine kleinteilige politische Struktur viel bürgernäher als der große, unpersönliche, zentrale Rat einer Einheitsgemeinde. Was Jürgen Böhme damit meint, wird deutlich, wenn man sich die Unterschiede zwischen Deutschlands größter Einheitsgemeinde Seevetal (40.000 Einwohner), und Kleinst-Gemeinden, wie der zur Samtgemeinde Hollenstedt gehörende Mini-Kommune „Drestedt“, anschaut. In Drestedt entscheidet ein Rat aus unter zehn Personen eigenständig über alles, was den 800-Seelen-Ort betrifft. In Seevetal dagegen wird selbst die 10.000- Einwohner-Metropole Meckelfeld zentral regiert. Als Mitsprachemöglichkeit gibt es nur einen Ortsrat ohne jegliche Entscheidungskompetenz. Für Jürgen Böhme ein Alptraum: „Ehrenamt und Bürger-
engagement werden maßgeblich getragen von einer handlungsfähigen Politik vor Ort“, so der Hollenstedter Bürgermeister. So seien zum Beispiel Großveranstaltungen wie der Hollenstedter Herbstmarkt kaum möglich, ohne eine kleinteilige Verzahnung zwischen Ehrenamt und Politik.
Doch stimmt das? In der Einheitsgemeinde Rosengarten wird seit Jahren einer der schönsten Weihnachtsmärkte der Region ehrenamtlich organisiert. Auch was die Nähe zum Bürger angeht, gibt es keine Rückschlüsse, dass die Einheitsgemeinde Politikverdrossenheit fördere. Zumindest spricht die Wahlbeteiligung nicht dafür, die war bei den Kommunalwahlen 2011 und 2016 in der Einheitsgemeinde Rosengarten jedenfalls höher als in allen Samtgemeinden.
Wie dem auch sei: Ohne die Zustimmung der Mitgliedsgemeinden ist eine Reform ohnehin nicht möglich. Das bestätigt auch ein Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes: „Grundvoraussetzung ist, dass die Mitgliedsgemeinden ihre eigene Selbstlauflösung beschließen und der neuen Einheitsgemeinde beitreten“, so der Verwaltungsfachmann. Endgültig entscheide dann das Land Niedersachsen, ob die Umwandlung durchgeführt wird.
Für Samtgemeinde-Bürgermeister Heiner Albers ist die Diskussion deswegen eine Scheindebatte. Albers: „Es gibt zwar vieles, was für die Einheitsgemeinde spricht, allerdings halte ich eine Reform - so sinnvoll sie wäre - für nicht durchführbar.“  Albers kündigte an, bevor die Verwaltung in die umfangreiche „Abarbeitung“ der AfD-Anfrage einsteige, bedürfe es aus seiner Sicht eines formellen Antrags, der im Samtgemeinderat abgestimmt werden müsse.

Redakteur:

Mitja Schrader

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