Feuer machen, Wasser filtern, Zweighütte bauen
Mini-Survival-Training bei Starkregen
Beinah wäre das Seminar ins Wasser gefallen - doch wer in der Wildnis überleben will, kann nicht auf gutes Wetter warten. Feuer machen, Spuren lesen, Unterschlupfe bauen oder Fährten lesen: All das lehrt Waldpädagoge Jörn Freyenhagen bei seinem generationsübergreifenden Mini-Survival-Training. Ich, WOCHENBLATT-Volontärin Pauline Meyer, hatte schon immer vor, an einem Survival-Training teilzunehmen - heute ist es so weit.
Es regnet in Strömen, als ich den Rüstjer Forst nahe Horneburg erreiche. Ich trage zwar, wie abgesprochen, wetterfeste Kleidung, aber vielleicht hätte ich mich doch lieber für die Gummistiefel entscheiden sollen, denn die riesigen Pfützen auf dem Boden des Parkplatzes bedrohen mein noch trockenes Schuhwerk. Ein Glück, dass ich keine Scheu vor Dreck habe.
Nach und nach treffen die Teilnehmer ein: Ehepaare, Eltern mit Kindern oder Großeltern. Keiner ließ sich vom Platzregen abschrecken. Überlebenstraining ist eben nichts für Zartbesaitete.
In einer Waldhütte erklärt uns Jörn Freyenhagen spielerisch die Grundlagen des Survivals: Was tue ich, wenn ich mich im Wald verlaufen habe, ich einem wilden Tier begegne oder es gewittert? Bei der kurzen Theorieeinheit wissen viele der Kinder schon sehr gut Bescheid: Ruhig bleiben, wenn wir einem Wolf begegnen, und lieber auf einen Baum klettern, wenn uns eine Bache mit ihren Frischlingen über den Weg läuft. "Only food runs", zu deutsch "Nur Essen rennt". Diese Regel lernte Freyenhagen von einem Tour-Guide auf einer Safari in Afrika. Eine sinnvolle Regel, denn im Zweifel sind die Tiere schneller als wir. Freyenhagen zeigt uns sein Survival-Kit, das Dinge wie Draht, Feuerstahl, Taschenmesser oder Alufolie umfasst. Er zeigt uns auch, wie wir im Notfall Wasser aus einem Bach filtern können - der Wald bietet alles, was man braucht.
Nun geht es an den praktischen Teil: Tipis bauen. So ein Unterschlupf kann Gold wert sein, wenn man über Nacht im Wald bleiben muss. Im besten Fall schützt er vor Nässe und Kälte und bietet Schutz vor wilden Tieren. In meinem Team sind Mutter Steffi Gadow und Sohn Luis aus Jork. Mit dem achtjährigen Luis habe ich einen echten Experten an meiner Seite. "Ich hab schon ganz viele Tipis gebaut, ich bin ein Bau-Profi", erklärt der Grundschüler, der zielsicher die größten Äste der Umgebung findet und zu unserem Lager trägt. Lange, stabile Äste werden an einen Baum gelehnt und im Boden verankern. Darüber flechten wir mittelgroße Kiefernnadel-Äste ein, die als Füllmaterial fungieren und eine Verankerung für den Farn darstellen, den wir zur Isolation nutzen. Eine halbe Stunde haben wir Zeit, um das Tipi so zu bauen, dass vier Leute Platz finden und im besten Fall kein Wasser eintritt. Den Wasser-Test besteht unser Tipi, auch wenn durch den nicht weniger werdenden Regen sowieso schon alle durchnässt sind. Die Aufgabe macht, trotz der widrigen Umstände, wahnsinnig Spaß und ich merke, wie toll mein Team zusammenarbeitet.
Es geht nicht nur darum, den Wald neu zu entdecken, es geht auch darum, die eigenen Teammitglieder neu kennenzulernen. Vor eine ungewohnte Herausforderung gestellt zu werden, in einer (theoretischen) Extremsituation zusammenzuarbeiten und dabei auch noch etwas Nützliches zu lernen. Genau darauf zielt die Arbeit des Waldpädagogen Freyenhagen mit seinem Programm ab. Erfolgreich. Jeder gibt sein Bestes, keiner scheut sich davor, sich die Hände schmutzig zu machen. Luis schneidet sich sogar die Finger am Farn auf, doch so ein bisschen Blut macht dem tapferen Schüler nichts aus. Er wurde von klein auf an die Themen Wald und Natur herangeführt, besuchte sogar eine Outdoor-Krippe, wie Mutter Steffi verrät.
Nach dem Tipi-Bauen geht es zur Feuerstelle. Hier lernen wir, selber Feuer zu machen. Ich stütze den Feuerstahl auf ein Stück Watte und schlage mit der scharfen Kante des Feuerschlägers an ihm herunter. Erst geschieht nichts, ich bekomme nicht genügend Schwung. Einer der Teilnehmer gibt mir den Tipp, den Feuerstahl in einem flacheren Winkel zu halten. Sofort sprühen Funken und beim dritten Schlag entzündet sich die Watte: Ich habe Feuer gemacht! Mit meinen eigenen Händen. Das fühlt sich großartig an. An besagtem Feuer versammeln wir uns und machen Stockbrot und Popcorn und erzählen aus unserem Leben.
Jörn Freyenhagen arbeitete vor dem Ruhestand als Journalist, war viel unterwegs. Jetzt genießt er die Ruhe in der Natur, die Stille des Waldes und vermittelt sein Wissen.
Am Ende des Mini-Survival-Trainings bin ich klitschnass, rieche nach Rauch und habe dreckige Hände. Das alles macht mir aber nichts aus, denn der Nachmittag hat großen Spaß gemacht - und mich ein Stück weit auf ein Überleben in der Wildnis vorbereitet.
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