Vorteilsgewährung für Amtsträger
Jesteburger Verein sagt Neujahrsempfang aus Furcht vor Konsequenzen ab.
(mum). Es klingt wie eine Geschichte aus Absurdistan, spielt in Hamburg und hat Auswirkungen auf die Gemeinde Jesteburg. In dem kleinen Dorf wurde der traditionelle Neujahrsempfang kurzfristig abgesagt. In den vergangenen Jahren waren stets die Gemeinde gemeinsam mit dem Bürger- und Gewerbeverein sowie der Kirche Gastgeber des gut besuchten Treffens. Zusätzlich durfte jedes Jahr ein anderer Verein aus dem Ort als vierter Gastgeber fungieren. Die Kosten (etwa 1.500 Euro) teilten sich Gemeinde und Gewerbeverein. So sollte es auch 2019 sein, doch dann wurde Paul-H. Mojen, Vize-Vorsitzender des Bürger- und Gewerbevereins, auf einen Bericht in der "Bild"-Zeitung aufmerksam und kündigte das Orga-Trio auf.
Die "Bild" schreibt, dass ein Hamburger Staatsanwalt gegen den Vorstand des Sportvereins TSC Wellingsbüttel vorgegangen war. Laut der Zeitung beschlossen der Vorsitzende Volker Helm und weitere Mitglieder, im Januar 2018 einen Neujahrsempfang auszurichten. Auch Platzwarte und Hausmeister wurden eingeladen, um sich bei ihnen für die Zusammenarbeit zu bedanken. Doch die Hausmeister waren bei der Stadt angestellt und somit öffentliche Amtsträger. Darum erkundigte sich einer von ihnen, ob er zum Fest gehen dürfe. Laut "Bild" wurde dies abgelehnt. Und nicht nur das: Über ein internes Meldesystem landete der Fall beim Staatsanwalt. Der Vorwurf: Vorteilsgewährung für Amtsträger. Die drei Beteiligten wurden vor die Wahl gestellt: Jeweils 100 Euro Strafe oder Prozess. Helm wird in dem Bericht zitiert: "Wir haben gezahlt, wollten uns ein langwieriges Verfahren ersparen."
"Ich habe Sorge, dass unser Neujahrsempfang ebenfalls einem Staatsanwalt Anlass zu Ermittlungen gibt", erklärt Mojen die Absage. Zu den Gästen zählten unter anderem alle Politiker des Ortes, Mitarbeiter des Verwaltung (dazu gehört auch der Bauhof), Gewerbetreibende sowie Vereinsfunktionäre. "Also eine ähnliche Personengruppe wie in Hamburg", so Mojen. Er bedauere die Absage sehr, denn auch ihm hätte der Empfang stets große Freude bereitet.
Bürgermeister ohne Lust, jetzt lädt die Kirche ein
Offensichtlich ist die Angst von Paul-H. Mojen nicht ganz unbegründet. Zwar kann Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas, Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft, nichts zu dem Hamburger Fall sagen. Er weist aber auf aktuelle Ermittlungen hin. Weil das Landgericht Hannover möglicherweise zu großzügig bei der Versorgung der eigenen Mitarbeiter gewesen ist, ermittelt die Stader Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Haushaltsuntreue. Unter anderem geht es um zwei Kaffeemaschinen und kostenloses Trinkwasser. Auch für ein Fußballturnier der Beschäftigten soll Geld locker gemacht worden sein. Es soll um 6.000 bis 10.000 Euro gehen.
Nach der Absage von Mojen hätte vielleicht die Gemeinde den beliebten Neujahrsempfang organisieren können. Doch "als Bürgermeister habe ich nie das Bedürfnis gehabt, einen Neujahrsempfang zu veranstalten", so Udo Heitmann. "Weil theoretisch bis Mai irgendwo immer ein Neujahrsempfang stattfindet, bei dem sich irgendwie immer die gleichen Teilnehmer treffen." Für Heitmann habe es in Jesteburg in der Kombination aus Kirche, Gemeinde, Samtgemeinde und einem Verein Sinn gemacht, ein gemeinsames Treffen anzubieten. "Als Vertreter der weltlichen Gemeinde werde ich nicht nur mit der evangelischen Kirchengemeinde einen derartigen Empfang veranstalten", so der Bürgermeister.
Muss er auch nicht, denn die Kirche macht es jetzt allein und kehrt damit quasi zu den Wurzeln des Neujahrsempfangs zurück. Der damalige Pastor Ulrich Kusche hatte vor gut zwölf Jahren zum ersten Mal zu einem Empfang eingeladen. Später kamen die Kaufleute und die Gemeinde hinzu. Als Carola von der Lieth, Sprecherin der Kirche, von dem Aus des Empfangs hörte, informierte sie den Kirchenvorstand. Gemeinsam mit Peter Börke, dem stellvertretenden Vorsitzenden, organisiert sie nun das Treffen. Es findet am Sonntag, 20. Januar, statt. "Alle Jesteburger aus Kirche, Politik und den Vereinen sind herzlich eingeladen", so die Organisatoren. Los geht es um 17 Uhr mit einem musikalischen Gottesdienst. Im Anschluss - etwa gegen 18.30 Uhr - findet ein Empfang im Gemeindehaus (Lindenstraße 2) statt.
• "Eine Anmeldung erleichtert unsere Planung", so von der Lieth - entweder via E-Mal an kg.jesteburg@evlka.de oder telefonisch unter 04183 - 509729.
Die Bürger wachrütteln
Der Jesteburger Neujahrsempfang war stets etwas Besonderes. Statt der freundlichen, aber doch recht inhaltlosen Reden, die häufig anlässlich solcher Treffen gehalten werden, nutzen die Gastgeber dort die Gelegenheit, um die Bürger wach zu rütteln.
Vor einem Jahr war es Henning Buss, Vorsitzender des Fördervereins "Unser Freibad", der den Finger in die Wunde legte, als er ein gesellschaftliches Phänomen thematisierte: "Die Ehrenamtlichen, die sich in Jesteburg engagieren, werden immer weniger. Vor allem aus meiner eigenen Generation kommen wenig neue Jesteburger nach", so Buss. "Wenn jeder glaubt, jemand anderes kümmere sich, dann macht es irgendwann niemand mehr.“ Buss beklagte zudem das maßlose Anspruchsdenken einzelner. "Viele Vorstände sehen sich Vorwürfen ausgesetzt. Da heißt es dann, 'das hätte man ganz anders machen müssen'. Nicht jeder kann das an sich abprallen lassen."
Ein Jahr zuvor warnte Henning Erdtmann, der ehemalige Vorsitzende des Bürger- und Gewerbevereins, davor, "die Vielseitigkeit des Einzelhandels geht in Jesteburg verloren.“ Erdtmann appellierte an die Gäste, regionale Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und lokal zu kaufen.
Wieder ein Jahr zuvor machte Kirchenvorsteherin Carola von der Lieth deutlich, in welcher Situation die Kirche sich - nicht nur in Jesteburg - befindet. "In den konfessionell neutralen Kitas werden Kindern keine Inhalte des Kirchenjahres vermittelt." Selbst im Kindergottesdienst seien Eltern geschockt, wenn es in der Passionszeit tatsächlich um das Leiden Jesus geht. "In der Schule sind dann andere Religionen das vorherrschende Thema. Bis zur 10. Klasse hat ein Kind mehrfach über Buddhas vier Ausfahrten referiert oder die fünf Säulen des Islam gelernt, aber nichts über die Bergpredigt oder die Bedeutung der Taufe erfahren." Das mache sich auch in der Zahl der Gemeideglieder bemerkbar. "Heute ist nicht einmal mehr die Hälfte der etwa 7.600 Jesteburger Mitglied in der Kirche."
Auch Pastorin Ellen Kasper und Samtgemeinde-Bürgermeister Hans-Heinrich Höper nutzten die Empfänge jeweils für kritische Worte.
Auf ein Wort:
Lustloser Bürgermeister
Es ist das gute Recht des Bürgermeisters, keine Lust auf einen Neujahrsempfang zu haben. Allerdings geht es in diesem Fall nicht um die persönlichen Vorlieben des Herrn Heitmann. Die Jesteburger hatten Gefallen an ihrem Empfang. Die kritischen Beiträge der Redner zeigen, dass es den Besuchern um mehr ging, als um ein paar kostenlose Canapés. Während des Empfangs wurden Kontakte geknüpft und sich ausgetauscht.
Auf ein Wort
Das aber ist Heitmann egal. Vielleicht auch, weil seine Reden (er ist alle zwei Jahre im Wechsel mit Samtgemeinde-Bürgermeister Hans-Heinrich Höper an der Reihe) nie zu den Glanzlichtern zählten. Heitmanns fehlendes Interesse wirft ein ganz schwaches Bild auf die Art seiner Amtsführung. Sollte er keine Lust mehr auf den Bürgermeister-Posten haben, sollte er einen Rücktritt in Erwägung ziehen. Das Problem dürfte allerdings sein, dass die SPD keine mehrheitsfähige Alternative in ihren Reihen hat.
Sascha Mummenhoff
Kommentar:
Bürokraten nehmen das Ende des ehrenamtlichen Engagements in Kauf
Haben Staatsanwälte denn wirklich nichts Besseres zu tun? Wegen ein paar belegter Brote drohte drei Sportvereins-Funktionären ein juristisches Nachspiel. Aus meiner Sicht nehmen Bürokraten mit solchen Maßnahmen in Kauf, dass sich immer weniger Menschen ehrenamtlich engagieren. Nicht zuletzt nach der Datenschutz-Grundverordnung fürchten viele, dass man ein juristisches Staatsexamen braucht, um einen Verein zu führen. Anpacken, Mitglieder motivieren und ein offenes Ohr zu haben - das gehört längst nicht mehr allein zum Aufgabengebiet eines Vorsitzenden. Für mich geht diese Entwicklung eindeutig in die falsche Richtung.
Darüber hinaus geht es mir aber auch um die Menschen, die "beschenkt" werden. Hausmeister, Bauhof-Mitarbeiter oder Putzfrauen - es gibt so viele Menschen, die deutlich mehr für das Gemeinwohl tun, als es ihr Arbeitsvertrag vorsieht. Ihr Gehalt ist weit von dem eines Staatsanwalts entfernt. Ist es falsch, ihnen im Zuge eines Empfangs danke zu sagen? Ich finde nicht.
Übrigens: Der Fall erinnert an eine Geschichte vor fast zwölf Jahren. Damals fand der 2014 verstorbene CDU-Landtagsabgeordnete und Kreistags-Vorsitzende Norbert Böhlke in der Silvesternacht auf der Polizeistation in Buchholz keine Abnehmer für seine Berliner. Die Beamten fürchteten, sich der Vorteilsnahme schuldig zu machen. Böhlkes Rundgang - unter anderem war er auch bei den Rettungsdiensten - hatte Tradition.
Sascha Mummenhoff
Redakteur:Sascha Mummenhoff aus Jesteburg |
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