"Die Mittel reichen bei Weitem nicht aus!"
Der Landkreis steht vor einer neuen Herkules-Aufgabe: Überkapazitäten bei den Flüchtlings-Unterkünften müssen abgebaut und bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden.
(mum). Am Montag teilte der Landkreis Harburg mit, dass nur noch 20 Flüchtlinge pro Woche in die Nordheide kommen (das WOCHENBLATT berichtete). Zuletzt musste der Kreis bis zu 120 Menschen pro Woche unterbringen. Gute Nachrichten also? "Ja und nein", sagt Reiner Kaminski im WOCHENBLATT-Interview, das Redakteur Sascha Mummenhoff mit dem Fachbereichsleiter Soziales führte. Weil der Landkreis nach einer vom Land vorgegebenen, deutlich höheren Quote plante, wurden Verträge mit Eigentümern geschlossen, die nun rückgängig gemacht werden müssen. Zudem steht der Landkreis vor einer weiteren Herkules-Aufgabe: die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.
WOCHENBLATT: Der Landkreis kündigte an, bestehende Verträge mit Eigentümern aufzulösen. Es hieß, dass es um insgesamt 50 Objekte geht?
Reiner Kaminski: Bei rund 20 Objekten sind wir gerade dabei zu prüfen, ob wir diese Unterkünfte im Rahmen der privatrechtlichen Kündigungsfristen aufgeben können. Darüber hinaus laufen Gespräche über die Rückabwicklung bestehender Verträge.
WOCHENBLATT: Das Land zahlt nur für tatsächlich zugewiesene Flüchtlinge, nicht für freie Plätze. Wie hoch wäre der finanzielle Schaden, der dem Landkreis durch leer stehende Objekte entstehen könnte?
Reiner Kaminski: Da die Verhandlungen ja noch laufen, wollen und können wir keine Zahlen nennen, zumal die konkrete Kostenhöhe von Objekt zu Objekt variiert. Neben Pacht- oder Mietkosten gilt das auch für Erschließungs- und Aufbaukosten. Die Kosten des Betreibers werden im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen ermittelt und variieren je nach Ausschreibung und Größe der Anlage.
WOCHENBLATT: Wie hoch sind die Kosten für eine Container-Unterkunft für 100 Personen? Wie setzt sich die Summe zusammen?
Reiner Kaminski: Der Betrieb einer Containeranlage für 100 Personen inklusive Personal- und Nebenkosten sowie Ausstattung liegt jährlich zwischen 300.000 und 400.000 Euro. Zu detaillierten Kosten geben wir allerdings aus Wettbewerbsgründen generell keine Auskünfte.
WOCHENBLATT: Was geschieht mit den bereits fertigen, aber noch nicht belegten Container-Unterkünften? Welche sind es konkret?
Reiner Kaminski: Um Betreiberkosten zu sparen, werden wir einige bereits fertiggestellte Unterkünfte vorerst nicht in Betrieb nehmen. Das betrifft die Containerwohnanlagen in Toppenstedt, Moisburg, Fleestedt, Buchholz Boerns Soll, den Erweiterungsbau Scharmbecker Weg in Winsen und die Anlage in Nenndorf.
WOCHENBLATT: Rechnen Sie damit, dass die Zuteilung der Flüchtlinge jetzt besser koordiniert verläuft?
Reiner Kaminski: Angesichts der aktuell rückläufigen Zuweisungszahlen gehen wir davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen künftig besser koordiniert werden kann. Wir stehen dazu mit den Landesaufnahmebehörden in engem Kontakt.
WOCHENBLATT: Wie ist die Rückvergütung für die Unterbringungskosten von Flüchtlingen seitens des Landes geregelt? Reichen die Mittel?
Reiner Kaminski: Seit 2016 erstattet das Land Niedersachsen den Kommunen pro Jahr und Flüchtling 9.500 Euro, ab 2017 wird diese Pauschale auf 10.000 Euro erhöht. Unsere realen Kosten pro Person liegen jedoch derzeit bei 13.000 Euro pro Jahr, so dass hier nach wie vor eine erhebliche Deckungslücke klafft. Zudem wird die Zahl der Flüchtlinge aus dem Vorvorjahr als Berechnungsgrundlage genommen. Und für Vorhaltekosten, wie sie uns jetzt angesichts rückläufiger Zuweisungen entstehen, gibt es noch keine Regelung zur Kostenübernahme. Daher reichen die Mittel derzeit bei Weitem nicht aus.“
WOCHENBLATT: Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Viele Flüchtlinge werden ein Bleiberecht erhalten. Gibt es Schätzungen, wie viele von ihnen im Landkreis bleiben werden?
Reiner Kaminski: Insbesondere werden die Kriegsflüchtlinge aus Syrien eine gute Chance haben, dass ihr Asylantrag positiv entschieden wird. Es handelt sich jedoch in allen Verfahren um Einzelfallentscheidungen, so dass hier eine konkrete Schätzung schwierig erscheint.
WOCHENBLATT: Ist es vor diesem Hintergrund nicht jetzt besonders wichtig, günstigen Wohnraum zu schaffen? Wie will der Landkreis hier agieren?
Reiner Kaminski: Der Immobilienmarkt in unserer Region war auch schon vor der Flüchtlingskrise sehr angespannt, vor allem günstiger Wohnraum ist in einigen Gemeinden kaum noch zu finden. Wir brauchen aber nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für unsere Bürger mit niedrigen Einkommen bezahlbare Wohnungen. Darum plant der Landkreis gemeinsam mit den Städten und Gemeinden die Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, um bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen.“
WOCHENBLATT: Danke für das Gespräch
Flüchtlinge im Landkreis Harburg
Im Landkreis Harburg sind derzeit 3.496 Flüchtlinge untergebracht. Allein 995 Personen kamen seit Jahresbeginn in die Nordheide. Diese Zahl hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert - 2013 waren es 441, 2014 kamen 784 und im vorigen Jahr 2.253 Personen.
Unter den Flüchtlingen befinden sich 335 Minderjährige. Zudem haben 150 unbegleitete Minderjährige hier ein neues Zuhause gefunden. Sie befinden sich in der Obhut des Jugendamtes. Unter den Asylbewerbern sind 165 Familien, in denen mindestens eine Person jünger als 18 Jahre alt ist.
Seit 2012 hat der Landkreis 95 Unterkünfte mit insgesamt 3.459 Plätzen geschaffen. Aktuell werden in 86 Unterkünften 3.736 Plätze bereit gehalten.
Die Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn in den Landkreis kamen, stammen zum größten Teil aus Syrien (415). Es folgen Irak (158), Afghanistan (112) und Iran (59).
Redakteur:Sascha Mummenhoff aus Jesteburg |
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