Buchholz: Minister Heere besuchte Finanzamt
So wird der Fiskus betrogen
Bis zu 70 Prozent der Umsätze am Fiskus vorbei - so wirtschaften zahlreiche Unternehmen des Landkreises Harburg, berichtete Mitarbeiter P. des Finanzamtes Buchholz (vollständiger Name der Redaktion bekannt), der aus verständlichen Gründen ungenannt bleiben möchte. Solche Zahlen erstaunten dann sogar den niedersächsischen Finanzminister Gerald Heere (Bündnis 90/ Die Grünen), der beim Finanzamt Buchholz seinen Besuch nachholte. Der erste Besuch hatte wegen der Bauernproteste aus Sicherheitsgründen abgesagt werden.
Hinter solchen Summen verblassten sogar Themen wie Digitalisierung und Fachkräftemangel ein wenig. Immerhin machte der Minister beim Ortstermin im Buchholzer Finanzamt klar: Die größte Herausforderung für die Zukunft ist es angesichts des demokratischen Wandels, gute Leute für die Finanzverwaltung zu bekommen.
Finanzamtschefin Stephanie Sieker hatte dann aber auch eine gute Nachricht im Gepäck: Alle zehn Ausbildungsplätze im Buchholzer Finanzamt konnten - nach Startschwierigkeiten im vergangenen Herbst und trotz Konkurrenz aus dem nahen Hamburg - besetzt werden. Man habe schließlich sogar eine elfte Stelle geschaffen, als ein gut geeigneter Bewerber erschienen war. Für diese flexible Einstellung gab's sogleich ein Lob vom Minister. Ein großes Problem: Auszubildende müssen auch an der Akademie in Bad Eilsen und Rinteln lernen - weit weg von Buchholz und für junge Leute schlecht zu erreichen. Und ein neuer, näherer Standort ist derzeit nicht geplant.
"Aber wir sind ein guter, moderner Arbeitgeber", betonte Gerald Heere. "Die Digitalisierung ist bei uns zum Beispiel mit dem Elster-System und der Elster-App, mit der man auch Belege hochladen kann, schon weit fortgeschritten." Selbst die Grundsteuer habe hohe "Auto-Fälle", die komplett automatisch bearbeitet werden könnten. Da wolle man jetzt auch bei der Einkommenssteuer hin. Man setzt auch in der Finanzverwaltung künftig Künstliche Intelligenz ein. "Intelligente Computer erkennen Steuerbetrugsfälle schneller." Lediglich die Erbschafts- und die Schenkungssteuer würden noch - wie mit den anderen Bundesländern abgestimmt - komplett analog bearbeitet.
Dass die praktische Finanzbeamtenarbeit nicht bedeutet, am Schreibtisch zu versauern, demonstrierte Kassenansprechpartner P. Er und seine Kollegen sind unterwegs und prüfen die Kassen der Unternehmen. Mit geradezu kriminalistischen Mitteln und detektivischem Spürsinn kommt P. Betrügern auf die Spur: "Ich mache Testkäufe oder zähle manchmal auch schlicht Kunden. Wenn das mit dem Umsatz nicht zusammenpasst, wird eingehender geprüft."
Und tatsächlich gibt es wohl viele schwarze Schafe, nicht nur, aber oft in der Gastroszene. "Wir kommen kaum hinterher, bräuchten noch viel mehr Personal." Womit tricksen die Unternehmer? Beliebt seien doppelte Kassen, ein Trainingsmitarbeiter, dessen Buchungen zwar einen Bon auslösen, der aber nicht im Kassensystem verbucht wird oder eine verschwundene Kasse, erklärt der Finanzprofi vom Amt. "Wenn wir dann nach dem Kassenchip fragen, auf dem alle Buchungen gespeichert sein müssen, ist der oft verschwunden. Sie glauben nicht, was wir da alles zu hören bekommen: 'Die Putzfrau hat die Kasse 'runtergeworfen', 'Die Kasse ist gerade kaputt' sind da noch harmlos."
Besonders Imbissbetriebe, Restaurants, aber auch Friseure gerieten immer wieder in seine Ermittlungen. "Wenn wir festgestellt haben, dass die Kasse nicht stimmt, prüfen wir weiter den Hintergrund, zum Beispiel den Warenbestand." Erste Indizien für betrügerische Kassenführung: eine Kasse, die dauerhaft offen steht, Bargeld, das daneben liegt, kein Kassenzettel.
Manches davon war auch für den Minister neu, zum Beispiel dass auch manche Apotheken mit frei verkäuflichen Mitteln Einnahmen am Fiskus vorbeischleusen - das ist auch im Zuständigkeitsbereich des Buchholzer Finanzamtes schon vorgekommen, sagt P. Insgesamt gibt es Mängel bei 70 bis 80 Prozent der vom Finanzamt genauer geprüften Betriebe. "Der Job lebt von der Erfahrung", so P. Er kennt zum Beispiel den durchschnittlichen Fleischverbrauch eines Dönerladens aus dem Effeff. "Wenn angeblich sehr viel weggeschmissen wurde als Begründung dafür, warum der Umsatz laut Kasse so gering ist, frage ich schonmal nach dem Entsorgungsbeleg - soviel Fleisch passt nicht in die Mülltonne, und da darf es auch gar nicht entsorgt werden."
Kommentar
70 Prozent der Umsätze am Fiskus vorbei - und das von zahlreichen Unternehmen im Landkreis Harburg. Das klingt, als ob die Unternehmen ihre Umsätze nur am Finanzamt vorbeimogeln.
Das trifft vielleicht auf einige Unternehmen zu, doch die 70 Prozent sind sicher anzuzweifeln.
Viele Selbstständige arbeiten weit über die 40- bis 60-Stunden-Marke in der Woche hinaus. Das kann sich so mancher Finanzbeamte auf seinem sicheren Arbeitsplatz sicher nicht vorstellen. Auch Mitarbeiter, die ihre Firma gewissenhaft und treu in dieser von der Ampelregierung verantwortlichen schlechten Wirtschaftslage mit ähnlichen Arbeitszeiten unterstützen, werden vom Finanzamt genau unter die Lupe genommen.
Dabei werden die vom Finanzamt angeforderten Belege, die sorgfältig und ausführlich eingereicht wurden, nicht berücksichtigt. Argument: Da gibt es ein Urteil vom Finanzgerichtshof in Hannover. Ob dieses nun auf den Einzelfall zutrifft oder nicht: Hauptsache dem Steuerpflichtigen den kleinen Steuervorteil nicht gewähren. So geschehen beim Finanzamt in Winsen/Luhe.
Wie heißt es doch so schön im Volksmund: Die Großen lässt man laufen, die Kleinen müssen dafür herhalten.
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