Entprivatisierung der Kliniken
Waldklinik-Chef Dr. Hans-Heinrich Aldag kontert Forderungen von Linkenpolitiker
os. Jesteburg. Die Corona-Pandemie bringt Krankenhäuser derzeit mitunter an ihre Grenzen. In einem Interview mit ntv.de sprach der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte (43) der Privatisierung des Krankenhauswesens eine Teilschuld für die jetzige angespannte Lage zu und forderte eine "Entprivatisierung" der Kliniken. Im Interview mit WOCHENBLATT-Redaktionsleiter Oliver Sander nimmt Dr. Hans-Heinrich Aldag (62), Geschäftsführer der privaten Waldklinik in Jesteburg und Vorsitzender der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG), Stellung zu der von Korte losgetretenen Diskussion.
WOCHENBLATT: Jan Kortes Hauptthese ist, dass ein System, das auf Marktlogik und Profit getrimmt sei, ungeeignet sei, die jetzigen Herausforderungen zu meistern. Was sagen Sie dazu?
Dr. Hans-Heinrich Aldag: Dieser These widerspreche ich deutlich. Die Steuerungskräfte des Marktes in unserer gesamten Gesundheitsversorgung und speziell im Kliniksektor sind weit geringer, als es häufig dargestellt wird. Im Gegenteil: Gerade staatliche Eingriffe und gesetzliche Überregulierung zu vielen Themen haben zu unübersichtlichen Rahmenbedingungen und Strukturen in der Krankenhauslandschaft geführt, die einer Planwirtschaft ähnlicher sind als einer Marktwirtschaft. Mit noch mehr Staat würden bestehende Probleme nur verstärkt und nicht beseitigt.
WOCHENBLATT: Was spricht noch gegen die These?
Aldag: Die durchaus auch vorhandenen Ansätze von Wettbewerb im Gesundheitswesen zeigen ja, dass eine richtig verstandene Marktorientierung der Leistungserbringer - unabhängig von ihrer Trägerschaft - auch mehr Patientenorientierung bewirkt, denn Patienten und einweisende Ärzte wählen die Klinik, in der sie sich die beste Behandlung versprechen. Eine von der überwiegenden Mehrheit unseres Landes gewünschte freie Arzt- und Krankenhauswahl wird immer auch von Wettbewerb - in genau fixierten und definierten Bahnen - geprägt. Die Prinzipien des Wettbewerbs führen eben auch im System des Gesundheitswesens zu den immer noch besten Steuerungs- und Verteilungswirkungen. Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen gilt das für den Krankenhausbereich in unserem politisch gewünschten pluralistischen System sowohl in öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Trägerschaften.
WOCHENBLATT: Was bedeutet das für Ihre Klinik?
Aldag: Wir als eine von meiner Familie und damit privat geführte Klinik - auch private Träger und ihr „Spirit“ sind nicht alle gleich - stellen uns dem Wettbewerb mit anderen Häusern, unabhängig von deren Trägerschaft, arbeiten aber gleichzeitig geradezu modellhaft z. B. mit den öffentlichen Krankenhäusern unseres Landkreises zusammen. Für die im deutschen Gesundheitswesen ansonsten bestehenden Leistungserbringer – von niedergelassenen Ärzten über Apotheken bis zu Physiopraxen – möchte ich schließlich daran erinnern, dass private Trägerschaft und Initiative dort seit jeher dominierend und offenbar als vollkommen selbstverständlich angesehen sind. Wie sich das mit der von Herrn Korte offenbar als alternativlos angesehenen „Entprivatisierung“ des Systems verträgt, will sich mir nicht erschließen.
WOCHENBLATT: Korte sagt auch, dass man aus dem Gesundheitssystem der DDR lernen könne und es sinnvoll wäre, flächendeckend Polikliniken einzurichten. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Aldag: Zu lernen und offen zu sein für gute Lösungen, ist immer richtig. Nach meiner Überzeugung sollten bei der medizinischen Versorgung aber weder politisches Kalkül noch weltanschauliche Motive eine Rolle spielen. Die Polikliniken waren fach- und sektorenübergreifend, das ist ein guter und richtiger Ansatz, der es sicher auch verdient gehabt hätte, in bestimmten Versorgungssituationen bei uns ausprobiert zu werden. Aber Aber die Polikliniken der DDR waren auch reine Staatsbetriebe, die nicht unbedingt leistungsfähig und attraktiv waren.
WOCHENBLATT: Also hat Jan Korte unrecht?
Aldag: An der Aussage von Herrn Korte stimmt, dass die Hürden und Übergänge zwischen ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland immer noch viel zu hoch sind. Für die Patienten ist das oft kaum nachvollziehbar und hat hohes Frustrationspotenzial. Zudem bleiben wertvolle finanzielle Ressourcen auf der Stecke, zum Beispiel durch lange Wege und unnötige Doppeluntersuchungen. Deshalb setzen sich moderne und gut geführte Kliniken, private, wie öffentliche oder freigemeinnützige, für einen weiteren Abbau der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer, aber auch akuter und rehabilitativer Versorgung ein.
WOCHENBLATT: Eine weitere These von Korte ist, dass Kostendruck in Krankenhäusern dazu führt, dass viele Patienten zu früh entlassen werden. Hat er damit nicht recht?
Aldag: Nein. Es stimmt zwar, dass die durchschnittliche Behandlungszeit je Patient heute etwa um die Hälfte kürzer ist als in den neunziger Jahren. Aber das bedeutet ja zunächst einmal etwas Positives, nämlich dass ein Patient nicht mehr so lange in einer Klinik bleiben muss wie früher. Das ist doch auch ein Zeichen dafür, dass die Prozesse in der Medizin in ihren verschiedenen und interdependenten Sektoren besser geworden sind und Patienten heute schneller in eine ihrem Gesundheitszustand angemessene Betreuung oder nach Hause können. Der internationale Vergleich zeigt zudem, dass wir in Deutschland bei der Krankenhaus-Verweildauer im Mittelfeld liegen, also weder zu schnell entlassen noch zu lange behandeln. Sicher gibt es immer auch Grenzfälle, bei denen nachzujustieren oder sicherzustellen ist, dass für den jeweiligen Gesundheitsstatus die jeweils adäquate Behandlung im Krankenhaus oder anderen Sektoren (z.B. Rehabilitationskliniken) auch durchgeführt wird. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass grundsätzlicher Druck auf die Verweildauern in unserem System nicht zuletzt durch Krankenkassen ausgeübt wird. Eine regelhaft zu frühzeitige Entlassung aus Kostengründen sehe ich aber nicht, nicht zuletzt, da Kliniken in unserem Vergütungssystem dafür eher bestraft würden, als einen finanziellen Vorteil zu erlangen.
WOCHENBLATT: Warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, auch künftig einen Mix aus staatlichen und privaten Krankenhäusern beizubehalten?
Aldag: Dazu eine Gegenfrage: Soll und kann der Staat sich um alles kümmern? Meines Erachtens sicher nicht. Nach unserer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaftsordnung haben wir bei der Krankenhausversorgung, anders als bei der Polizei oder der Feuerwehr, die freie Wahl, genauso eben wie bei Ärzten, Therapeuten und Apotheken, die ja auch in privater Trägerschaft stehen. Diese - in der Bevölkerung zweifelsohne hoch eingeschätzte - Wahlfreiheit würde in einem rein staatlichen System entfallen. Zudem ist es verfassungsrechtlich und ordnungspolitisch auch gar nicht die Aufgabe des Staates, Krankenhäuser oder Arztpraxen selbst zu betreiben.
WOCHENBLATT: Sondern?
Aldag: Er hat vielmehr dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die gewünschten und sicher besonderen Güter der medizinischen Versorgung sichergestellt sind, also z.B. dafür, dass es genügend und leistungsfähige Krankenhäuser gibt. Er muss und soll sie - entsprechend unserem grundgesetzlich verankerten System von „Subsidiarität“ - gar nicht in jedem Fall selbst betreiben. Deshalb haben wir heute ein bewährtes Miteinander staatlicher, freigemeinnütziger (z.B. kirchlicher) und privater Krankenhausträger. Sie betreiben jeweils etwa ein Drittel der rund 1.900 deutschen Krankenhäuser und stehen, eben unabhängig von ihrer Trägerschaft, durchaus im Wettbewerb um die Patienten, arbeiten dabei aber auch zum Teil eng zusammen. Das motiviert sie im positiven Sinne zu mehr Patientenorientierung, zur Weiterentwicklung der Medizin und der Behandlungsprozesse und natürlich auch zu einem effizienten Mitteleinsatz. Dieses System sollte nach meiner Auffassung im Interesse von uns allen bitte keinesfalls getauscht werden, z.B. in ein System, in dem der sicher immer notwendige „Schiedsrichter“ Staat gleichzeitig auch zum alleinigen oder übermächtigen „Mitspieler“ wird!
WOCHENBLATT: Herr Dr. Aldag, vielen Dank für das Gespräch.
• Das Interview mit Jan Korte finden Sie unter www.n-tv.de.
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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