Warum genießt das Alte Land einen Sonderstatus?
bc. Altes Land. Bäume auf dem Deich: schön oder gefährlich? Die Diskussion, die derzeit im Alten Land geführt wird (das WOCHENBLATT berichtete), nimmt kein Ende. Dass Bäume nicht auf einen Deich gehören, ist im Küstenschutz eigentlich gang und gäbe. Warum genießt das Alte Land aber einen Sonderstatus?, fragt sich WOCHENBLATT-Leser Reinhard Dzingel (68) aus Moisburg.
Dabei habe es auch an der Niederelbe einst strenge Regeln gegeben. Der pensionierte Lehrer entdeckte in Heft 12 des "Stader Archiv", einer Zeitschrift des Stader Geschichts- und Heimatvereins von 1922, eine interessante Passage. Dort schreibt Peter Adolf Oehr im Aufsatz "Das Kleinkabelsystem": "Diese Bestimmungen haben eine Erweiterung gefunden in dem Regulativ vom 12. November 1855. (...) Jede Art von Baum-, Busch- und Strauchpflanzung ist verboten an und auf sämtlichen Elbdeichen, dem Schwingedeich und den Hinterdeichen der 2. und 3. Meile bis 24 Fuß Abstand vom äußeren Deichfuß." Schon vor knapp 160 Jahren waren also Bäume auf dem Deich untersagt.
Reinhard Dzingel versteht die Baumbefürworter nicht: "Machen die sich bewusst, dass Versicherungen an Flutgeschädigte nichts auszahlen werden, wenn Deichrichter nicht auf die Einhaltung der Gesetze achten?" Niemand könne die Verantwortung für eventuelle Todesopfer bei Deichbrüchen übernehmen, falls diese durch abgefaulte Obstbaum-Wurzeln begünstigt würden.
Doch wann wurden überhaupt die Kirschbäume auf dem Lühedeich in Mittelnkirchen gepflanzt, die jüngst der Deichverband der II. Meile Alten Landes zum Teil rigoros abholzen ließ? Arend Fischer, Oberdeichrichter der I. Meile, startet auf WOCHENBLATT-Anfrage einen Erklärungsversuch: "Obstbauern haben die Bäume vermutlich aus der Notsituation heraus nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gepflanzt." In einer Zeit, in der der Hunger der Bevölkerung dazu führte, dass viele Bedenken und Gesetze beiseite geschoben wurden. Zudem seien später Kleinstbetriebe zu den Pflanzungen aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen gewesen, so Fischer.
Das Argument der Baumbefürworter, dass der Lühedeich als Schutzdeich mit einem Hauptdeich an der Nordsee nicht gleichgestellt werden könne, kann Reinhard Dzingel nicht nachvollziehen. Trotz Sperrwerk habe der Lühedeich nach wie vor eine Schutzfunktion. "Drückt das Wasser bei Starkregenfällen von der Quelle nach und ist das Flutschutztor geschlossen, müssen die Deiche halten", so Dzingel.
Ins selbe Horn stößt Kreisbaurat Hans-Hermann Bode. Er sagt aber auch: "Die Diskussion dreht sich ja um massenhafte Fällungen auf dem Deich" Einzelne Bäume seien sicherlich tolerierbar.
• Die neugegründete Interessengemeinschaft "Deichbürger13 - Leben auf und am Deich" trifft sich am kommenden Mittwoch, 22. Mai, um 19.30 Uhr zu einer Auftaktveranstaltung im Bürgerhaus Mittelnkirchen. Dazu eingeladen sind die Deichverbände des Alten Landes, Landtagsabgeordnete, Vertreter des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz sowie alle interessierten Bürger. Die Initiative will weitere spontane Baumfäll-Aktionen am Lühedeich verhindern und die historisch gewachsene Kulturlandschaft mit den Straßendörfern am und auf dem Deich erhalten.
Redakteur:Björn Carstens aus Buxtehude |
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