Senioren verlieren Zuhause
Senioreneinrichtung Haus am Marktplatz schließt in Neu Wulmstorf

Einrichtungsleiterin Heike Edinger verliert nach 20 Jahren ihren Job  | Foto: sla
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sla. Neu Wulmstorf. Ein absoluter Schock mitten in der Adventszeit für 106 Bewohner der Seniorenpflegeeinrichtung "Haus am Markplatz" im Ortskern von Neu Wulmstorf: Sie verlieren ihr Zuhause - und die 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job, denn das Haus wird geschlossen.
Vergangene Woche kam der Brief mit der Hiobsbotschaft von Geschäftsleiter Christian Gharieb und Regionalgeschäftsführerin Janine Hoppe von der ProVita Heimbetriebsgesellschaft mbH, die zur Korian Deutschland AG gehört. Selbst Einrichtungsleiterin Heike Edinger fiel aus allen Wolken, als sie einen Tag zuvor von der Regionalgeschäftsführerin informiert wurde, dass die Einrichtung zum 31. Mai 2021 geschlossen wird. Begründung: Umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen, die sich im laufenden Betrieb nur schwer realisieren ließen, haben die Betreiber dazu bewogen, den Mietvertrag nicht zu verlängern, und ein Nachbetreiber sei nicht gefunden worden. Daher habe man sich entschieden, Ende Mai 2021 den stationären Bereich des Hauses in Neu Wulmstorf zu schließen. Das hauseigene Café wird bereits zum 31. März 2021 geschlossen. Nicht davon betroffen sei das betreute Wohnen.
Für die Senioren der Einrichtung, die durch Corona derzeit ohnehin gebeutelt sind, da sie keinen Besuch haben dürfen und zur Hoch-Risikogruppe gehören, ist der Verlust ihres Zuhauses eine absolute Katastrophe. Zumal eigentlich jeder weiß, wie schwer momentan Plätze in Pflegeeinrichtungen zu bekommen sind.
Erst vor wenigen Tagen schien die Welt im Haus am Markplatz noch in Ordnung zu sein und die ahnungslosen Bewohner und Angehörigen schöpften sogar Hoffnung durch ein Schreiben vom 24. November, dass sie durch einen Antigen-Schnelltest womöglich demnächst wieder Besuch empfangen können. Kurz darauf wurde am 27. November in trauter Runde noch der Beginn der Adventszeit gefeiert. "Viele fleißige Helfer haben Geschenke gespendet, wir sind sehr gespannt, was uns alles erwartet ...", steht auf der Facebook-Seite - und dann kam jetzt diese herzlose Überraschung mit der Nachricht zur Schließung der Einrichtung.
Einrichtungsleiterin Heike Edinger ist bereits seit Eröffnung des Hauses am 1. Juni 2001 im Haus am Markplatz tätig, und auch unter den Mitarbeitern sind diverse langjährige Beschäftige, die beim aktuellen Pflegenotstand schnell einen neuen Job finden dürften. "Die Korian lässt uns nicht im Regen stehen", ist die Einrichtungsleiterin zuversichtlich. Im Januar sollen die ersten Gespräche geführt werden. Doch wo bleiben die Bewohner?
Korian Deutschland betreibt insgesamt mehr als 250 Pflegeheime, von denen einige in der Nähe liegen, z.B. das "Haus an den Moorlanden" in Neu Wulmstorf, das "Haus zum Steertpogg "in Norderstedt oder das "Haus an der Heide" in Stelle. Doch die Chancen auf einen Platz sind gering: Eine betroffene Angehörige, deren 90-jährige Mutter in der betreuten Wohnanlage der Einrichtung "Haus am Marktplatz" wohnt, das bestehen bleibt, rechnet mit einer Mieterhöhung. Für ihre 95-jährige Tante, die (noch) in der Pflegeeinrichtung gleich nebenan wohnt, wandte sich die Angehörige unmittelbar nach der Kündigungsmitteilung an die Einrichtung "An den Moorlanden" in Neu Wulmstorf, in der kürzlich 14 Senioren an Corona verstarben - und steht dort für einen Platz auf der Warteliste.
Statement der Korian Deutschland AG
Auf WOCHENBLATT-Nachfrage äußerte sich die Korian zur Beendigung des Mietverhältnisses: "Die Korian AG ist Mieter des 'Hauses am Marktplatz' in Neu Wulmstorf. Zum 31. Mai 2021 läuft der Mietvertrag der Immobilie aus. Ziel und Anspruch unseres Unternehmens ist, unseren Bewohnern ein attraktives Wohnumfeld und unseren Mitarbeitern moderne Arbeitsbedingungen zu bieten. Um dies zu gewährleisten, wären umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen an der Immobilie notwendig gewesen. Diese lassen sich im laufenden Betrieb allerdings nur schwer realisieren. Dies hat uns nach gründlicher Abwägung aller Gegebenheiten dazu bewogen, den Mietvertrag nicht mehr zu verlängern und den Betrieb des stationären Bereiches zum 31. Mai 2021 einzustellen. Der Eigentümer bemüht sich aktuell um einen Nachbetreiber. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, da wir wissen, dass das 'Haus am Marktplatz' für unsere Bewohner ein Zuhause geworden ist und dieser Schritt gerade in der jetzigen Zeit Ungewissheit und große Sorgen hervorruft. Aus diesem Grund haben wir unseren Bewohnern und ihren Angehörigen angeboten, im persönlichen Gespräch gemeinsam Alternativen durchzusprechen wie die Möglichkeit, in eine unserer nahegelegenen Einrichtungen umzuziehen."
 In einer Pressemitteilung vom 4. Dezember äußerte sich die CDU Neu Wulmstorf zu der "bösen Weihnachtsüberraschung" für Bewohner und Mitarbeiter des Wohnheimes "Am Marktplatz": „Vor dem Hintergrund der besonderen Bedingungen, die wir heute alle zusammen erleben, und damit meine ich nicht nur die Corona-Krise, sondern auch die generelle Situation in der Pflege, hat mich die Entscheidung gegen den Weiterbetrieb des Wohnheimes und auch die Vorgehensweise des Betreibers erstaunt, überrascht und durchaus auch wütend gemacht", sagt Thomas Wilde, Vorsitzender des Ortsverbandes.
„Dass der Mietvertrag demnächst ausläuft, ist sicherlich schon länger bekannt und in der jetzigen Situation einen vermeintlichen Konflikt mit dem Vermieter auf dem Rücken der Bewohner und Angestellten auszutragen, ist für mich nur schwer nachvollziehbar", macht Wilde seinem Ärger Luft.
Es scheint so, dass Korian von seinem Vorgehen und seiner Entscheidung nicht mehr abzubringen ist.
Daher liegt wohl die einzige Chance, das Wohnheim noch zu retten, in der Gewinnung eines neuen Betreibers. „Ich hoffe sehr, dass es uns im Zusammenspiel mit der Verwaltung gelingt, für alle Beteiligten eine gute und zeitnahe Lösung zu finden, auch wenn das in Corona-Zeiten sicherlich nicht ganz einfach werden wird“, so Wilde abschließend. CDU-Vorsitzender ist wütend,
Herzloser geht's nicht
Etliche der Altenheim-Bewohner am Marktplatz weinen derzeit vor Angst, schildert eine Angehörige. Wie reiner Hohn klingt dazu die Firmenphilosophie von Korian Deutschland: Um das „bestens-umsorgt“-Gefühl fest in seinem Unternehmen zu verankern, hätte Korian 2018 eine neue visuelle Identität eingeführt. Die beiden Herzen im Logo hätten eine besondere Bedeutung, würden für Engagement der Mitarbeiter stehen, die für die Kunden da sind, und auch für die gemeinsame Arbeit und den Vertrauensaspekt, der "uns untereinander verbindet und unsere Arbeit ausmacht".
Paradox: Die Korian AG ist Inhaber und Mieter zugleich, Unterzeichner des Briefes an die Bewohner ist die ProVita Heimbetriebsgesellschaft mbH, die zur Korian AG gehört. Die Korian hätte also das Mietverhältnis durchaus verlängern können. Doch womöglich lohnt sich eine Modernisierung nicht. Somit ein doppelt herzloses Verhalten - und von Vertrauen kann bei dem Umgang mit den Senioren hinsichtlich der plötzlichen Kündigung ihres Zuhauses nun wirklich keinen Rede sein. Und warum hat man sich nicht frühzeitig an die Gemeinde Neu Wulmstorf gewandt, um die Einrichtung zu retten, sondern erst, nachdem die Bewohner quasi vor die Tür gesetzt wurden?
Susanne Laudien

Einrichtungsleiterin Heike Edinger verliert nach 20 Jahren ihren Job  | Foto: sla
Redakteur:

Susanne Laudien aus Buxtehude

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