"Sex and Crime" lockte die Massen an: Hinrichtung in Himmelpforten hatte Volksfest-Charakter

Es war früher üblich, nach einer Hinrichtung das Blut der Geköpften zu trinken
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jd. Himmelpforten. Open-Air-Discos, Beachpartys oder Draußen-Festivals: Sommerzeit ist Partyzeit. In diesen Wochen laufen zahlreiche Großveranstaltungen unter freiem Himmel. Dass sich die Menschen im großen Stil vergnügen wollen, ist kein Phänomen unserer Tage. Mit "Brot und Spielen" wurde bereits das Volk im alten Rom bei Laune gehalten. Besonders beliebt waren seit Alters her die öffentlichen Hinrichtungen. Wenn die Menschenmassen der Vollstreckung eines Todesurteils beiwohnten, hatte das meist Volksfest-Charakter. Ein solch makaberes Spektakel ereignete sich vor genau 180 Jahren im Himmelpforten. Heute erinnert dort ein rekonstruierter Richthügel an das blutige Szenario.

Dieses "Freiluft-Event" lockte seinerzeit wesentlich mehr Menschen an als kürzlich das Konzert von Heino in Harsefeld: Als im Juli 1835 das Mörder-Pärchen Anna und Claus Meyer in Himmelpforten hingerichtet wurde, strömten Tausende von Schaulustigen aus den Dörfern der Region herbei. "Es muss wie auf einem Rummelplatz zugegangen sein", sagt Dietrich Alsdorf. Der Mitarbeiter der Stader Kreisarchäologie und Buchautor hat auch für seinen neuesten, im Herbst erscheinenden Roman "Anna Brümmers Weg zum Scharfrichter" etliche historische Quellen ausgewertet.

Den alten Aufzeichnungen zufolge gab es sogar "Live-Musik": Bevor der Henker mit seinem Schwert zum tödlichen Schlag ausholte, trällerten die Schulkinder des Dorfes im Chor. Im Vorfeld von Anna Brümmers Exekution, die 1856 in Riensförde erfolgte, wurde sogar eine Tribüne gezimmert - für die Stader Honoratioren, die freie Sicht haben wollten. Es wurden sogar kleine Programmhefte verteilt, in denen der genaue Ablauf des schaurigen Rituals abgedruckt war.

Dass öffentliche Hinrichtungen damals geradezu Publikums-Magneten waren, hat vor allem zwei Gründe: Einerseits fanden sie viel seltener als heutzutage Heino-Auftritte statt. Anders als im finsteren Mittelalter wurden im 19. Jahrhundert weitaus weniger Verbrechen mit der Todesstrafe geahndet. Stand mal wieder eine Hinrichtung bevor, kam natürlich viel Volk zusammen: Die von der Obrigkeit mit großem Tamtam inszenierten Enthauptungen galten neben den Jahrmärkten als willkommene Abwechslung im eintönigen Alltag der Landbewohner.

Anderseits war die menschliche Sensationsgier geweckt: In vielen Fällen waren verbotene Liebesaffären der Grund für Mord und Totschlag. "Sex und Crime" faszinierte eben schon damals die Leute. Hätte es zu der Zeit bereits eine Boulevardpresse gegeben, wäre der Himmelpfortener Fall, bei dem die junge Ehefrau mit ihrem Stiefsohn eine Liebesaffäre einging und dafür den alten, ungeliebten Ehemann aus dem Weg räumte, sicher für so manche Schlagzeile gut gewesen.

Besonders gruselige Szenen müssen sich direkt nach der Hinrichtung sozusagen "backstage" abgespielt haben: Die Henkersknechte ließen das Blut der Geköpften in einen Eimer laufen. Kranke, die zuvor einen Obolus entrichtet hatten, eilten herbei, um den roten Lebenssaft zu trinken. Blut von Enthaupteten galt als Heilmittel gegen die "Fallsucht" (Epilepsie).

• Im Zuge der Recherchen für seine Romane hatte Alsdorf den Ort des grausigen Geschehens vor ein paar Jahren wiederentdeckt. Auf seine Anregung ließ die Gemeinde Himmelpforten in Kooperation mit der Kreisarchäologie unweit der historischen Stätte einen Richtplatz anlegen. Schautafel informieren Besucher darüber, auf welche grausame Weise dort menschliche Schicksale besiegelt wurden.

Redakteur:

Jörg Dammann aus Stade

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