"Die Politik muss umdenken"
Kreis-Chef des Städte- und Gemeindebundes fordert mehr Geld für die Kommunen
ce. Salzhausen. Kürzlich fand in Hannover der Festakt zum 75-jährigen Bestehen Niedersachsens statt. Angesichts des Chaos der sich laufend ändernden Corona-Regeln und stetig steigender Finanzlasten, die Bund und Land den Kommunen aufdrücken, hält sich die Freude über das Jubiläum jedoch vielerorts in Grenzen. Auch hierüber sprach WOCHENBLATT-Redakteur Christoph Ehlermann im "Interview der Woche" mit Wolfgang Krause (65), Kreisgeschäftsführer des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB). Krause ist gleichzeitig hauptamtlicher Samtgemeinde-Bürgermeister von Salzhausen (Landkreis Harburg).
WOCHENBLATT: Herr Krause, Ministerpräsident Stephan Weil hat anlässlich des Landes-Geburtstages gesagt, Niedersachsen stehe "für Weltoffenheit und Innovation". Wie ist es aus Ihrer Sicht um diese Faktoren bestellt?
Wolfgang Krause: Weltoffenheit und Innovation sind wichtige politische Zielsetzungen. Gleichwohl zeigt es sich im Alltag, dass täglich - nicht nur an der Basis - an diesen gesellschaftspolitischen Zielen im Interesse aller Bürger gearbeitet werden muss.
WOCHENBLATT: Inwiefern?
Krause: Die Gesellschaft vor Ort ist an den Prozessen zur Umsetzung dieser Ziele wesentlich mehr zu beteiligen. Wir brauchen heute mehr denn je eine gemeinsame gesellschaftsfähige Definition, was wir unter Weltoffenheit und Innovation verstehen, damit verbinden, aber auch erwarten.
WOCHENBLATT: Weiter erklärte Herr Weil, Niedersachsen sei "für die Zukunft gut aufgestellt". Können Sie zwei, drei Vorzüge nennen, die unser Bundesland von anderen abhebt? Wo gibt es politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Nachholbedarf?
Krause: Jedes Bundesland hat seine Vorzüge, aber auch besondere Herausforderungen. Niedersachsen ist flächenmäßig das zweitgrößte Bundesland mit großen ländlichen Räumen. Themen wie Mobilität, Klima, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung mit all ihren Facetten und auch die medizinische, pflegerische und soziale Versorgung im ländlichen Raum bedürfen weiterer politischer Entscheidungen. Diese müssen noch konkreter auf die unterschiedlichen Regionen im Land eingehen.
WOCHENBLATT: Wie gut läuft die Kooperation mit dem Nachbarn Hamburg?
Krause: Für die südliche Metropolregion Hamburg erwarte ich zukünftig eine wesentlich engere politische Zusammenarbeit zwischen beiden Bundesländern. Allein die verkehrliche Situation wird sich in den nächsten Jahren immer weiter verschärfen.
WOCHENBLATT: Die Kommunen klagen darüber, dass Bund und Land immer mehr Kosten - etwa für Kinderbetreuung und Schulbauten - auf sie abwälzen und so nahezu handlungsunfähig machen.
Krause: Die bezüglich einzelner Themenstellungen schon heute bestehende finanzielle Schieflage zu Lasten der Kommunen droht in Zukunft noch größer zu werden. Hinsichtlich der Kinderbetreuung haben die Kommunen Krippen gebaut und die Kindergärten zur Ganztagsbetreuung ausgebaut, werden aber insbesondere hinsichtlich des Betriebes der Kindertagesstätten nicht ausreichend mit finanziellen Mitteln ausgestattet. Das Land hat gute und richtige Entscheidungen zur Inklusion und Barrierefreiheit auch in Grundschulen getroffen, aber die Kommunen bei der Finanzierung der entsprechenden Räumlichkeiten allein gelassen. Ab dem Schuljahr 2025/26 soll die verbindliche Ganztagsgrundschule umgesetzt werden, die aktuell im Raum stehende finanzielle Unterstützung für die Umsetzung wird aber bei Weitem nicht ausreichen.
WOCHENBLATT: Kann bzw. muss der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund da nicht intervenieren?
Krause: Nicht nur der NSGB, alle kommunalen Spitzenverbände setzen sich nach wie vor intensiv für eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen ein. Meines Erachtens muss in der Politik ein Umdenken erfolgen. Die bisherigen Finanzierungsstrukturen passen nicht mehr zu dieser exorbitanten Entwicklung. Weitere finanzielle Belastungen durch zusätzliche oder erweiterte Aufgaben müssen zukünftig vermieden werden. Einhergehend bedarf das System dringend einer Entbürokratisierung. Auch die Entwicklung der Finanzierung anderer Aufgaben wie Brand- und Katastrophenschutz sehe ich zunehmend kritisch.
WOCHENBLATT: Auch die nahezu stündlich sich ändernden Corona-Regeln machen den Städten und Gemeinden zu schaffen. Wie steht der NSGB hierzu?
Krause: Der NSGB, aber auch der Städtetag weisen immer wieder darauf hin, dass viel zu wenig Zeit besteht - teilweise nur wenige Stunden -, um Stellungnahmen zu neuen Verordnungen abzugeben. Die Rathäuser haben die erforderliche Organisation für die Verwaltungen entsprechend umgesetzt. Ich erlebe allerdings, dass Bürger, Gewerbetreibende und Vereine auf der einen Seite die jetzt gültigen, sehr stringenten Regeln immer kritischer sehen - gerade im ländlichen Raum -, auf der anderen Seite aber auch immer mehr Ängste und Unsicherheiten bestehen.
WOCHENBLATT: Herr Krause, vielen Dank für das Gespräch.
- Die Aufgaben des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes
(ce). Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) ist der kommunale Spitzenverband von über 400 kreisangehörigen Städten und (Samt-)Gemeinden. Er vertritt die gemeinsamen Belange dieser Kommunen gegenüber der Gesetzgebung und Verwaltung auf Bundes- und Landesebene. Dabei nimmt der NSGB die Interessen sowohl der ländlichen Räume als auch der Ballungsgebiete wahr. Die Kreisgeschäftsführer sind die Sprecher der kreisangehörigen Kommunen gegenüber den Organen des jeweiligen Landkreises, stellen die Kommunikation zwischen den Kommunen sicher und fungieren als zusätzliches Bindeglied zum NSGB. Mehr Informationen unter www.nsgb.de.
Redakteur:Christoph Ehlermann aus Salzhausen |
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