Trauer braucht Raum und Zeit: Wie sich die Beerdigungskultur ändert und warum Traditionen Sinn machen

Begleitet die Menschen im Trauerfall: Pastor Hans-Georg Wieberneit
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  • hochgeladen von Katja Bendig

kb. Seevetal. Manchmal hat man ihn kommen sehen, manchmal trifft er die Menschen vollkommen überraschend: Der Moment, in dem ein naher Angehöriger stirbt. In großer Trauer geht es plötzlich auch darum, eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen. Einige der wichtigsten betreffen die Art und Weise, wie der Verstorbene beerdigt werden soll. Sarg- oder Urnenbestattung, Friedhof oder Ruheforst, welche Lieder sollen gesungen, an welche Stationen im Leben erinnert werden? "Es ist eine ganz wichtige Aufgabe, die Menschen an diesen Wendepunkten des Lebens liebevoll und kompetent zu begleiten", sagt Pastor Hans-Georg Wieberneit aus Ramelsloh. Rund 20 Beerdigungen im Jahr betreut er als Seelsorger und sieht manch neuen Trend mit Sorge.
"Trauer braucht Raum und Zeit", weiß der Pastor. Doch dafür den Alltag zu unterbrechen, käme für einige Menschen inzwischen kaum noch in Frage. "Da muss der Verstorbene im Zweifel dann einfach noch eine Woche länger im Kühlhaus bleiben, damit die Familie wie geplant nach Mallorca fliegen kann", sagt Wieberneit.
Auch die zunehmende Privatisierung des Todes, bis hin zur Möglichkeit, die Urne mit der Asche des Verstorbenen mit nach Hause zu nehmen, sieht der Pastor kritisch. "Ich finde es wichtig, dass es einen öffentlich zugänglichen Ort zum Trauern gibt", erkärt er. "Wer entscheidet denn, wer die Urne bekommt? Was ist bei Familienstreitigkeiten? Und wo können die Menschen trauern, die vielleicht nicht zum engsten Familienkreis gehören?" Für Wieberneit sind diese Fragen gute Gründe, am Friedhofszwang festzuhalten.

Früher war es üblich, dass der Verstorbene zu Hause aufgebahrt wird. Familie, Freunde und Nachbarn kamen, um Abschied zu nehmen. Der Tod war ein Teil des alltäglichen Lebens. Diese alte Tradition findet heute kaum noch statt, allein schon deshalb, weil viele Menschen im Krankenhaus oder Altenheim sterben. Auf dem Land nicht ganz unüblich sind inzwischen aber wieder Aussegnungen. "Ich komme ins Haus, halte eine kleine Andacht und begleite auch den Moment, wenn der Verstorbene aus dem Haus getragen wird", schildert Pastor Hans-Georg Wieberneit.
Wenn in seiner Gemeinde jemand stirbt, läuten in Ramelsloh mittags die Kirchenglocken. Ebenso ein alter Brauch, wie das obligatorische Kaffeetrinken nach der Beisetzung oder das Verlesen der Namen der Verstorbenen am Ewigkeitssonntag in der Kirche. "Ich finde diese alten Traditionen und Rituale gut. Einfach weil sie funktionieren und über Generationen erprobt sind", so der Pastor. Öffentliches Erinnern und Trauern signalisiere den Hinterbliebenen auch, dass sie mit ihrem Verlust nicht alleine seien, dass auch die Gemeinde, die Ortsgemeinschaft ein Mitglied verloren habe.

Den Tod wegzuschieben, aus dem Alltag zu verbannen, davon hält Wieberneit nichts: "Je weniger Kontakt man zu diesem Thema hat, desto größer wird die Angst vor dem Tod." Er ermuntere Familien auch immer wieder, Kinder mit zur Beerdigung zu bringen. "Kinder erleben die Beisetzung meist völlig unbefangen. Zu sehen, wie der Sarg in die Erde gelassen wird, hilft ihnen, das Geschehene zu begreifen." Den gedanklichen Spagat zwischen der Tatsache, dass der Verstorbene unter der Erde im Sarg liegt, aber auch gleichzeitig "im Himmel" sei, würden Kinder meist mühelos meistern.
Für das Trauergespräch und die Gestaltung der Trauerfeier nimmt Hans-Georg Wieberneit sich viel Zeit. "Es ist wichtig, den Hinterbliebenen zuzuhören, zu erfassen, was den Verstorbenen ausgemacht hat und gemeinsam einen individuellen Rahmen für den Abschied zu finden", erklärt er. Manche Verstorbenen würden vor ihrem Tod konkrete Wünsche äußern - bis hin zur Auswahl der Lieder. In anderen Familien sei die Beerdigung nie Thema gewesen. "Das ist ebenso unterschiedlich, wie die Trauer selbst", sagt Wieberneit. Bei der Trauerfeier ginge es dann nicht darum, den Verstorbenen "über den grünen Klee" zu loben, sondern zu würdigen, wie der Mensch gelebt hat und was ihm wichtig war.

Und was kann insbesondere die Kirche im Trauerfall leisten? "Wir können die christliche Hoffnung vermitteln, dass es nach dem Tod nicht vorbei ist. Dass da noch etwas kommt", sagt Wieberneit. Mit der Beisetzung ist für ihn der Kontakt zu den Hinterbliebenen nicht vorbei. "Ich versuche, die Familien über einen längeren Zeitraum zu begleiten, zu sehen, wie sich die Trauer verändert." Das ginge manchmal schnell, andere brauchten sehr viel Zeit, einen Verlust zu verarbeiten. "Man darf das nicht bewerten, jede Trauer ist individuell", weiß Hans-Georg Wieberneit.
Er selbst profitiert von seiner Arbeit als Begleiter in schweren Stunden. "Mir persönlich hat das viel Sorge auch um mein eigenes Sterben genommen."

• In den Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag (auch Totensonntag), 22. November, werden die Namen derjenigen verlesen, die seit dem vergangenen Ewigkeitssonntag gestorben sind. In vielen Kirchen werden auch Kerzen in Andenken an die Verstorbenen entzündet.
Der Kirchenkreis Winsen bietet zwei Gruppen für trauernde Angehörige an, in der man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann. Treffpunkt ist am ersten Mittwoch im Monat von 15 bis 16.30 Uhr bzw. am zweiten Mittwoch von 17 bis 18.30 Uhr im Gemeindezentrum St. Marien in Winsen (Kirchstr. 2). Eine Anmeldung ist nicht nötig, Infos gibt Sonja Grote unter Tel. 04185 - 7352.
In Tostedt findet an jedem zweiten Sonntag im Monat von 15 bis 16.30 Uhr im Gemeindehaus am Himmelsweg das Trauercafé. Nächster Termin ist der 13. Dezember.

Redakteur:

Katja Bendig aus Seevetal

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