"Wir wollen Opfern Mut machen"
Diebstahl hat Hochkonjunktur, doch viele Taten werden nicht angezeigt / Experiment der Opferhilfeorganisation "Weisser Ring" in Hittfeld
kb. Seevetal. Ohnmacht, Hilflosigkeit, Erschrecken: Wer Opfer einer Straftat wird, fühlt sich schlecht, viele suchen die Schuld bei sich. "Opfer zu sein, bedeutet für viele Menschen ein Makel", weiß Karl-Heinz Langner, Leiter der Außenstelle der Opferhilfsorganisation "Weisser Ring" im Landkreis Harburg. Der ehemalige Polizist engagiert sich seit vielen Jahren beim "Weissen Ring", macht mit Aktionen immer wieder auf das Thema Zivilcourage aufmerksam.
Gerade jetzt in der Weihnachtszeit, wenn das Gedränge in den Geschäften und auf Weihnachtsmärkten groß ist, hat der Diebstahl Hochkonjunktur. "Für die Opfer ist es ein großer Schreck, wenn sie feststellen, bestohlen worden zu sein", weiß Langner. Trotzdem zeigen viele die Taten nicht an - besonders Senioren. "Die älteren Menschen haben Angst davor, dass ihre Selbstständigkeit eingeschränkt wird, dass sie von der Familie bevormundet werden, weil sie anscheinend nicht mehr in der Lage sind, auf sich aufzupassen", erzählt Langner.
Das will der "Weisse Ring" ändern. "Wir wollen Opfern Mut machen, zur Polizei zu gehen und sich Hilfe und Beratung zu suchen", sagt Karl-Heinz Langner. Denn auch wenn man seine Tasche mal nicht im Blick hatte: "Das gibt den Tätern noch lange nicht das Recht, zuzugreifen." Auch Zeugen von Straftaten ermutigt Langner zum Handeln. "Sie müssen den Täter nicht dingfest machen, aber die Polizei rufen und dem Opfer Beistand signalisieren, das kann jeder."
Wie sich Passanten verhalten, wenn eine ältere Dame bestohlen wird, zeigte jetzt ein Experiment in Hittfeld:
"Hilfe! Überfall! Hilfe!" Laute Rufe einer älteren Dame hallen durch den Eingangsbereich des Edeka-Marktes. Zwei Jugendliche flüchten. Die Seniorin stützt sich auf ihren Rollator, ist sichtlich mitgenommen. Dann kommt eine junge Frau zu Hilfe. "Beruhigen Sie sich, atmen Sie ganz tief durch." Augenblicke später löst Karl Langner von der Opferhilfe-Organisation "Weisser Ring" die Situation auf.
Was nach einem gemeinem Diebstahl aussieht, ist zum Glück nur ein Experiment. Die ältere Dame, Lisa Tödter, ist Hauptakteurin in dem wirklichkeitsnahen Schauspiel, die beiden Jugendlichen, Marvin und Robin, keine frechen Diebe sondern anständige Jungs. "Wir wollen die Menschen darauf aufmerksam machen, wie man sich in einer solchen Situation am besten verhält", erklärt Karl Langner. Und die Kundin, die der älteren Dame zu Hilfe eilte, hat vieles instinktiv richtig gemacht. Sie ist auf das Opfer zugegangen, hat die Seniorin in ihrem vermeintlichen Schock nicht allein gelassen. "Ich bin selber im vergangenen Jahr bestohlen worden und war völlig aufgelöst. Ich weiß noch gut, wie man sich da fühlt", sagt Jessica Hermsdorf aus Maschen.
Schon zum vierten Mal führte der Weisse Ring im Landkreis Harburg jetzt ein derartiges Experiment in Zusammenarbeit mit der Polizei vor Ort durch, über die Reaktionen der Kunden in Hittfeld freut sich Karl Langner. "Das ist viel mehr als wir erwartet haben, meist schauen die Leute einfach weg", berichtet er aus seiner Erfahrung. Das Problem: Viele würden denken, sie müssten den Dieb festhalten, seien unsicher, was zu tun ist. "Dabei ist der wichtigste Schritt, dem Opfer Hilfe anzubieten", so Langner. Wichtig sei auch, dem Täter zu signalisieren, dass man seine Tat bemerkt hat. Und natürlich Hilfe zu holen. "Niemand muss einen Dieb eigenhändig dingfest machen, das ist Aufgabe der Polizei", stellt Langner klar. Aber leider würden viele Menschen zögern, den Notruf zu wählen oder, falls kein Telefon zur Hand ist, andere anzusprechen und um den Anruf zu bitten.
Lisa Tödter (69), die in Hittfeld das Opfer spielte, wurde selbst noch nie bestohlen. "Aber ich habe in der Situation schon gemerkt, dass es Überwindung kostet, sich laut bemerkbar zu machen", erzählt sie. Die beiden "Diebe", die Brüder Marvin (15) und Robin Zacharias (17), hatten das Szenario im Vorfeld mit ihrem "Opfer" geprobt, waren vor der "Tat" selbst dann aber schon aufgeregt. "Man weiß ja auch nicht, wie die Leute reagieren", so Robin. Karl Langner dankte den Jungs für ihren Einsatz: "Bei einem solchen Experiment dabei zu sein - auch das ist Zivilcourage."
• Der "Weisse Ring" sucht händeringend Ehrenamtliche, die sich in der Opferhilfe engagieren möchten. Wer helfen möchte wendet sich an Karl-Heinz Langner unter Tel. 0151-55164733 oder per E-Mail an karl-heinz.langner.wr@ewe.net.
Redakteur:Katja Bendig aus Seevetal |
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