WOCHENBLATT-Serie Zeitzeugen: Lieselotte Lamprecht erinnert sich an die Nachkriegszeit
"Am schlimmsten war der Hunger"
kb. Hittfeld. "Ich hätte das alles eigentlich aufarbeiten müssen, die Erinnerungen begleiten mich noch immer", sagt Lieselotte Lamprecht (82) aus Hittfeld. Als Kind erlebte sie die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Not in der Nachkriegszeit. "Am schlimmsten war der Hunger", erinnert sie sich. "Wochenlang gab es nur Steckrüben, wir zogen los und suchten überall nach etwas Essbarem, das wir klauen konnten." Sobald Lieselotte Lamprecht davon erzählt, kommen ihr die Tränen. "Bis heute kann ich keine Nahrungsmittel wegwerfen. Das geht einfach nicht", sagt sie.
Lieselotte Lamprecht wird im Januar 1933 in Hamburg-Veddel als Zweitjüngste von fünf Geschwistern geboren. Im Juli 1943, der Vater und ein Bruder kämpfen inzwischen an der Front, wird die Familie ausgebombt. "Das Dach brannte, unsere Wohnung stand in Flammen, wir flohen alle in den Keller", erzählt Lieselotte Lamprecht. "Später wurden die Notausgänge aufgebrochen, um wieder hinaus zu kommen. Ich sah Verletzte mit riesigen Brandblasen, alle schrien." Mit dem Leben davongekommen, aber ohne ein Zuhause wird die Familie mit dem Lastwagen und dann mit dem Zug über Celle und Göttingen zunächst nach Niederbayern gebracht. Später landet Lieselotte Lamprecht mit ihrer Mutter und den Geschwistern in Bayreuth. "Das war eine harte Zeit", sagt sie. "Wir waren Flüchtlinge und wurden ganz schäbig behandelt. Auch in der Schule wurden wir ausgegrenzt. Meine einzige Freundin war Hedwig, die hielt zu mir", weiß Lieselotte Lamprecht noch ganz genau.
Im März 1945 geht es für die Familie zurück nach Hamburg. Für die damals 12-jährige Lieselotte ein Umzug voller Angst vor weiteren Bombardierungen. Was sie dann erwartet, sind aber vor allem Hunger und Not. "Wir sind losgezogen zum 'Hamstern' und haben wirklich alles geklaut - Steckrüben, Kohle, Eier, Mehl", erinnert sie sich. Auch daran, wie im Radio Hitlers Tod verkündet wurde. "Wir haben alle aufgeatmet." Auch die Angst vor den Engländern, deren Panzer Anfang Mai über die Elbbrücken rollten, legt sich. Der Hunger aber bleibt. In die Schule gehen die Kinder nur, um sich eine Suppe zu holen. Essen "hamstern" und Kohle besorgen ist wichtiger als Deutsch und Mathe. Regelmäßiger Unterricht findet bis 1947 nicht statt.
Als eines der wenigen Geschäfte hat auf der Veddel die Fischbratküche den Bomben getrotzt. "Die wurde zu einem Treffpunkt für alle, die aus dem Krieg zurückkehrten", erzählt Lieselotte Lamprecht. Die Veddeler tragen sich in ein Buch ein, dort sieht man nach, wenn man wissen will, wer noch lebt.
1947 kommt Lieselottes Vater aus dem Krieg zurück und beginnt wieder als Beamter zu arbeiten. Als Familienoberhaupt steht ihm das wenige zu, was die Lebensmittelkarte hergibt. Er missbilligt die "Diebeszüge" seiner Familie - aus Angst um seinen Job. "Fortan mussten wir unsere gehamsterten Schätze verstecken", erzählt die Rentnerin. Die Wahl ihres Lehr-Betriebes auf der Veddel trifft die gelernte Einzelhandelskauffrau damals nicht ohne Hintergedanken: "In dem kleinen Laden gab es wenigstens etwas zu essen. Ich habe mir heimlich Brötchen mit Gekochte geschmiert. Das war ein Gedicht."
Nachdem kurz nach dem Krieg noch viel über das Geschehene gesprochen worden sei, habe irgendwann der Alltag eingesetzt. "Wir mussten sehen, dass es weitergeht", sagt Lieselotte Lamprecht. Dennoch - der Krieg und die Zeit danach haben ihr Leben geprägt. "Mir saß der Krieg im Nacken", sagt sie. "Es hat lange gedauert, bis ich wieder lachen konnte."
Redakteur:Katja Bendig aus Seevetal |
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