Frauenhaus in der Nähe
Zu wenig Frauenschutzhäuser im Landkreis Harburg

Häusliche Gewalt betrifft in erster Linie Frauen und Kinder | Foto: AdobeStock / AungMyo
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  • Häusliche Gewalt betrifft in erster Linie Frauen und Kinder
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Die häusliche Gewalt nimmt bundesweit zu. Opfer leiden nicht selten, mindestens psychisch, ein Leben lang unter den Taten. "Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen sind nur einige der psychischen Folgewirkungen", berichtet Vera Theelen von der Opferschutzorganisation Weisser Ring im Landkreis Harburg. Körperliche Folgeschäden z.B. nach Nasenbeinbrüchen kämen noch hinzu, so Theelen.
Um mehr Opfern helfen zu können, bewilligte der Kreistag des Landkreises Harburg jüngst vier weitere Schutzwohnungen für den Übergang in ein wieder normales Leben. Das sei ein guter Anfang, jedoch noch deutlich zu wenig, sagen Experten.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr bundesweit 256.276 Personen Opfer häuslicher Gewalt, was eine Steigerung von 6,5 Prozent zu 2022 bedeutete. Experten schätzen, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher liegt. 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen und Mädchen.
"Die Zahlen von polizeilich registrierter häuslicher Gewalt steigen kontinuierlich an, in den letzten fünf Jahren um 19,5 Prozent. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass viele Taten der Polizei nicht gemeldet werden, etwa aus Angst oder Scham", heißt es im aktuellen Bericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Istanbul-Konvention

Aufgrund dieser steigenden Zahl der Opfer rief der Europarat 2018 die "Istanbul-Konvention" ins Leben. Die Konvention ist ein internationales Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Sie definiert Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Menschenrechtsverletzung und als Zeichen der Ungleichstellung von Frauen und Männern.

Aus der Konvention geht hervor, dass jeder Bezirk und jeder Kreis pro 10.000 Einwohner mindestens einen Frauenschutzhausplatz zur Verfügung stellen sollte. Bisher ist dies nur eine Empfehlung zur Orientierung und nicht rechtlich bindend. Bei einer Einwohnerzahl von 263.616 (Stand 31. Dez. 2023) sollte der Landkreis Harburg demnach 26 Plätze bereitstellen. Tatsächlich sind es zurzeit lediglich acht. Deutlich zu wenig, findet Elisabeth Meinhold-Engbers (Grüne), Vorsitzende des AWO-Kreisverbandes Harburg-Land: "Wir als Grüne fordern weiterhin ganz klar: eine weitere Immobilie mit mindestens acht Plätzen. Dann wären wir mit den vier Wohnungen der flankierenden Maßnahme bei 20 Plätzen. Das würde die Lage schon deutlich entspannen - auch wenn wir die EU-Richtlinie dann immer noch nicht komplett umgesetzt hätten."

Dass acht Plätze nicht ausreichen, zeigt die Auslastung von zurzeit 96 bis 98 Prozent deutlich. "Wenn eine Frau auszieht, dann wird schnell Nötiges repariert und hergerichtet und schon ist der Platz auch wieder weg", berichtet Meinhold-Engbers. "Oft kommen die hilfsbedürftigen Frauen, welche übrigens aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen, mit ihren Kindern." Sowohl die Kinder als auch die Frauen müssten betreut werden, damit sie eine Chance haben, ihre Traumata aufzuarbeiten. Diese Betreuung müsse natürlich gewährleistet sein und koste ebenfalls Geld, doch die Personalkosten seien im Vergleich zu den Mieten verhältnismäßig gering.

Gewaltspiralen kosten Geld

Das Hauptproblem sind demnach die nicht verfügbaren Immobilien, weniger die laufenden Kosten der Betreuung. Kinder, welche häusliche Gewalt erlebten und keine angemessene Betreuung erhalten, werden eher zu Opfern (Mädchen) und Tätern (Jungen). Somit setzt sich ein Kreislauf der Gewalt in Bewegung - der den Staat wiederum Geld kostet.

"Mehr Plätze wären auch deshalb sinnvoll, um flexibler reagieren und besser auf die Bedürfnisse der Frauen und Kinder eingehen zu können", sagt Sabine Lehmbeck von der SPD und im Kreistagsausschuss für Gesundheit, Integration und Soziales aktiv.
Flexibilität sei gut in Bezug auf den ehemaligen Wohnort der jeweiligen Betroffenen. Manche Opfer möchten gerne so weit wie möglich weg, manche möchten, zum Beispiel wegen der Freunde der Kinder, zumindest in der Nähe bleiben.
Um auch entferntere Plätze anbieten zu können, schließen die jeweiligen Nachbarländer Verträge untereinander, welche die Belegung der Häuser länderübergreifend regeln. Hamburg und Schleswig-Holstein handeln nach einem solchen Vertrag. Hamburg und Niedersachsen jedoch nicht. "Diese Art Verträge werden zwischen den Ländern geschlossen, da fehlt einem Kreis die Handlungsmacht", sagt Kreisrätin Ana Cristina Bröcking, weist jedoch auf das bestehende Ampelsystem innerhalb Niedersachsens hin. Nach diesem geben die Frauenschutzhäuser ihre Belegung an und können so innerhalb Niedersachsens kurzfristig Plätze zur Verfügung stellen.

"Aus Hannover ist der Weg nach Hamburg ein anderer als von unserem Landkreis aus. Die Notwendigkeit für einen Staatsvertrag zwischen Hamburg und Niedersachsen wird dort wohl nicht gesehen", sagt Anette Randt, seit 18 Jahren im Kreistag für die CDU-Fraktion tätig und seit vergangenem Jahr Vorsitzende des Sozialausschusses.

Stade ist Harburg voraus

Im Landkreis Stade (214.611 Einwohner, Stand 2022) wurde im Mai dieses Jahres das zweite Schutzhaus eröffnet. Damit stehen insgesamt 14 Schutzplätze zur Verfügung. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, 16 Kinder mit den Müttern gemeinsam unterzubringen. Nach der Empfehlung der Istanbul-Konvention erfüllt der Kreis Stade bereits 66,7 Prozent der zu erreichenden 21 Plätze. Der Landkreis Harburg liegt aktuell bei 46,2 Prozent, in welchen die neue "flankierende Maßnahme" mit vier zusätzlichen Plätzen bereits eingerechnet ist. Ohne diese vier Plätze sind es lediglich 30,8 Prozent.

Auch wenn die Empfehlung der Istanbul-Konvention in Bezug auf die zu erreichenden Plätze noch keine rechtliche Relevanz hat, "so ist der empfohlene Schlüssel und die Präsenz des Themas eine gute Grundlage zur Weiterarbeit in der betreffenden Arbeitsgruppe", fügt Kreisrätin Bröcking hinzu. Die Arbeitsgruppe "Frauenschutzhäuser", bestehend aus Experten von Beratungsstellen, Polizei und Politik, hat den nächsten Termin im September. Dann möchten die Mitglieder über das weitere Vorgehen und die nächsten Handlungsempfehlungen an den Sozialausschuss debattieren.

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Opferhilfe und Beratungsstellen:

  • Gemeinsam gegen häusliche Gewalt im Landkreis Harburg: www.gghglkh.de
  • Weisser Ring Außenstelle Harburg (Kreis): www.weisser-ring.de, Telefon: 04181-2018920
  • Beratungsstelle für gewaltbetroffene Mädchen und Frauen im Landkreis Harburg, Telefon: 04171-6008850
  • Weiterleitung zum PDF mit allen Beratungsstellen in Niedersachsen.
  • Landkreis Harburg - Hilfe bei häusliche Gewalt.
Häusliche Gewalt betrifft in erster Linie Frauen und Kinder | Foto: AdobeStock / AungMyo
Vor allem Frauen und Mädchen werden Opfer häuslicher Gewalt | Foto: Alexas_Fotos / Pixabay
Redakteur:

Sven Rathert aus Seevetal

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