Mutmaßliche Raser standen vor Gericht
Quietschende Reifen, dröhnende Motoren: Wurde in Stade ein illegales Autorennen ausgetragen?
jd. Stade. Der Motor heult auf und die Reifen quietschen: Im November vergangenen Jahres ging im Parkhaus am Stader Bahnhof offenbar die Post ab - und das zu nachtschlafender Zeit. Gleich zweimal stoppte die Polizei dort gegen 2 Uhr im Abstand von wenigen Minuten einen dunklen Mercedes CLS 500. Nur saß jeweils eine andere Person am Lenkrad des rund 400 PS starken Gefährts. Die beiden Fahrer der flotten Achtzylinder-Karosse mussten sich jetzt vor dem Amtsgericht Stade verantworten. Der Tatvorwurf: Sie sollen sich ein illegales Autorennen geliefert haben. Nacheinander, mit ein- und demselben Wagen.
Das ist seit 2017 strafbar: Laut dem "Raser-Paragrafen" 315b gelten illegale Autorennen, die zuvor nur eine Ordnungswidrigkeit waren, als Straftat. Was die wenigsten wiederum wissen: Bei einem illegalen Autorennen müssen sich nicht zwangsläufig zwei Asphalt-Rowdys ein Kopf-Kopf-Duell liefern. Auch Allein-Raser können bestraft werden. Es reicht die Absicht, die Höchstgeschwindigkeit seines fahrbaren Untersatzes so weit es geht auszureizen - und sich dabei rücksichtslos und verkehrswidrig zu verhalten.
Solche Rennen sollen auch in Stade ausgetragen werden. Offenbar hat sich das Stader Bahnhofsumfeld zu einem Hotspot von Auto-Tunern und -Posern entwickelt. Das berichtete jedenfalls der als Zeuge geladene Polizist vor Gericht. Nach entsprechenden Hinweisen aus der Bevölkerung gehöre eine Kontrolle des Parkhauses zum festen Bestandteil der nächtlichen Streifenfahrten, so der Beamte.
Auf einer solchen Kontrollfahrt ertappte die Streifenwagenbesatzung den 26-jährigen H., als dieser am Steuer des Mercedes einmal hoch und runter durch die Parkdecks rauschte. H. und seine beiden Mitinsassen im Fahrzeug durften nach einer Ermahnung von dannen ziehen. Doch wenig später sichteten die Beamten den Mercedes erneut, als dieser mit "sehr zügiger Geschwindigkeit" durch das Altländer Viertel fuhr. Der Streifenwagen nahm die Verfolgung auf. In einer Tempo-30-Zone verloren die Polizisten den Mercedes aus den Augen, obwohl sie 70 km/h auf dem Tacho hatten.
Doch die Beamten lagen mit ihrer Vermutung richtig, dass wieder das Bahnhof-Parkhaus angesteuert werden sollte. Dort stellten sie tatsächlich erneut den Mercedes - diesmal mit dem 23-jährigen S. hinterm Lenkrad. Für die Ordnungshüter stand der Sachverhalt fest: H. und S. haben offenbar nacheinander eine Wettfahrt ausgetragen. Es gab eine Anzeige wegen eines illegalen Autorennens, die Führerscheine wurden eingezogen und die Staatsanwaltschaft erließ einen Strafbefehl.
Gegen diesen Strafbefehl erhoben die mutmaßlichen "Rennfahrer" Einspruch, sodass sie als Angeklagte vor Gericht landeten. Der Einspruch hat sich gelohnt: Denn ob S. tatsächlich am Steuer saß, als der Mercedes durch das Altländer Viertel raste, ließ sich nicht nachweisen. Und ob die lauten Motorgeräusche im Parkhaus mit einem überhöhtem Tempo gleichzusetzen seien, blieb auch fraglich.
Der Verteidiger von S., der Buxtehuder Anwalt Lars Zimmermann, hatte bereits in einer Verhandlungspause prognostiziert, dass am Ende vom Tatvorwurf so gut nichts übrig bleiben wird. Zimmermann hält den neuen Paragrafen ohnehin für problematisch, weil sich illegale Autorennen nur schwer beweisen lassen. Bezogen auf den Stader Fall meinte er, den beiden Mercedes-Fahrern sei es womöglich nur darum gegangen, den Klang des Motors auszureizen und den Auspuff ordentlich röhren zu lassen.
Für S. endete der Prozess mit einem Freispruch und bei H. wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage von 100 Euro eingestellt. Er war zwar ertappt worden, als er durch das Parkhaus bretterte, doch das betrachtete die Richterin lediglich als Ordnungswidrigkeit. Beide konnten noch im Gerichtssaal ihre Führerscheine wieder in Empfang nehmen. Die Freude über das unerwartet schnelle Ende der Fahrabstinenz war so groß, dass S. und H. noch im Gerichtsflur ein Foto von den zurückerhaltenen Dokumenten in den sozialen Medien posteten.
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