Feuerwehren und Kliniken kein Fall für Lappalien
Zu viele Bürger stufen Nichtigkeiten als Notfall ein
Die Feuerwehr kommt im Notfall: Wenn es brennt, der Keller metertief unter Wasser steht oder eine dicke Eiche auf der Straße liegt. Das weiß eigentlich jedes Kind. Das scheinen aber einige Bürger vergessen zu haben und wählen schon für Kleinigkeiten die Notrufnummer 112. Damit missbrauchen sie nicht nur die Funktion des Notrufs, sondern halten die Einsatzkräfte auch davon ab, bei echten Gefahrensituationen einzugreifen.
Nachdem ein Stadtbrandmeister aus dem Landkreis Harburg dieses Verhalten in der vergangenen Woche kritisiert hatte, fragte das WOCHENBLATT bei anderen Feuerwehren, in der Rettungsleitstelle sowie in den Krankenhäusern in der Region nach.
In der Leitstelle und bei der Feuerwehr
In der Feuerwehr- und Rettungsleitstelle des Landkreises Stade laufen alle 112-Notrufe aus dem Kreisgebiet auf. Sicherlich gebe es – insbesondere nach Unwettern – hin und wieder Anrufe wegen Nichtigkeiten, sagt Landkreis-Sprecher Daniel Beneke. Da werde dann ein auf die Straße gekippter Baum gemeldet, der sich als kleiner Ast entpuppe. Oder im vermeintlich überfluteten Keller stünden nur wenige Zentimeter Wasser, die mit einem Feudel schneller zu beseitigen seien als mit dem großen Equipment der Feuerwehr. „Aber im Tagesgeschäft ist das kein großes Problem“, unterstreicht der Behördensprecher. Grundsätzlich gelte aber: „Im Zweifelsfall lieber einmal zu oft den Notruf wählen.“
Im vergangenen Jahr gab es landesweit Probleme mit fingierten Notrufen, die über die Nora-App – die Notruf-App der Bundesländer – abgeschickt wurden. Doch bei der App werden die Daten der Absender nicht zuverlässig übertragen, eine Nachverfolgung oder Ortung ist nur schwer möglich. Auch im Kreis Stade gab es solche Meldungen über die Nora-App: Vermeintliche Gasaustritte und Brände stellten sich als absichtlicher Fehlalarm heraus.
Warteschleife bei der Notfallnummer
Bisweilen wählen Anrufer auch im Landkreis Stade den Notruf, weil sie unter der Notfallnummer der Kassenärztlichen Vereinigung – 116 117 – auch nach langen Wartezeiten nicht durchkommen. Selbst die Leitstellen-Disponenten landeten bisweilen in der Warteschleife, wenn sie Gespräche dorthin vermitteln wollen.
Auch bei der Buchholzer Feuerwehr werde viel zu häufig für Nichtigkeiten angerufen, bestätigt Buchholz' Stadtbrandmeister André Emme. "Wir sind keine Dienstleister", betont Emme. "Die Feuerwehr ist für den Notfall da." Ein Notfall sei es nicht, wenn auf dem eigenen Grundstück ein Baum umzufallen droht - es sei die Verpflichtung des Eigentümers, sich darum zu kümmern. Ein Notfall sei etwa ein Baum, der auf die Straße gekippt ist.
Im Krankenhaus in der Notaufnahme
In den Krankenhäusern müssen sich die Verantwortlichen zunehmend mit Menschen beschäftigen, die in den jeweiligen Notaufnahmen eigentlich nichts zu suchen haben. In der Notaufnahme der Elbe Kliniken in Buxtehude und in Stade werden pro Jahr mehr als 70.000 Patienten und Patientinnen versorgt. Die personelle und räumliche Belastung ist sehr hoch. Denn jede Person muss erfasst und medizinisch gesehen werden – ob wirklicher akuter Notfall oder nicht.
Die Elbe Kliniken arbeiten hier mit dem sogenannten Manchester-Triage-System. Dabei werden die Patientinnen und Patienten nach der Schwere ihrer Verletzungen oder Erkrankungen nach einem Farbschema eingestuft. Je nach Einstufung muss der bzw. die Betroffene dann in einer vorgegebenen Zeit einem Arzt vorgestellt werden (rot: sofort, orange: zehn Minuten, gelb: 30 Minuten, grün: 90 Minuten, blau: 120 Minuten). Die Personen, die die Einstufung grün oder blau erhalten, kommen in der Regel mit Beschwerden, die kein akuter Notfall sind und deshalb eher vom Haus- oder Facharzt gesehen werden sollten. Dieser Anteil entspricht zwei Drittel.
Vielen Bürgerinnen und Bürgern fällt es jedoch schwer, zu beurteilen, ob sie ein Fall für die Notaufnahme sind oder nicht. Bei der Einschätzung kann ein Anruf beim ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 helfen.
Notaufnahmen sind überlastet
"Man kann sagen, dass bundesweit die Notaufnahmen überlastet sind", sagt auch die Co-Geschäftsführerin der Krankenhäuser Winsen und Buchholz, Dr. Franziska von Breunig. Auf das Problem gebe es keine einfache Antwort, betonte sie. "Die wenigsten Menschen rufen die 112 an, weil sie jemanden ärgern wollen. Die meisten tun das, weil sie es persönlich für notwendig halten." Aus medizinischer Sicht kämen objektiv immer mehr Menschen mit Bagatellfällen in die Notaufnahmen. "Es herrscht eine große Unsicherheit, mit welchen Beschwerden ich mich wohin wenden soll", sagte von Breunig. Das liege auch daran, dass das System mit der Rufnummer 116117 derzeit nicht funktioniere. Der ärztliche Bereitschaftsdienst soll den Menschen außerhalb der Sprechstundenzeiten bei Erkrankungen helfen, mit denen Sie sonst in die Praxis ihres Hausarztes gehen würden und deren Behandlung nicht bis zum nächsten Tag warten kann.
Franziska von Breunig setzt auf zwei Neuerungen, die derzeit in der Diskussion sind. Zum einen sollen die Abfragen der Mitarbeiter der Rettungsleitstellen bei eingehenden Notrufen verbessert werden, sodass echte Notfälle besser von Bagatellfällen unterschieden werden können. Zum anderen sollen in den Krankenhäusern sogenannte integrierte Notfallzentren entstehen. Das Ziel: Mitarbeiter der jeweiligen Krankenhäuser und der Kassenärztlichen Vereinigung entscheiden an einem Tresen gemeinsam, ob der Patient intensiver oder ambulanter Hilfe bedarf. "Auf diese Weise können wir die Patientenströme besser steuern", erklärte Franziska von Breunig. Derzeit läuft ein Modellversuch im St.-Marien-Krankenhaus in Hamburg.
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