Marode Hamburger Elbbrücken
Brücken-Desaster wie in Dresden wäre fatal für die Landkreise Stade und Harburg
Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden war ein Weckruf. Die Straßeninfrastruktur, insbesondere bei den Brücken, ist vielerorts marode. Der Sanierungsstau ist immens und ein Brückeneinsturz könnte dramatische Folgen haben – vor allem bei vielbefahrenen Autobahnbrücken. Wäre eine der Hamburger Elbbrücken betroffen, könnte das ganze Verkehrsachsen zum Erliegen bringen. Bei einem Kollaps einer der Süderelbbrücken der A1 wären etwa weite Bereich des Landkreises Harburg von der Elbmetropole verkehrstechnisch abgekoppelt.
Schwache Tragfähigkeit, schlechter Zustand
Schon die jüngste Teilsperrung der Norderelbbrücke zeigt, wie fragil das Verkehrssystem ist. Es muss gar nicht zu einem Einsturz einer Brücke kommen. Eine (Teil-)Sperrung reicht bereits aus, um den Verkehr lahmzulegen. Derzeit rollen auf der A1 zwischen der Anschlussstelle Harburg und dem Autobahndreieck Hamburg-Südost an Werktagen bis zu 140.000 Fahrzeuge. Rund ein Viertel davon sind Lkw. Bis 2030 wird ein Anstieg auf rund 160.000 Autos prognostiziert. Wie sollen diese Automassen umgelenkt werden, wenn die Süderelbbrücke ausfällt?
Die Brücke, die streng genommen aus zwei Brückenbauwerken besteht, weist schon jetzt hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit die schlechteste Kategorie auf: Im sogenannten Traglastindex der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ist sie der untersten Stufe V zugeordnet (siehe Kasten). Auch der bauliche Zustand gibt Anlass zur Sorge. Er hat die Zustandsnote 3, wobei das Spektrum der Noten von 1 bis 4 reicht. Die Note 3 steht für einen "nicht ausreichenden Bauwerkszustand". Die Notenvergabe erfolgt nach Kriterien wie Standfestigkeit und Verkehrssicherheit.
Weitere Problembrücken
Weiter nördlich Richtung Hamburg gibt es im Verlauf der A255 einen weiteren Problemfall: die mehr als 200 Meter lange Brücke über den Müggenburger Zollhafen. Die Brücke aus den 1940er Jahren hat ebenfalls den Traglastindex V und die Zustandsnote 3. Auch hier hätte ein Einsturz oder eine Vollsperrung fatale Folgen: Die Hamburger City wäre aus Richtung Süden nur noch über Umwege mit dem Auto erreichbar. Fast genauso problematisch ist ein Stück weiter die sogenannte Neue Elbbrücke, die eigentlich alles andere als „neu“ ist. Ihre Grundstruktur stammt aus dem 19. Jahrhundert.
Über den Zustand der Hamburger Brücken kann die BASt keine Auskunft geben, da sie nur Autobahnen und Bundesstraßen erfasst. Zuständig ist der Hamburger Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), der über 1.200 Brücken betreut. Schon seit Jahren kritisieren Wirtschaftsverbände und die Opposition, dass mehr als die Hälfte der Hamburger Brücken sanierungsbedürftig ist und sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas getan hat. Dies wirft auch Zweifel am Zustand weiterer wichtiger Elbbrücken auf, die für Autofahrer aus den Landkreisen Harburg und Stade von Bedeutung sind.
Auch kritisch: Europabrücke und B75
Ein Beispiel wäre die Europabrücke in Harburg, die seit 1984 die Süderelbe im Zuge der B75 überspannt. Die Brücke gehört mit einer Zustandsnote von 2,8 und einem Traglastindex von IV zwar nicht zu den größten Sorgenkindern unter den Hamburger Brücken. Doch wenn nichts passiert, dürfte sich der Zustand in den kommenden Jahren deutlich verschlechtern. Gerade die B75 dient als wichtige Entlastungsstrecke für Autofahrer aus dem Landkreis Harburg, wenn es auf der A1 zu Staus kommt. Aber nicht nur marode Elbbrücken könnten den Verkehr lahmlegen, wie ebenfalls das Beispiel B75 zeigt: Die Brücke im Zuge der "Harburger Umgehung" ist von der Tragfähigkeit her nicht mehr besonders belastbar (IV). Gleiches gilt für etliche kleinere Brücken der Autobahnen A1 und A7 im Landkreis Harburg.
Hochstraße Elbmarsch: Sorge und Hoffnung
Nicht viel besser sieht es im Südwesten Hamburgs aus. Bevor sie in den Elbtunnel fahren, passieren die Autos auf der A7 die mit 4,3 Kilometern längste Straßenbrücke Deutschlands. Die 1974 fertiggestellte Brücke wirkt aber gar nicht als solche, sondern eher als Autobahn auf Stelzen. Ihre Bezeichnung "Hochstraße Elbmarsch" trägt dieser Tatsache Rechnung. Einige Abschnitte dieser Hochstraße landen hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit in der schlechtesten Kategorie (V) und haben einen schlechten baulichen Zustand (Note 3). Auch hier gilt wie bei der A1: Ein Kollaps dieser wichtigen Nord-Süd-Achse hätte verheerende Folgen. Täglich rauschen rund 160.000 Autos durch den Elbtunnel. Ohne die Hochstraße wäre der Tunnel gar nicht zu erreichen. Was hier allerdings hoffnungsvoll stimmt: Seit 2020 laufen hier Bauarbeiten. Die Hochstraße wird umfassend saniert und auf acht Fahrstreifen erweitert. Die Maßnahme, die als eine der größten Brückenmodernisierungen in Deutschland gilt, soll 2028 abgeschlossen sein.
Bewertung nach dem Traglastindex
Der Traglastindex ist ein Vergleich zwischen der eigentlich erforderlichen (Soll-Traglast) und der tatsächlichen Tragfähigkeit (Ist-Traglast) einer Brücke. Der Soll-Wert zeigt, welche Last eine Brücke eigentlich tragen soll. Dabei spielt die Verkehrsdichte eine wichtige Rolle. Der Traglastindex drückt aus, wie stark der Unterschied zwischen der erforderlichen und der tatsächlichen Belastung ist. Mit anderen Worten: Es geht darum, für welche Belastung eine Brücke ursprünglich ausgelegt war und welche Last sie heutzutage geeignet ist? Für die Berechnung des Index werden Kriterien wie das Baujahr, das verwendete Material und das Verkehrsaufkommen herangezogen. Der beste Wert ist 1, der schlechteste 5. Eine Brücke hat oft mehrere Teile, die aber einzeln bewertet werden.
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