Landesrechnungshof kritisiert Landesregierung
Corona-Rückblick: Steuergeldverschwendung bei niedersächsischen Impfzentren
Die Corona-Pandemie ist im Bewusstsein der Menschen längst von anderen Ereignissen verdrängt worden. Auch politisch ist das Thema Corona nicht aufgearbeitet. Fragen, wo die Unsummen an Steuergeldern geblieben sind, die Bund und Land im Verlauf der Pandemie ausgegeben haben, sind unzureichend beantwortet. So wurden beispielsweise horrende Beträge für die Bereitstellung von Masken aufgewendet. Ebenfalls erheblich zu Buche schlugen die Kosten für die staatlich organisierten Impfmaßnahmen. Hier hat der Landesrechnungshof (LRH) jetzt Zahlen für Niedersachsen vorgelegt. Demnach verursachten die 50 Impfzentren, die im Jahr 2021 landesweit für acht Monate in Betrieb waren, Kosten in Höhe von 332 Millionen Euro. Aus Sicht des LRH verlief die Organisation der Impfzentren im Land alles andere als effizient. Besonders kritisch gesehen werden die hohen Kosten, die durch die Vergütung der Ärzte entstanden sind (67,5 Millionen Euro), sowie die unzureichende Steuerung der Impfkapazitäten.
Keine Kontrolle der Abrechnungen
Was die Rechnungsprüfer besonders geärgert hat: Sie mussten sich die Zahlen selbst zusammensuchen. "Das Land verfügte über keine vollständige und differenzierte Übersicht zu den tatsächlichen Gesamtkosten der Impfzentren", heißt es im Prüfbericht. Eine detaillierte Überprüfung dieser Ausgaben erfolgte weder durch das Sozialministerium noch durch die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN). Stichprobenkontrollen, um die Richtigkeit der von den Ärzten abgerechneten Arbeitsstunden zu gewährleisten, fanden nicht statt. Dabei müssten sämtliche Unterlagen vorliegen. Jedenfalls erklärte der Landkreis Stade auf WOCHENBLATT-Nachfrage, dass alle Daten und Dokumente zu den Impfzentren vom Land angefordert und dorthin komplett abgegeben worden seien. Bei den anderen Landkreisen wird das ebenfalls der Fall sein.
Zu hoher Stundensatz für Ärzte
Besonders problematisch erscheint den obersten Finanzprüfern im Land die Höhe der ärztlichen Vergütung: Pro 15 Minuten wurden 37,50 Euro abgerechnet, was einem Stundensatz von 150 Euro entspricht. Bei einem Einsatz in Vollzeit (40 Wochenstunden) hätte das monatliche ärztliche Honorar 23.400 Euro betragen. Auch wenn das Land den Ärzten den freiwilligen Job im Impfzentrum mit einem hohen Salär schmackhaft machen wollte: Nach Ansicht des Landesrechnungshofes gibt es keine plausible Begründung für eine derart hohe Bezahlung der Impfärzte. Eine geringere Vergütung wäre durchaus möglich gewesen, ohne die Einsatzbereitschaft innerhalb der Ärzteschaft zu gefährden, heißt es im Bericht. Allein durch die Differenz zur ursprünglich angedachten Vergütung von 120 Euro pro Stunde seien dem Land zusätzliche Kosten von mehr zehn Millionen Euro entstanden.
Geringe Auslastung und mangelnde Steuerung
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die ineffiziente Nutzung der Impfzentren, insbesondere ab Mitte 2021. Trotz eines drastischen Rückgangs der Impfzahlen ab Juli 2021 hielt das Land an der bestehenden Infrastruktur fest, ohne diese an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Zwischen Juli und September 2021 hätten die Impfzentren laut LRH rechnerisch rund 1,5 Millionen zusätzliche Impfungen durchführen können – diese Kapazitäten blieben jedoch ungenutzt. Dies führte zu einem finanziellen Verlust von mehr als 54 Millionen Euro - allein dadurch, dass der Betrieb der Impfzentren trotz deutlich geringerer Nachfrage im bisherigen Umfang aufrechterhalten wurde.
Hohe Kosten pro Impfung
Damit schnellten letztlich auch die Kosten pro Impfung in die Höhe. Sie betrugen bei den Impfzentren im Landesdurchschnitt ca. 56 Euro. Die Impfung in einer Arztpraxis kostete nur halb so viel: Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte erhielten während der Impfkampagne für dieselbe Leistung wie in den Impfzentren lediglich 28 Euro. Das Land verpflichtete die Landkreise zwar, täglich Daten zu den Impfkapazitäten zu melden, wertete diese jedoch nicht systematisch aus. Dadurch fehlte ein Überblick über die tatsächliche Auslastung der Zentren, was eine wirtschaftliche Steuerung erschwerte. Diese Versäumnisse des Landes verstoßen aus Sicht des Landesrechnungshofes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, selbst in einer Krisensituation.
Impfzentren waren acht Monate in Betrieb
Die Impfzentren waren von Februar bis Ende September 2021 in Betrieb. Der Landkreis Stade hatte ein zentrales Impfzentrum in einer Fabrikhalle in einem Stader Gewerbegebiet, im Landkreis Harburg gab es zwei Standorte in der Stadthalle Winsen (betrieben vom DRK) und in der Schützenhalle in Buchholz (betrieben von den Johannitern). Die Impfzentren waren zwar schon im Dezember 2020 einsatzbereit, doch zunächst konnte das Land keinen Impfstoff liefern.
Landkreis Harburg: Mehr als 200.000 Impfungen
In den beiden Impfzentren im Landkreis Harburg wurden in acht Monaten knapp 202.000 Impfungen vorgenommen. Dort waren mehr als 300 Helfer tätig, die rund 90.000 Einsatzstunden ableisteten. Weitere 100.000 Impfungen erfolgten durch mobile Impfteams in Impfstützpunkten und bei besonderen Impfaktionen - etwa in Altenheimen. Diese Aktionen liefen bis Ende 2022. Für die Impfzentren und mobile Impfteams wandte der Landkreis Harburg mindestens 13,7 Millionen Euro auf. Bis auf 200.000 Euro wurden diese Kosten vom Land erstattet. Die Honorare für die Ärzte sind in dem Betrag nicht enthalten. Sie haben ihre Leistungen direkt über die kassenärztliche Vereinigung abgerechnet.
Landkreis Stade: Rund 143.000 Impfungen
Das Stader Impfzentrum führte von Februar bis September 2021 rund 143.000 Impfungen durch. 95 Ärzte waren dort - wie der Landkreis mitteilt - in "sehr unterschiedlicher Anwesenheit" tätig. Neben den Ärzten arbeiteten im Impfzentrum insgesamt 634 Personen. Davon waren 279 impfbefähigte Kräfte, 236 waren in der Verwaltung eingesetzt und 119 halfen als sogenannte Unterstützungskräfte mit. Die Kosten des Impfzentrums Stade (ohne Honorar für die Ärzte) beliefen sich auf rund sechs Euro, davon waren knapp 4,3 Millionen Euro Personalkosten. Die Miete der Firmenhalle kostete knapp 460.000 Euro, für die Einrichtung und Ausstattung des Impfzentrums wurden 716.000 Euro aufgebracht (inklusive Abbau). Ein strittiger Betrag von 100.000 Euro wurde vom Land nicht erstattet. Der Landkreis Stade kann die Kosten für die ärztlichen Leistungen nicht beziffern, da die Abrechnung über die kassenärztliche Vereinigung abgewickelt wurde.
Im Landkreis Stade waren in Spitzenzeiten bis zu vier mobile Impfteams sowie ein weiteres Impfteam ausschließlich für die Impfung von Kindern aktiv. Die Teams nahmen fast 30.000 Impfungen vor. Genaue Angaben zu den Kosten und der Zahl der Beschäftigten in den Impfteams kann der Landkreis nicht mehr machen. Sämtliche Datenträger inklusive der eingesetzten Handys und Laptops sowie alle Aufzeichnungen und personenbezogenen Unterlagen mussten zum Jahresende 2023 an das Land abgegeben werden. Für die Impfteams hatte der Landkreis einen Dienstleistungsvertrag mit DRK geschlossen. Das Personal war - bis auf die Ärzte - dort angestellt.
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