Die Zukunft der Deiche: Künftige Sturmfluten werden immer höher ausfallen / Bestehende Deichlinie an der Elbe wird gehalten
(jd). „Auf einmal kippte vom Außendeich her ein zwei Meter breites Stück Grasnarbe weg. Wir schnell nach Haus, das Wasser, das sich ein immer tieferes Loch in den Deich fraß, hinterher. Das Wasser umspülte das Haus und stieg ungeheuer schnell. Schließlich bahnte sich die Flut ihren Weg...“ - Diese dramatischen Zeilen stammen aus einem Erlebnisbericht einer Frau aus Dornbusch. Der geschilderte Deichbruch liegt nicht mehrere Jahrhunderte zurück, sondern ereignete sich erst vor 40 Jahren - während der „vergessenen Flut“. Im Januar 1976 wurde die deutsche Nordseeküste von der gewaltigsten Sturmflut aller Zeiten heimgesucht. An sie erinnert sich kaum jemand, weil sich im kollektiven Gedächtnis der Küstenbewohner beim Stichwort „Sturmflut“ die Katastrophe von 1962 mit ihren mehr als 300 Toten allein in Hamburg eingebrannt hat.
Mit immer höheren Deichen versuchen wir den Wassermassen zu trotzen. Vorerst mit Erfolg, wie sich vor drei Jahren beim Orkantief „Xaver“ zeigte: Obwohl bei der „Nikolausflut“ am 6. Dezember 2013 das Wasser entlang der Unterelbe auf den dritthöchsten jemals gemessenen Wert anstieg, gab es so gut wie keine Hochwasserschäden. Wie lange geht das gut? Unendlich lassen sich die Deiche nicht erhöhen. Doch nach aktuellen Studien soll die kontinuierliche Verstärkung der bestehenden Deichlinien in jeder Hinsicht - auch ökonomisch gesehen - der beste Küstenschutz sein.
In den vergangenen Jahren haben sich Wissenschaftler intensiv mit dem Thema Küstenschutz befasst - auch vor dem Hintergrund des Klimawandels und des dadurch bedingten Anstiegs des Meeresspiegels. Dabei wurden auch Alternativen zur Deichverstärkung beleuchtet: Eine mögliche Option wäre die komplette Aufgabe der sturmflutgefährdeten Regionen. Allein in Niedersachsen müssten dann rund 1,2 Millionen Menschen umgesiedelt werden. Zur Debatte stand auch die Beschränkung des Küstenschutzes auf größere Städte. Orte wie Stade wären dann wie Inseln von Ringdeichen umgeben, während das Altes Land nicht mehr bewohnt wäre. Allein die Schaffung einer neuen Infrastruktur (Straßen und Eisenbahnen auf Dämmen) würde ein Vielfaches der jetzigen Kosten für den Deichschutz verschlingen.
Um die künftig erforderlichen Deichhöhen zu ermitteln, haben die Wissenschaftler komplexe Prognosemodelle entwickelt. So hat die Forschungsstelle Küste des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) kürzlich eine Neuberechnung vorgenommen. Der Modellrechnung sei dabei eine extreme Sturmflut zugrunde gelegt worden, die in diesem Ausmaß noch nie dagewesen, aber in Zukunft möglich sei, so das NLWKN.
Die Ergebnisse werden in den neuen „Generalplan Küstenschutz“ einfließen, an dem derzeit gearbeitet wird. Einzelheiten zu den neuen Deichhöhen will das NLWKN noch nicht nennen: „Es laufen noch Abstimmungsgespräche mit Hamburg und Schleswig-Holstein“, wurde auf Anfrage mitgeteilt. Der letzte Generalplan stammt aus 2007. Diese „Küstenschutz-Agenda“ wird ungefähr alle zehn Jahre neu überarbeitet.
"Die vergessene Flut"
Die im Haupttext zitierte Schilderung eines Deichbruchs stammt aus dem Buch „Die vergessene Flut 1976 in Kehdingen“ von Günther Borchers (Foto). In dem Bildband hat der Heimatforscher dokumentiert, welche Schäden die Sturmflut anrichtete.
Das Buch kann an diesem Wochenende auf dem Kunsthandwerkermarkt in Drochtersen erworben werden und ist ab Montag, 28. November, zum Kaufpreis von 18 Euro in allen Filialen der Volksbank Kehdingen erhältlich.
Meeresspiegel steigt bis zu ein Meter
Laut einer gerade erschienenen Studie des renommierten Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum in Geesthacht ist der Meeresspiegel der Nordsee seit Beginn des 20. Jahrhunderts um rund 20 Zentimeter gestiegen. Bis 2100 ist ein weiterer Anstieg wahrscheinlich - bis zu einem vollen Meter.
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