Interview mit dem Medizinischen Direktor der Elbe Kliniken Stade
Ein Jahr Corona: Wie gingen die Elbe Kliniken mit der Pandemie um?
jd. Stade. Ein Jahr Corona - und (vorerst) kein Ende. In der vergangenen Woche kam die Politik zum Thema Pandemie zu Wort: Landrat Michael Roesberg zog in einem Interview ein Fazit zum bisherigen Verlauf der Pandemie in der Region und äußerte sich zu den Aussichten für die Zukunft. Nun soll das Thema noch einmal aus medizinischer Sicht beleuchtet werden. Denn außer den Erkrankten selbst gehören Ärzte und Pflegepersonal an den Krankenhäusern zu denjenigen, die am stärksten von den Auswirkungen der Pandemie betroffen waren und auch noch sind. Sie sind bei der Behandlung und Versorgung der COVID-19-Patienten täglich mit den Folgen von Corona konfrontiert. Das WOCHENBLATT sprach mit dem Medizinischen Direktor der Elbe Kliniken, Dr. Dietmar Wietholt, darüber, wie die Situation im Krankenhaus während der ersten Corona-Welle war und wie sich die Lage heute darstellt.
WOCHENBLATT: Herr Dr. Wietholt, wie haben Sie damals die Nachricht des ersten Corona-Falles im Landkreis Stade aufgenommen?
Wietholt: Uns war relativ schnell klar, dass es sich um eine weltweite Pandemie handelt, die zu einem unbestimmten Zeitpunkt auch im Landkreis Stade ankommt. Wir waren demnach gut vorbereitet und sind gemeinsam mit dem Landkreis, dem Gesundheitsamt, der Kassenärztlichen Vereinigung sowie dem Deutschen Roten Kreuz und vielen weiteren Beteiligten konzentriert sowie professionell damit umgegangen. Wir haben sehr frühzeitig damit begonnen, uns auf die schlimmsten Szenarien vorzubereiten, die in Deutschland glücklicherweise nie in der Form aufgetreten sind, wie wir sie durch die frühen Bilder aus Italien kannten.
WOCHENBLATT: Können Sie sich noch an die ersten COViD-19-Patienten in den Elbe Kliniken erinnern?
Wietholt: Ja, ich kann mich ganz genau an die ersten Covid-Patienten erinnern, insbesondere da neben der klinischen Behandlung die Kontaktnachverfolgung und die Einschätzung der epidemiologischen Lage von herausfordernder Bedeutung waren.
WOCHENBLATT: Wie bewerten Sie im Nachhinein die Maßnahmen während der ersten Corona-Welle – insbesondere das Herunterfahren der Kapazitäten, um Betten für COVID-19-Erkrankte freizuhalten?
Wietholt: Ein umfangreiches Freihalten von Betten für an COVID-19 erkrankte Personen in dieser Situation war sicherlich richtig. Die Schaffung von zusätzlichen Isolationsmöglichkeiten erforderte zudem mehr Räumlichkeiten und einen höheren Personaleinsatz.
Kritisch zu bewerten ist im Nachhinein das komplette Zurückfahren planbarer OP-Eingriffe in der ersten Welle. Die unter anderem dadurch entstandene Unsicherheit in der Bevölkerung hat bis heute zur Zurückhaltung bei Krankenhausaufenthalten auch bei zwingend notwendigen Behandlungen geführt. Dieser Zurückhaltung müssen wir entschieden entgegentreten, um zum Beispiel Tumorerkrankungen, Schlaganfälle und Herzinfarkte rechtzeitig behandeln zu können.
WOCHENBLATT: Was wird jetzt in den Elbe Kliniken während der zweiten Welle der Pandemie aus Ihrer Sicht anders oder womöglich auch besser gemacht?
Wietholt: Nach nun einem Jahr sind völlig neue Routinen entstanden, die den Umgang mit dem Virus sowie mit infizierten Patienten wesentlich erleichtern. Wir wissen jetzt mehr über das Virus und können die richtigen Hebel dadurch wesentlich schneller in Bewegung setzen. Ausreichend verfügbare Schutzausrüstung trägt zudem erheblich zur Sicherheit der Patienten und Mitarbeiter bei. Die große Verfügbarkeit und Anwendung von Schnelltests hat nicht zuletzt auch bei uns gezeigt, dass einzelne Infektionen damit schnell und zuverlässig aufgedeckt werden können und die Verbreitung eingedämmt wird.
Die OP-Kapazitäten sind darüber hinaus in der zweiten Welle nur noch gering eingeschränkt und werden nahezu passgenau an die jeweilige Situation ausgerichtet.
WOCHENBLATT: Gab es während der Pandemie in den Elbe Kliniken jemals einen Zeitpunkt, an dem Sie ernsthaft in Sorge waren, dass die Intensivplätze nicht ausreichen?
Wietholt: Um die Weihnachtszeit herum waren unsere drei Intensivstationen in Stade und Buxtehude saisonal bereits durch Patienten ohne COVID-19 sehr stark ausgelastet. Wir waren jedoch immer in der Situation, dass wir alle Patienten versorgen konnten. Wir wissen jedoch auch, dass sich schnell „Hotspots“ bilden können, die Krankenhäuser in eine Extremlage versetzen. Im Zuge der Förderung von Beatmungsplätzen haben wir früh und intensiv die Erweiterung der Kapazitäten eingeleitet.
Darüber hinaus verlangt die Pandemie den Mitarbeitern sehr viel ab. Sie sind durch ihre Flexibilität und ihren Einsatz die ausschlaggebende tragende Säule. Dafür sind wir sehr dankbar.
WOCHENBLATT: Wie sieht es derzeit aus: Werden gegenwärtig alle planbaren Operationen durchgeführt oder gibt es hier Einschränkungen?
Wietholt: Gegenwärtig werden alle planbaren Operationen in etwa in dem Umfang wie vor der Pandemie durchgeführt. Im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Operationsstau bei dringlichen wie bei den geplanten Eingriffen wäre eine darüber hinaus gehende Kapazitätserweiterung wünschenswert.
WOCHENBLATT: Man hört immer wieder, dass Kranke den Weg in die Klinik gescheut haben, aus Angst, sich mit Corona anzustecken. Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser Problematik gemacht?
Wietholt: Leider erleben unsere Ärzte tagtäglich noch Situationen, in denen Patienten Operationen absagen oder viel zu spät den Weg in die Klinik finden, weil sie sich nicht getraut haben. Das kann für die Patienten weitreichende Folgen haben. Dabei wird – wahrscheinlich mit Ausnahme des Profifußballs – nirgends so viel auf Corona getestet und für die Hygiene getan wie in medizinischen Einrichtungen. Wir können nur immer wieder betonen: Suchen Sie bei Beschwerden ohne Verzögerungen weiterhin Ihren Arzt oder das Krankenhaus auf!
WOCHENBLATT: Wie hoch ist überhaupt Anteil des Personals, das direkt mit Corona-Patienten zu tun hat?
Wietholt: Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bereiche und der Rund-um-die-Uhr-Betreuung kamen mehrere Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Covid-Erkrankten in Kontakt. In der internen höchsten Risikogruppe befinden sich rund 800 Mitarbeitende überwiegend aus den Bereichen der Zentralen Notaufnahmen, der Intensiv- und der Infektionsstationen. In der zweithöchsten Risikogruppe befinden sich weitere 1.300 Mitarbeitende.
Grundsätzlich kann jedoch gesagt werden, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter mit Patientenkontakt tagtäglich trotz Testung der Gefahr ausgesetzt ist, einen noch unwissentlich mit Covid-19 infizierten Patienten vor sich zu haben.
WOCHENBLATT: Wann ist damit zu rechnen, dass an den Elbe Kliniken die Beschränkungen hinsichtlich der Patientenbesuche gelockert werden?
Wietholt: Für uns steht die Sicherheit der Mitarbeiter sowie der Patienten stets im Mittelpunkt. Kaum ein Ort ist neben einem Alten- oder Pflegeheim so schützenswert wie ein Krankenhaus, in dem sich ohnehin bereits Menschen mit Vorerkrankungen befinden. Derzeit – und insbesondere aufgrund der zahlreichen und sich schnell verbreitenden Mutationen – sind Patientenbesuche außer den bekannten Ausnahmen (Palliativsituationen, Geburtshilfe und Kinderklinik) nicht vorstellbar. Natürlich hoffen wir jedoch, dass die Inzidenzwerte noch weiter sinken und parallel dazu die Impfungen voranschreiten. Dann sollten neben anderen Öffnungen in vielen Lebensbereichen auch Patientenbesuche wieder möglich sein.
WOCHENBLATT: Von welchen Zeiträumen würden Sie sprechen, wenn es darum geht, dass in den Elbe Kliniken eine “neue Normalität” Einzug halten kann?
Wietholt: Wir sind zuversichtlich, dass der nächste Herbst wesentlich weniger Maßnahmen mit sich bringen wird als der vergangene. Dies setzt voraus, dass bis zum Spätsommer alle Bürger ein Impfangebot erhalten haben und die meisten dieses auch angenommen haben. Oder anders gesagt: Sobald wir wieder ungehindert auf Veranstaltungen gehen oder reisen können, wird auch bei uns die „neue Normalität“ Einzug halten. Diese wird hinsichtlich der Prozesse und der Vorkehrungen erheblich von der bisherigen Routine abweichen.
WOCHENBLATT: Sie erwähnten gerade den Begriff "Impfangebot". Wie viele Angehörige des medizinischen Personals und wie viele Pflegekräfte sind bis jetzt geimpft worden?
Wietholt: Mittlerweile konnte nahezu allen Mitarbeitern der höchsten Risikogruppe, die rund 800 Beschäftigte umfasst, ein Impfangebot gemacht werden. Insgesamt sind bislang 741 Mitarbeiter geimpft worden – davon 344 Personen bereits mit der Zweitimpfung. In dieser Woche ist die Impfung der zweithöchsten Risikogruppe gemäß Corona-Impfverordnung mit weiteren 450 Impfdosen angelaufen. In dieser zweithöchsten Risikogruppe befinden sich rund 1.300 Mitarbeitende, denen wir immer dann sofort ein Impfangebot machen, sobald wir Impfstoff zur Verfügung haben. Wir gehen davon aus, allen Mitarbeitern der klinischen Bereiche im Laufe des Frühjahres ein Impfangebot gemacht zu haben.
WOCHENBLATT: Wie viele haben bisher ein Impfangebot abgelehnt?
Wietholt: Bei der ersten internen Abfrage haben sich nur rund sechs Prozent der Mitarbeitenden gegen eine Impfung ausgesprochen. Die Impfbereitschaft liegt unternehmensweit bislang bei erfreulichen rund 90 Prozent.
WOCHENBLATT: Können Sie die Vorbehalte mancher Menschen gegen den Impfstoff von AstraZeneca nachvollziehen?
Wietholt: Mit Blick auf die teils verwirrende Informationsflut kann ich manche Vorbehalte nachvollziehen, teile diese aber nicht. Eine Impfung ist und bleibt jedoch freiwillig – unabhängig vom Impfstoff. Viele Studien und Untersuchungen haben mittlerweile belegt, dass auch das Vakzin von AstraZeneca viele Vorteile mit sich bringt und vor allem vor schweren Krankheitsverläufen schützt. Ich würde mich, sobald ich an der Reihe bin, auch mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen.
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