Einer der bedeutendsten Fotojournalisten Deutschlands wohnt auf der Stader Geest
Günter Zint: Kult-Fotograf und Kiez-Chronist

Der Kult-Fotograf mit einem seiner bekanntesten Bilder: Günther Wallraff als Türke Ali | Foto: jd
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  • Der Kult-Fotograf mit einem seiner bekanntesten Bilder: Günther Wallraff als Türke Ali
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jd. Estorf-Behrste. "In dieser Zeit hätte ich schon ein Dutzend Aufnahmen geschossen." Günter Zint zeigt sich etwas ungeduldig, als er für ein Foto posieren soll. Doch nicht jeder kann so ein begnadeter Fotograf wie Zint sein. "Der Chronist von St. Pauli", wie er oft genannt wird, gehört zur Crème de la Crème der deutschen Fotojournalisten. Seine Fotos sind wie seine Motive längst selbst ein Stück Zeitgeschichte. Zint hat die Begabung, immer im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. So gelangen ihm die Aufnahmen, die ihn bekannt gemacht haben - etwa von den Größen der internationalen Musikszene wie Jimmi Hendrix oder den Beatles. Der Kult-Fotograf vom Kiez schätzt, in den mehr als 60 Jahren seines Schaffens rund drei Millionen Bilder geknipst zu haben. "Ich bin Deutschlands meistveröffentlichter Fotograf", sagt Zint.

Diesen medialen Schatz verwahrt "GüZi", wie ihn auf dem Kiez alle nennen, gut geschützt auf seinem Anwesen im Ostedörfchen Behrste. In einem feuerfesten Tresor lagert eine von fünf Sicherheitskopien seines Bildarchivs. Auf dem alten Bauernhof und dem umliegenden Gelände mit Zirkuswagen und Pferdekoppel lebt der Fotograf gemeinsam mit sieben Erwachsenen und vier Kindern. Als Landkommune mag er diese Form des Zusammenlebens aber nicht bezeichnen, und auch nicht als Wohngemeinschaft: "Wir nennen uns hier einfach 'Freie Republik Behrste'", erklärt Zint.

Die Bezeichnung führte vor Ort zu Irritationen. Sei er etwa Reichsbürger, so die besorgte Nachfrage. Natürlich ist es völlig absurd, ausgerechnet Zint, der geradezu als eine Ikone der links-alternativen Bewegung gilt, in der rechten politischen Ecke zu verorten. Mit seinen Fotos hat er immer einen kritischen Blick auf die Staatsmacht geworfen. Seine Aufnahmen von knüppelnden Polizisten bei den 68er-Demonstrationen oder die Fotos, mit denen Zint den Widerstand gegen das AKW Brokdorf und das Atomlager Gorleben dokumentiert hat, sind inzwischen Teil des kollektiven publizistischen Gedächtnisses unserer Republik.

Günter Zint vor seinem Anwesen. Hier auf dem Lande fühlt er sich wohl  | Foto: jd
  • Günter Zint vor seinem Anwesen. Hier auf dem Lande fühlt er sich wohl
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Die "Freie Republik Behrste" ist letztlich eine Reminiszenz an die "Freie Republik Wendland". Auch deren Aktivtäten während der kurzen Zeit ihres Bestehens hat Zint in seinen Bildern festgehalten. Dass gerade dieser Teil seiner Arbeit in der Berichterstattung über ihn oftmals ausgeblendet wird, wurmt Zint ein wenig. Denn der bekennende Gewerkschafter, der auch die Fotos für die legendären Undercover-Reportagen von Günther Wallraff ("Ganz unten") gemacht hat und der die "St. Pauli Nachrichten" als ursprünglich linke Boulevardzeitung (mit dem späteren Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust als Mitarbeiter) als Gegenentwurf zur "Bild-Zeitung" gegründet hat, sieht sich in erster Linie als politischen Fotografen.

Doch bei den Lobeshymnen, die kürzlich anlässlich von Zints 80. Geburtstag landauf, landab in den Zeitungen erschienen, ging es wieder nur um den Starclub und die dort aufgetretenen Musiker. "Immer nur Jimmi Hendrix und Co. - das geht mir manchmal schon auf den Senkel", bekennt Zint. Schließlich war das erfolgreichste seiner bisher 88 Bücher und Bildbände das 1982 im Kult-Verlag "Zweitausendeins" erschienene Buch "Gegen den Atomstaat". Eine Million Bücher in 30 Auflagen wurden davon gedruckt. "Damit bin ich der Simmel der Fotografie", meint Zint augenzwinkernd.

Dieses Bild ging damals durch die Medien: Marianne Fritzen von der BI Lüchow-Dannenberg in der Diskussion mit Polizisten | Foto: Günter Zint
  • Dieses Bild ging damals durch die Medien: Marianne Fritzen von der BI Lüchow-Dannenberg in der Diskussion mit Polizisten
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Allerdings muss Zint auch einräumen: Er und der Kiez - das ist geradezu eine Symbiose. 1988 hat er das St. Pauli Museum gegründet, zu dessen Eröffnung Paul McCartney als Ehrengast kam. Nach mehrmaligen Umzügen und dem Corona-bedingten vorläufigen Aus im vergangenen Herbst landete ein Großteil des Inventars und der Exponate im alten Pferdestall in Behrste sowie in 250 Umzugskartons, die in einer Tiefgarage in Hamburg gelagert werden. 

Ein Neubeginn ist aber schon geplant: "Das Museum soll am Spielbudenplatz entstehen", verrät Zint. Träger wird eine Stiftung sein, die u.a. von Zints langjährigem Freund Udo Lindenberg gesponsert wird. Bevor das Museum nach Hamburg zurückkehrt, soll es im Stader Schwedenspeicher im Herbst eine Sonderausstellung unter dem Motto "St. Pauli Museum im Exil" geben.

Zint hofft, dass die Stader diesmal aufgeschlossener sind. Denn mit der Hansestadt verbinden ihn keine guten Erinnerungen: Ende der 1980er hatte der Fotograf in einem Radio-Interview die Vermutung geäußert, dass seine Werke wohl niemals in einer Bank ausgestellt würden. Daraufhin hatte der damalige Kreissparkassen-Chef ihm angeboten, seine Bilder in den Räumen der Stader Schalterhalle zu zeigen.

Doch die Ausstellung wurde seitens der Sparkasse vorzeitig beendet. Kunden hatten angesichts der Bilder, die sich kritisch mit Atomkraft und Umweltzerstörung auseinandersetzten, mit der Kündigung ihrer Konten gedroht. Das Ganze gipfelte damals in dem Vorwurf, Zint sei ein Sympathisant der Hafenstraßen-Besetzer. Mit dieser Vermutung lag man gar nicht so falsch, erklärte Zint später: "Ich fühle mich in der Hamburger Hafenstraße viel wohler als in dem steril sanierten und chemisch gereinigten Industriestandort Stade."

Umschulung für "Prostis"

(jd). Fahrgäste der EVB dürften vor ein paar Tagen nicht schlecht gestaunt haben, als auf einem Bahnhof eine nackte Frau in einem ausrangierten Waggon auf dem Nachbargleis herumturnte. Das war ein Fotomodell von Günter Zint. Das Foto-Shooting lief im Rahmen einer von Zint initiierten "Umschulung" für Prostituierte.

Foto: Günter Zint

"Die Frauen unterlagen wegen der Corona-Beschränkungen einem monatelangen Arbeitsverbot und hatten in dieser Zeit keinerlei Einnahmen", sagt Zint. Um ihnen ein Einkommen zu verschaffen, habe er einige "Prostis" wie Marina ( siehe Foto) für Aktfotos engagiert - zu fairen Konditionen. "Ich habe ihnen 50 Euro pro Stunde bezahlt." 

Kiez-Zoff schlägt Wellen bis nach Stade
Redakteur:

Jörg Dammann aus Stade

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