WOCHENBLATT-Streifzug über die Gefängnisinsel
Hahnöfersand: Naturparadies hinter Gittern
tk. Altes Land. Stille und Weite. Der Blick fällt auf eine malerische Bucht an der Elbe, die früher ein Hafen war. Neßsand und Hanskalbsand liegen gegenüber. Wenige Hundert Meter weiter, nach einem kurzen Fußmarsch, befindet sich inmitten bewirtschafteter Flächen ein einsamer Bauernhof. An diesem Oktobermorgen ist die Landschaft in warmes Sonnenlicht getaucht. Die Bäume der kleinen Allee hinter dem Hof beginnen langsam, sich zu herbstlich zu färben. Dass dieses naturnahe Paradies mit seinen vielen hundert Bäumen keine frei zugängliche Ökooase ist, bemerkt der Besucher mitunter nur dann, wenn Peter Vetter ein großes Metalltor mit dem Schlüssel öffnet. Vetter ist Leiter des Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand und Streifzüge dort sind den Inhaftierten im geschlossenen JVA-Bereich ebenso verboten, wie das Betreten der Elbinsel unangemeldeten Gästen untersagt ist. An der Pforte mit Schranke ist Schluss. WOCHENBLATT-Redaktionsleiter Tom Kreib konnte mit dem JVA-Leiter und mit Martin Schmidt vom "Projekt Justizvollzug 2020" der Hamburger Behörde für Justiz und Verbraucherschutz einen Hahnöfersand-Streifzug unternehmen. Was gibt es dort jenseits der Gefängnisgebäude zu sehen? Wir zeigen Hahnöfersand von einer Seite, die kaum jemand kennt.
Hintergrund des Inselbesuchs ist dabei der anstehende Umzug des Jugendstrafvollzugs nach Billwerder. Das soll 2026/2027 geschehen. Die Frage ist: Was passiert dann mit Hahnöfersand? Die Insel gehört seit gut einem Jahrhundert Hamburg, obwohl sie in Niedersachsen liegt. Das bedeutet auch, dass Bau- sowie Planungsrecht eine Sache der Gemeinde Jork und des Landkreises Stade sind.
Ein Landwirt als
Angestellter der Justiz
Wie die Zukunft Hahnöfersands konkret aussehen könnte, steht gegenwärtig noch nicht fest. Eine Hamburger Idee ist es, dort Ausgleichsflächen als Kompensation für Bauprojekte zu entwickeln. In Jork und im Stader Kreistag wird dagegen eine sanfte touristische Nutzung als bestmögliche Perspektive betrachtet. Wobei, das betont Martin Schmidt, die Zukunft der Insel nicht ausschlaggebend für den Umzug gewesen sei. "Im Mittelpunkt stand für Hamburg immer die Frage, wie zeitgemäßer Jugendstrafvollzug aussehen soll und wie das wirtschaftlich am besten hinzubekommen ist." Die Lösung war der Umzug nach Billwerder und - als spätere Folge - der Abriss der Gebäude auf der Insel und die Suche nach einer neuen Nutzung.
"Das ist ein Sammelsurium unterschiedlicher Baujahre und Baustile", sagt JVA-Leiter Peter Vetter über die Gebäude, die sich weiträumig verteilen. Nur der geschlossene Bereich ist mit ausbruchssicheren Zäunen und oben drauf mit Sicherheitsdraht befestigt. Viele andere Liegenschaften sind locker über die Insel verteilt. Drumherum nur ein normaler, allerdings sehr hoher, Zaun.
Der Besucher steht vor einem Rotklinkerhaus mit Fachwerkfassade der JVA-Verwaltung und fragt sich: Das soll weg? "Von außen hübsch, aber im Inneren marode", erklärt Vetter. Diesen Satz sagt er noch öfter beim Spaziergang über das Eiland. Seit 1911 ist Hahnöfersand eine Gefängnisinsel. Dementsprechend alt sind einige der Bauwerke. Im Laufe der Jahrzehnte wurde, etwa in den 1970er-Jahren eine Turnhalle, im jeweiligen funktionalen Stil der Zeit erweitert. "Unter Denkmalschutz steht hier kein einziges Gebäude", erklärt Vetter.
Interessante Zeugen der Vergangenheit sind an einigen Stellen zu sehen. Etwa eine alte Mini-Fähre, mit der im Notfall das Festland über die Borsteler Binnenelbe erreichbar war, als es den Damm noch nicht gab. "Die Fähre könnte mit nach Billwerder umziehen", überlegt Vetter. Das wäre ein Zeichen der Kontinuität.
Früher wurden sowohl Waren- als auch Personentransporte über den Minihafen auf Hahnöfersand abgewickelt. Von dem ist heute nichts mehr sichtbar. Malerisch hat er sich zur Elbbucht entwickelt. Der Weg von den Verwaltungsgebäuden der JVA dorthin führt an einer baumbestandenen Wiese vorbei. "Bei Trockenheit ist der ehemalige Hafen übrigens ein echtes Mückenparadies", sagt Peter Vetter beim schwärmerischen Blick des Besuchers über die Elbe gen Hamburg.
Der Bauernhof könnte irgendwo
auf der Stader Geest sein
Der Inselrundgang führt an einer Flutschutzmauer vorbei, die vor einigen Jahren bei einem Gefangenen-Projekt mit ausgesprochen kreativen Graffiti besprüht wurde, am Gebäude des offenen Vollzugs vorbei, zu einem der Tore mit Zaun. Dahinter liegt der Inselbauernhof. "Der wird noch bewirtschaftet", so der JVA-Leiter. Ein Bauer als Angestellter der Hamburger Justiz. Heu ist meterhoch in einer Scheune gestapelt, rechts und links vom Hof Weiden in sattem Grün. Dieser Bauernhof könnte auch irgendwo auf der Stader Geest stehen. An ein Gefängnis denkt niemand, der über den Innenhof mit seinen markant geschnittenen Bäumen bummelt. Dass Gefangene dort arbeiten, sei schon länger vorbei, so der JVA-Chef. Neben dem Hof steht der Schafstall des Deichverbands der II. Meile. Der hat Bestandsschutz und wird nicht abgerissen, wenn die Insel von der Justizverwaltung an die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft übergeht. Die wird, so Martin Schmidt, für die weitere Nutzung zuständig sein.
Der Besucher vergisst,
wo er tatsächlich ist
Zwangsweise arbeiten mussten die russischen Kriegsgefangenen, die während des Ersten Weltkriegs Hahnöfersand urbar und bewohnbar machen mussten. Über einen schmalen Weg aus Betonplatten - fast alle Straßen auf Hahnöfersand wurden früher von Gefangenen gebaut - geht es zu einem kleinen, gepflegten Soldatenfriedhof mitten in einem Miniwäldchen. Dort sind 77 russische Kriegsgefangene bestattet, die an Ruhr oder Skorbut gestorben sind. "Ein würdevoller und gleichzeitig malerischer Platz", sagt Peter Vetter. Er wird von Gefangenen gepflegt und hin und wieder schauen russische Konsulatsmitarbeiter oder sogar Angehörige vorbei. Ungebetene Gäste sind auf dem Friedhof Rehe, die ebenso wie die Insel-Katzen Freigang haben.
Außer den Worten von Martin Schmidt und Peter Vetter ist auf Hahnöfersand an diesem Freitagmorgen nichts zu hören. Nur ein paar Vögel singen. Der schmale, baumbestandene Weg könnte irgendwo mitten in der freien Natur liegen. Lautes Rufen wird erst wieder in der Nähe der Sporthalle vernehmbar. Dass sich der Besucher auf einer Gefängnisinsel befindet, rückt erst beim Anblick des geschlossenen Bereichs mit seinen Zäunen und beim Rückweg durch zwei massiv gesicherte Tore ins Bewusstsein. Wobei der Kilometer Fahrt bis zum Pförtnerhaus, mit der JVA im Rücken, schon wieder den Eindruck erweckt, sich irgendwo auf einem idyllischen Fleckchen Erde in Elbnähe, aber nicht auf einer Gefängnisinsel zu befinden.
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