"Thema Pflanzenschutzmittel ist für Obstbauern existenziell"
Karsten Klopp, Leiter des Obstbauzentrums ESTEBURG, im Interview
ce. Jork. Er schwört privat auf frisches Obst, womit er gleichzeitig auch sein tägliches Brot verdient: Karsten Klopp (57), der seit 16 Jahren das bundesweit bekannte Obstbauzentrum ESTEBURG in Jork leitet. Im "Interview der Woche" sprach Klopp mit WOCHENBLATT-Redakteur Christoph Ehlermann über die verschiedenen Aufgabenfelder im Zentrum, die Ausbildung und die Nachwuchs-Situation sowie über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsalltag.
WOCHENBLATT: Herr Klopp, wie wird man Leiter eines Obstbauzentrums? Welche Ausbildung haben Sie absolviert?
Karsten Klopp: Ich bin gelernter Baumschulgärtner, habe an den Universitäten München-Freising und Hannover Gartenbau studiert und einen Abschluss als Diplom-Agraringenieur gemacht. Promoviert habe ich 2002 als Dr. rer. hort. zum Thema "Betrieblicher Umweltschutz in Baumschulen“.
WOCHENBLATT: Die ESTEBURG beherbergt zum einen die Fachberater des Obstbauversuchsringes. Zum anderen stellt ein Experte des Öko-Obstbaus Norddeutschland Versuchs- und Beratungsrings die Beratung im ökologischen Obstbau sicher. Wo liegen jeweils die Schwerpunkte?
Klopp: Die Schwerpunkte der Obstbauberatung liegen bei allen Obstarten in der Sortenempfehlung, der wirtschaftlichen Kulturverfahren und dem integrierten bzw. ökologischen Pflanzenschutz. Das dazu erforderliche und laufend erneuerte Fachwissen wird an der ESTEBURG durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Obstbauversuchsanstalt Jork der Landwirtschaftskammer Niedersachsen erarbeitet.
WOCHENBLATT: Wo besteht besonderer Beratungsbedarf?
Klopp: Ein besonderer Beratungsbedarf besteht im Kernobst - also bei Äpfeln und Birnen - derzeit bei neuen knackigen und aromatischen Markensorten, die ein spezielles Know-how in der Kulturführung verlangen. Beim Steinobst, wo hier im Alten Land die Kirschen im Vordergrund stehen, geht es um den vor Regen geschützten Anbau moderner, großfrüchtiger Kirschensorten. Der Regen lässt die Kirschen zur Ernte platzen, sie sind dann nicht mehr vermarktungsfähig. Im ökologischen Obstbau liegt ein Schwerpunkt ebenfalls in der Entscheidung für die richtigen krankheitstoleranten Apfelsorten.
Über allen kulturtechnischen Themen steht der ertrags- und qualitätssichernde Pflanzenschutz - also der Schutz der Pflanzen und Früchte vor Krankheiten und Schädlingen, damit ein Obstbaubetrieb, der integriert oder ökologisch wirtschaftet, nachhaltig wertvolles Obst verkaufen kann, denn darin besteht seine wirtschaftliche Grundlage.
WOCHENBLATT: Beim Obstanbau ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln immer ein "heißes Eisen“. Wie stehen Sie dazu?
Klopp: Ich stehe dazu wissensbasiert, umweltorientiert und pragmatisch. In der Biologie, der Natur und folglich auch der Landwirtschaft bzw. dem Obstbau laufen ständig natürliche Prozesse ab, die durch wissenschaftlich abgesicherte Fakten und praktische Erfahrung recht gut bekannt sind. Hierzu gehört auch, das sogenannte höhere Pflanzen wie Obstgewächse sehr attraktiv sind für Pilze, Tiere und andere Schadorganismen, weil sie für diese eine Nahrungs- und Energiequelle darstellen. Wenn also attraktive Früchte am Baum wachsen, ist es zwangsläufig so, dass sich nicht nur der Obstbauer darüber freut, sondern auch der Schädling. Deshalb werden die Pflanzenschutzmittel örtlich und zeitlich selektiv gesprüht, um die Qualität der Früchte zu erhalten und den Schädling abzuwehren.
Im Prinzip ist es nichts anderes, als wenn der Mensch sich zur Vorbeugung von Krankheiten hygienisch verhält und wäscht und bei einer Erkrankung ein Heilmittel verabreicht bekommt, um sich gegen die Erkrankung zur Wehr zu setzen.
WOCHENBLATT: Können Sie den Vergleich präzisieren?
Klopp: Wie bei der menschlichen Medizin steht bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln im Hintergrund ein hochkomplexes, staatlich geführtes Kontroll- und Zulassungssystem, um Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen. Für die Obstbauern im Alten Land und in ganz Deutschland ist das Thema Pflanzenschutzmittel existenziell. Ich wünschte mir daher einen qualifizierten Umgang aller Beteiligten damit.
Denn nur durch einen umwelt- und sachgerechten Einsatz können der Baum oder Strauch und seine Früchte gesund erhalten werden. Die gesetzlichen Grundlagen und das in Deutschland bestehende Kontrollsystem sichern dem Verbraucher und dem Umweltschutz ein höchstes Maß an Produktionsstandards und Produktsicherheit, das nach meinem Kenntnisstand weltweit seinesgleichen sucht.
WOCHENBLATT: Welche aktuellen Forschungsprojekte gibt es im Kompetenzzentrum der ESTEBURG?
Klopp: Seit zwei Jahren arbeiten wir unter anderem an einer energie- und wassersparenden Technik für die Frostschutzberegnung im Frühjahr und einer klimatisierenden Beregnung an heißen Sommertagen. Um im Alten Land einen besonders die Gewässer schützenden Pflanzenschutz zu betreiben untersucht die ESTEBURG eine neu entwickelte Gerätetechnik, um noch präziser Bäume und Früchte zur Schädlingsabwehr zu besprühen.
In einem sechsjährigen Forschungsprojekt untersuchen wir zudem die biologische Vielfalt des integrierten und ökologischen Obstbausystems und entwickeln weitere Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität.
WOCHENBLATT: Sie bieten auch vielfältige Ausbildungen an. Wie ist es um den Nachwuchs der Obstbauern bestellt?
Klopp: Viele Obstbaubetriebe entlang der Niederelbe von Lüneburg bis Cuxhaven, so auch wir an der ESTEBURG, bilden Gärtner der Fachrichtung Obstbau aus. Bislang konnte damit der berufliche Nachwuchs für die Region und die weiteren Betriebe in Norddeutschland gesichert werden, aber die Zeiten ändern sich gerade. Ich würde mich freuen, wenn sich durch dieses Interview Schüler und andere junge Menschen für diesen attraktiven Beruf angesprochen fühlen. Interessierte können mich gerne anschreiben.
WOCHENBLATT: In welchen Bereichen hat sich die Corona-Pandemie besonders gravierend auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Klopp: Da wir an der ESTEBURG für die Ernährungswirtschaft arbeiten, wurden wir gemäß der Landesverordnungen als systemrelevant eingestuft und konnten unter den bekannten Hygiene- und Abstandsauflagen mit bestimmten Einschränkungen weiterarbeiten. Niemand musste in Kurzarbeit geschickt werden, wofür ich, meine Kollegen und Kolleginnen sehr dankbar sind. Das mobile Arbeiten für die Verwaltung wurde kurzfristig umgesetzt. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Versuchsbetrieb und den Forschungsabteilungen arbeiten in Teams und Tandems mit wechselnder Präsenz an unseren Standorten in Jork-Moorende sowie Vechta-Langförden, wo wir uns auf Beerenobst spezialisiert haben.
Als ein besonderes Highlight haben unsere Beratungs-Teamleiter bis zu zehnminütige Kurzfilme entwickelt. Da wir oft zu Beratungsveranstaltungen mit Teilnehmergruppen zwischen zehn und 100 Personen zusammengekommen sind, musste etwas Neues her, was auch den Obstbauern zu 100 Prozent gefallen hat.
Aktuell bieten wir darüber hinaus dem gesamten Team zweimal wöchentlich die Möglichkeit zum Testen an.
WOCHENBLATT: Welches Obst genießen Sie privat am liebsten?
Klopp: Ich persönlich bevorzuge Obst gegenüber vielen anderen Lebensmitteln und genieße es, wenn es seine optimale Reife hat. Da regional erzeugtes Obst leichter in seiner Genussreife vom Wochenmarkt bis zum Lebensmitteleinzelhandel angeboten werden kann, genieße ich in vergleichbarem Maße aromatische Äpfel, knackige Süßkirschen, die Heidelbeersorte "Duke" sowie vollreife Erdbeeren und Himbeeren. Und neuerdings auch Pfirsiche und Nektarinen, die wir seit fünf Jahren in die Sortenversuche mit aufgenommen haben.
WOCHENBLATT: Herr Klopp, vielen Dank für das Gespräch.
Redakteur:Christoph Ehlermann aus Salzhausen |
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