Behörde sieht keine Pflicht zum Schadensersatz
Lühe-Flut: Freiwillige Entschädigungen nicht vor Sommer 2023
Ein Minister, der im Wort steht, aber nicht mehr zuständig ist, eine Behörden-Chefin, die hinhält und vertröstet - und entnervte Betroffene, die nach Monaten des Wartens nicht wissen, wann und ob sie überhaupt eine Entschädigung erhalten: Die Lühe-Flut vom 28. Mai wird allmählich zu einem Paradebeispiel für Behördenversagen. Jetzt beschäftigte sich die Kreis-Politik mit der unendlichen Geschichte. Die Direktorin des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Anne Rickmeyer, war von Stades Landrat Kai Seefried (CDU) gebeten worden, auf der Kreistagssitzung am Donnerstag einen Sachstandsbericht abzugeben. Das NLWKN ist für den Betrieb der Sperrwerke zuständig.
Rickmeyer erklärte, dass grundsätzlich Bereitschaft bestehe, Schadensersatz zu leisten. Ihre Behörde setze sich für "eine unbürokratische Entschädigung" der von den Überschwemmungen betroffenen Anwohner ein. Der Landesbetrieb erarbeite derzeit im Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium eine sogenannte Billigkeitsrichtlinie. Man erinnert sich: Die NLWKN-Chefin hatte bereits vor Wochen erklärt, dass den von der Überflutung geschädigten Hausbesitzern eigentlich kein Schadensersatz zustehe. Ihr Begründung jetzt vor dem Kreistag: Mitarbeiter seien für die Panne nicht verantwortlich. Ursache sei vielmehr ein technischer Fehler im Meldesystem gewesen (siehe unten).
Staatsanwaltschaft hat Verfahren eingestellt
Eine Entschädigung könne daher nur auf freiwilliger Basis - im Behördendeutsch Billigkeitsleistung genannt - erfolgen, so Rickmeyer. Die Sache sei von den Juristen in ihrem Haus geprüft worden. Demnach bestehe bei einem technischen Versagen keine rechtliche Verpflichtung, den Schaden zu erstatten. "Dieses Thema werde ich hier auch nicht ausdiskutieren."
Rickmeyer hatte bei dem ganzen Hin und Her um die Frage, wer die Verantwortung für die offenen Fluttore am Lühe-Sperrwerk übernimmt, bisher kein gutes Bild abgegeben. Sie verwies auf der Kreistagssitzung - wie schon zuvor - erneut auf die noch laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. "Das Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen", erklärte Rickmeyer. Hätte sie bloß vorher mal bei der Strafverfolgungsbehörde angerufen: Denn laut Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Sperrwerkswärter als Beschuldigten in der vergangenen Woche eingestellt, da kein hinreichender Tatverdacht besteht.
Was für die Betroffenen besonders bitter ist: Das Geld für die Schadensersatzzahlungen - die Sach- und Gebäudeschäden dürften sich auf mehr als eine Million Euro belaufen - steht auf absehbare Zeit gar nicht zur Verfügung, wenn überhaupt gezahlt wird. Dabei hatte Rickmeyers damaliger Vorgesetzter, der Ex-Umweltminister und jetzige Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) den Betroffenen versprochen, sich darum zu kümmern, diese zeitnah und unbürokratisch zu entschädigen.
Doch ein entsprechender Posten war im aktuellen Nachtragshaushalt des Landes, der kürzlich verabschiedet wurde, gar nicht eingeplant. Der Nachtrag umfasste zwar 2,9 Milliarden Euro an Ukraine-Hilfe, aber an die eine Million Euro für die Betroffenen der Lühe-Flut wurde anscheinend nicht gedacht.
Erst muss ein Nachtragshaushalt erstellt werden
Die NLWKN-Direktorin stellte nun in Aussicht, dass die eine Million Euro in einem weiteren Nachtragshaushalt bereitgestellt wird, den der Landtag voraussichtlich vor den Sommerferien 2023 beschließen wird. Wenn dann die Billigkeitsrichtlinie erstellt sei und ein Gutachter die Gebäudeschäden geprüft habe, könne anschließend mit der Auszahlung der Schadensersatzleistungen begonnen werden. Allerdings ist noch kein Gutachter aktiv. Derzeit läuft dafür noch eine Ausschreibung des Landesbetriebes.
Auf WOCHENBLATT-Anfrage hat jetzt auch Rickmeyers Vorgesetzter, Umweltminister Christian Meyer (Grüne), mitgeteilt, "weiter zu der Ankündigung von Ex-Umweltminister Olaf Lies zu stehen, die Betroffenen bei der Bewältigung der Schäden nicht alleine zu lassen". Sein Ministerium setze sich dafür ein, dass die erforderlichen Mittel im Nachtragshaushalt eingeplant werden. "Wir bitten alle vom Mai-Hochwasser Betroffenen noch um etwas Geduld, denn wir benötigen jetzt eine rechtskonforme und haushaltsrechtlich abgesicherte Lösung im Interesse der Geschädigten", so Minister Meyer.
Rickmeyer versprach am Ende ihrer Ausführungen, mit allen Betroffenen bezüglich der Schadensregulierung demnächst Kontakt aufzunehmen.
• Bei der Kreispolitik löste Rickmeyers Auftritt unterschiedliche Reaktionen aus. Es überwogen die kritischen Stimmen. Mehr dazu lesen Sie in einer der nächsten WOCHENBLATT-Ausgaben und hier online.
Technischer Fehler als Ursache
Zur Frage, warum die Sperrwerkstore offen blieben, teilte Rickmeyer mit: "Es spricht vieles dafür, dass die Ursache in einem technischer Fehler begründet liegt." Wahrscheinlich sei aufgrund von Störsignalen bei der telefonischen Meldekette eine fehlerhafte Rückmeldung erfolgt. Bei diesem automatisierten Verfahren sollen die Hochwasser-Alarmierungen vom Empfänger, dem Sperrwerks-Wärter, quittiert worden sein, obwohl bei diesem angeblich nichts angekommen ist. Die Benachrichtigung erfolgt über das Telefon - teils via Handy, teils über das Festnetz.
Die Staatsanwalt kam bei ihren Ermittlungen an diesem Punkt offenbar nicht weiter: Es wäre wohl aufgrund der technischen Besonderheiten nicht nachzuweisen gewesen, ob der Sperrwerkswärter die Anrufe erhielt oder nicht. Grund dafür soll u.a. das Alter des eingesetzten Handys sein.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.