Niedersächsiches Ernährungsministerium warnt vor hoher Schadstoffbelastung
Offizielle Empfehlung: Keine Fische aus Elbe, Oste und Co. essen
(jd). Freitags ist Fischtag: Diese Regel gilt noch bei vielen Familien. Doch einmal in der Woche Fisch zu essen, kann womöglich krank machen, sofern Speisefische aus niedersächsischen Flüssen auf den Tisch kommen. Denn das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat vor einigen Tagen eine neue Verzehrempfehlung für Flussfische aus Niedersachsen herausgegeben. Und diese Empfehlung liest sich eher wie eine Warnung: Im Sinne des "vorbeugenden Verbraucherschutzes" sollte "Abstand von dem Verzehr von Fisch aus Flüssen in Niedersachsen genommen werden". Nun landen in Flüssen gefangene Fische wie Aal, Zander und Co. insbesondere auch bei Anglern auf dem Teller.
Doch die Meldung aus Hannover, dass nach einer aktuell laufenden Untersuchung ein Großteil der beprobten Fische mit Schadstoffen belastet ist, ging offenbar im Windschatten der Corona-Krise unter. "Wir haben dazu bisher weder einen offiziellen Hinweis der Behörden noch eine Info unseres Dachverbandes, des Anglerverbandes Niedersachsen, erhalten", sagt Gunnar Klindt, Vorsitzender des Sportangelvereins Harsefeld.
Auch Thorsten Stobbe vom Sportfischerverein Oste wollte sich erst einmal beim Anglerverband "schlau" machen, als das WOCHENBLATT nach Konsequenzen fragte. Beim Verband gebe es Fischereibiologen, die sich mit der Thematik auskennen und die vorliegenden Untersuchungsergebnisse einordnen können.
Der Anglerverband Niedersachsen hält die Vorgehensweise des Landes indes für falsch und überzogen.
Schließlich seien die Daten, die aus einem aktuellen Flussfischmonitoring stammen, noch nicht einmal komplett ausgewertet, teilt Florian Möllers, Biologe beim Anglerverband und dessen Pressesprecher, auf WOCHENBLATT-Anfrage mit. "Das ist grob unseriös und wissenschaftlich völlig unhaltbar." Ein Statement des Anglerverbandes werde es aber erst geben, wenn der endgültige Monitoring-Bericht vorliege.
Möllers verweist auf eine am Montag geschlossene Vereinbarung mit dem Ministerium, wonach der für Ende April angekündigte Abschlussbericht für das Monitoring vor der Veröffentlichung mit dem Anglerverband besprochen wird. Vor diesem Gespräch werde man sich nicht weiter äußern. Auch das Ministerium hält sich bedeckt: Die Antwort der von Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) geführten Behörde auf eine Anfrage des WOCHENBLATT ist wiederum so nichtssagend, dass sie keiner weiteren Erwähnung bedarf.
Otte-Kinasts Ministerium muss aufgrund der bisherigen Zwischenergebnisse aber Handlungsbedarf gesehen haben. Bei sämtlichen Fischproben wurden Schadstoffe aus der Gruppe der perfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) nachgewiesen. Dabei geht es vor allem um die Substanzen PFOS (Perfluoroctansulfonsäure) und PFOA (Perfluoroctansäure), die beide krebserregend sein sollen (siehe Kasten). Deren Gehalt in den untersuchten Fischen ist so hoch, dass bei einem regelmäßigen Konsum derart belasteter Fische von der EU empfohlene sogenannte "tolerierbare Werte" überschritten werden.
Diese Art Grenzwert, der pro Kilo Körpergewicht berechnet wird, ist vor ein paar Monaten von der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFAS) festgelegt worden. Die EFAS-Modellrechnung basiert auf einem Verzehr von 300 Gramm Fischfilet durch eine 60 Kilo schwere Person. Demnach würde bei einem täglichen Fischkonsum der tolerierbare Wert für PFOS um das 20-Fache überschritten werden, bezogen auf die Durchschnittswerte aller untersuchten Fische.
Auch bei einem wöchentlichen Verzehr wäre dieser PFOS-Orientierungswert noch bei 83 Prozent aller Proben überschritten, und selbst wenn nur einmal im Monat einer dieser Fische in der Pfanne landen würde, hätten 37 Prozent der Proben zu hohe Werte. Da Substanzen wie PFOS auch durch andere Nahrungsmittel aufgenommen werden, geht das Ministerium davon aus, dass der tolerierbare Wert "bereits bei dem Verzehr deutlich kleinerer Mengen Fisch vollständig ausgeschöpft ist".
Daher die Empfehlung oder der Rat oder die Warnung - wie auch immer man es bewerten mag: Keinen bzw. nur selten Fisch aus niedersächsischen Flüssen essen.
Schadstoffe reichern sich im Körper an
Die krebserregenden Substanzen PFOS und PFOA sind chemische Verbindungen, die früher häufig in der Industrie eingesetzt worden sind und aufgrund ihres Gefahrenpotenzials seit 2010 in der EU verboten sind. Da diese Schadstoffe sich nur sehr langsam abbauen, kommen sie noch immer häufig in Böden und Gewässern vor und reichern sich über die Nahrungsaufnahme in den Muskeln und Organen von Tieren und Menschen an.
Chemische Stoffe wie PFOS und PFOA wurden u.a. verwendet, um Kleidung, Teppiche und Möbel zu imprägnieren. Sie waren auch Bestandteil von Löschschaum, weil damit die Verteilung über brennende Oberflächen erleichtert wurde. Auch für die Beschichtung von Bratpfannen und für Skiwachs wurden diese Substanzen genutzt.
Belastete Fische: Das sagen die Angelvereine
Die Reaktion in den Angelvereinen in der Region ist unterschiedlich. Während viele Vereine von der Verzehrempfehlung überrascht waren (siehe Artikel oben), haben einige bereits entsprechende Hinweise an ihre Mitglieder weitergegeben. Dabei wird die Betroffenheit durchaus unterschiedlich gesehen. Das WOCHENBLATT hörte sich vor Ort um.
• Beim Stader Anglerverein empfiehlt der Vorstand, den Verzehr von Elbfischen stärker einzuschränken - allerdings mit dem Hinweis, dass kein behördliches Verzehrverbot bestehe. Proben seien zudem nur aus den stärker belasteten Flüssen wie Elbe, Ems oder Oste genommen worden, so der Vorsitzende Thomas Piper. Andere Untersuchungen hätten ergeben, dass in kleineren Gewässern der Schadstoffgehalt bei den Fischen eher gering bis gar nicht nachweisbar sei. "Dies dürfte auch für den Großteil der gepachteten Fließ- und Stillgewässer des Vereins gelten, zu denen die Elbe nicht gehört", meint Piper.
• Die Oste, in der auch eine Schadstoffbelastung von Fischen nachgewiesen wurde, gehört zu den Vereinsgewässern des Sportfischervereins Oste. Deren Vorsitzender Thorsten Stobbe will abwarten, welche Empfehlungen der Anglerverband Niedersachsen seinen Mitgliedsvereinen ausspricht. Von den rund 300 Mitgliedern seines Vereins gehe nur ein Zehntel öfter zum Angeln. "Die meisten werfen alle paar Monate mal die Rute aus und dürften daher so gut wie gar nicht betroffen sein." An der Oste selbst würde gar nicht so häufig geangelt: "Der Fluss ist ja tideabhängig und da muss es mit dem Wetter und dem Hochwasser so hinkommen, dass es zeitlich passt - und das kommt eher selten vor."
• Auch der Sportangelverein Harsefeld verfügt über Pachtgewässer an der Oste. "Allerdings nur einen kleinen Abschnitt weiter oben bei Bremervörde", sagt der Vorsitzende Gunnar Klindt. Offenbar belastete Fische wie Zander und Aal würden nur einen geringen Anteil in der vereinsinternen Fangstatistik ausmachen. Das gelte beim Zander auch für die Lühe. In dem vor der Haustür liegenden Pachtgewässer, der Aue, fange man vor allem Forellen. Ein Großteil der Vereinsgewässer bestehe aber aus Teichen, so Klindt. Er gehe davon aus, dass es dort keine nennenswerten Schadstoffeinträge gibt.
• Ähnliches gilt für die Angelabteilung des Todtglüsinger Sportvereins. "Wir befischen keine Fließgewässer", erklärt Spartenwart Klaus Haske. Geangelt werde vor allem in einem Baggersee. "Da dieser Baggersee quellversorgt wird, handelt es sich hier um ein geschlossenes System." In dem See seien 2019 laut Fangstatistik vier Aale und fünf Zander gefangen worden, was lediglich fünf Prozent der insgesamt geangelten Fische ausmache. "Generell halte ich die Verzehrempfehlungen - gerade bei Aal - für richtig", meint Haske, "nur sollte jeder Angler das doch bitte für sich selbst entscheiden dürfen."
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