Überflutungsszenario geisterte durch die Presse
Säuft unser Norden ab?
(jd). "Klimawandel bedroht größere Küstenbereiche", "Massive Überschwemmungen im Norden", "Hamburg droht Überflutung", "Norddeutsche Städte können absaufen" - so lauteten in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen in verschiedenen Zeitungen. Die Horrormeldungen bezogen sich auf eine Studie aus den USA. Die unabhängige Forschungsstelle "Climate Central" hat ein neues Rechenmodell zu den Folgen des Klimawandels vorgelegt. Demnach soll die Bedrohung der Küsten durch den ansteigenden Meeresspiegel erheblich höher sein als bisher angenommen. Doch was bedeuten diese Schreckensnachrichten für die Menschen an der Unterelbe? Stehen wir in den kommenden Jahrzehnten buchstäblich bis zum Hals im Wasser? Das WOCHENBLATT fragte bei einer Expertin nach. Sie entlarvt die Katastrophen-Geschichten als Panikmache.
Landkarte des Schreckens
Dramatischer kann es kaum sein: Halb Norddeutschland versinkt in den Fluten, die Küstenlinie dringt weit ins Elbe-Weser-Dreieck vor. Diese von "Climate Central" unter coastal.climatecentral.org veröffentlichte Landkarte des Schreckens geisterte kürzlich im Zusammenhang mit den Storys über die drohenden Fluten durch die Presse. Doch bei der Karte handelt sich nicht - wie es die meisten Schlagzeilen fälschlicherweise suggerierten - um eine neue Prognose zum Anstieg des Meeresspiegels.
Vielmehr geht es nur darum, zu zeigen, welche Regionen unter einem bestimmten Hochwasserniveau liegen. Solche interaktiven Karten hat auch schon die US-amerikanische Raumfahrtbehörde NASA ins Internet gestellt (sealevel.nasa.gov). Der Vorteil der neuen Karte besteht lediglich darin, dass sie die Landhöhen präziser angibt als das bisher zugrunde liegende Kartenmaterial, das auf den Berechnungen der NASA basiert.
Zweimal täglich überflutet
Mit Hilfe dieser Karte nun eine Bedrohungskulisse für den norddeutschen Raum aufzubauen, ist völlig überzogen. "Die Karte stellt eigentlich nichts Neues dar", erklärt Dr. Insa Meinke, Leiterin des Norddeutschen Klimabüros. "Es werden doch nur die Gebiete gezeigt, die ohne Deiche schutzlos wären. Die meisten davon würden schon heute zweimal täglich bei einem Hochwasser überflutet werden."
"Dreh- und Angelpunkt ist der Küstenschutz", so Meinke. Wer mit der Region vertraut sei, wisse doch, dass die Elbdeiche große Teile Hamburgs und weite Gebiete an der Unterelbe schützen. Mit dieser Erkenntnis würden die Menschen an der deutschen Küste seit Jahrhunderten leben. Laut Meinke hat der Klimawandel im Bereich der Nordsee bisher zu keinem beschleunigenden Effekt beim Anstieg des Meeresspiegels geführt. Die Pegel seien langsam und linear angestiegen.
Klimabüro hat eigene Karte
Das Klimabüro, das beim renommierten Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht angesiedelt ist, befasst sich mit den Auswirkungen des Klimawandels speziell auf den norddeutschen Raum. Meinke verweist auf die Homepage der Forschungseinrichtung: Dort findet sich ebenfalls eine Karte - und darauf sind die gleichen Gebiete als gefährdet dargestellt, die auch auf der vermeintlich brandaktuellen Karte der amerikanischen Forscher eingetragen sind.
Auf der Karte des Klimabüros werden per Mausklick einmal die Regionen angezeigt, die ohne Deiche schon jetzt regelmäßig überflutet wären. Zusätzlich kann man ein Häkchen setzen, um zu sehen, welche Gebiete zusätzlich betroffen wären, wenn der für 2100 prognostizierte Meeresspiegelanstieg um 1,10 Meter eintreten sollte.
Wasser bis zur Geestkante
Beim Vergleich der beiden Kartenansichten tut sich eine überraschende Erkenntnis auf: An der Unterelbe würde sich kaum etwas verändern. Ohne Küstenschutz würden die Wellen bereits heute an die Geestkante branden. In Kehdingen, im Alten Land sowie in Stade und Buxtehude hieße es dauerhaft "Land unter", das Wasser würde zudem weit in die Flussniederungen von Oste, Schwinge und Aue hineinströmen.
Diese Überflutungsbereiche ändern sich bei der Prognose für 2100 nur geringfügig. Über den Geestrand würden die Wogen erst ab einem Anstieg des Meeresspiegels um fast 20 Meter schwappen. Und das ist selbst nach pessimistischen Prognosen auch in 100 Jahren nicht zu erwarten.
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