Die Liebe führte den Schotten James Mercer nach Deutschland
Schotte erhält deutschen Pass: Zur Einbürgerung im Kilt
jd. Sauensiek. Im Landkreis Stade wurden in diesem Jahr bereits 94 Menschen aus 32 Ländern eingebürgert. Wegen Corona gab es keine feierliche Zeremonie. Die neuen deutschen Staatsbürger holten ihre Einbürgerungsurkunde einzeln im Kreishaus ab. Einer erschien zu diesem besonderen Anlass in ganz besonderer Kleidung: James Mercer trug die Tracht seines Heimatlandes: den Schottenrock. Die Biografie des 68-Jährigen könnte Stoff für einen Roman sein. Sein Lebensweg führte ihn von Deutschland nach Schottland und von dort wieder zurück in die Bundesrepublik - mit einem Umweg über die damalige DDR.
Wie bei vielen Briten, die in Deutschland leben, gab der Brexit den Ausschlag, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Auf den Austritt aus der EU ist Mercer nicht gut zu sprechen: "Das ist der größte Schwachsinn, den die Briten jemals angestellt haben."
Im Land der Bens und Glens verbrachte Mercer, der als Kleinkind in Buxtehude lebte, seine weitere Kindheit und Jugend, bevor ihn als junger Erwachsener die Liebe nach Deutschland führte. Aufgewachsen ist er in dem kleinen Ort Musselburgh vor den Toren der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Mercer wird ein wenig nachdenklich, als er von diesen Jahren berichtet.
Denn das Leben in Schottland war für den kleinen Jungen aus Deutschland zunächst alles andere als einfach. Sein Vater war britischer Offizier und hatte die aus Estebrügge stammende Mutter während seiner Stationierung in der Buxtehuder Kaserne kennengelernt. Als er in die Schule kam, begann für den kleinen James ein Spießrutenlauf: "Ich musste im ersten Schuljahr dauernd in der Ecke stehen, weil ich kaum ein Wort Englisch verstand." Zudem gab es damals noch viele Ressentiments gegenüber den "Feinden" aus Deutschland. Mitschüler nannten James "Klein-Adolf" oder reckten den Arm zum Hitlergruß, wenn er an ihnen vorbeiging.
Auch mit dem Vater gab es Streit: Mercer wollte in die Fußstapfen seines britischen Onkels treten, einem Flieger, der während des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte und nach dem er benannt wurde. "Mein Onkel James starb während eines Einsatzes als Bomberpilot bei einem Absturz." Mercer trat dem "Air Training Corps" bei, einem paramilitärischen Jugendverband, um sich auf eine Karriere bei der "Royal Air Force" vorzubereiten. Doch sein Vater machte ihm einen Strich durch die Rechnung. "Ich durfte nicht zur Luftwaffe, sondern sollte Ingenieur werden."
Das College brach der junge Schotte nach einem Jahr ab. "Ich hatte dann Anfang der siebziger Jahre meine Hippie-Phase", erzählt Mercer. Schließlich absolvierte er doch noch eine Ausbildung in einem bürgerlichen Beruf: Er wurde technischer Zeichner, landete bei einer Firma, die Leiterplatten für militärische Radarsysteme erstellte.
Angesichts dieses Jobs gestaltete sich Mercers Privatleben zu dieser Zeit recht heikel: Er knüpfte amouröse Bande in die DDR. Die Liebesbeziehung zu der jungen Frau aus dem Osten Deutschlands kam über eine Brieffreundschaft mit deren Bruder zustande.
Mercer setzte sich 1979 in einen Flieger der DDR-Linie Interflug - mit der festen Absicht, die Angebetete zu heiraten. Sein Arbeitgeber in Schottland beurlaubte ihn, damit er seine privaten Angelegenheiten regeln konnte. Er zog nach Buxtehude, wo noch Onkel und Tante lebten. Für die DDR erhielt er ein Dauervisum, konnte damit nach Belieben ein- und ausreisen - ohne Zwangsumtausch und Anmeldung bei der Volkspolizei. Als Brite habe er nach dem Besatzungsstatut Sonderrechte gehabt, so Mercer.
Dass sich auch die Geheimdienste für ihn interessierten, verwundert da wenig. Damals herrschte noch der "Kalte Krieg". Vom britischen Geheimdienst war Mercer geschult worden, wie man mit der Stasi umgeht, und auch der BND klopfte bei ihm an. "Ich könnte über diese aufregende Zeit ein ganzes Buch schreiben", meint Mercer.
Am Ende wurde in der DDR geheiratet. Das junge Paar reiste in den Westen aus. Von dort sollte es nach Schottland gehen, wo Mercer wieder seine Arbeitsstelle antreten wollte. Doch daraus wurde nichts: "Meine Frau erklärte plötzlich, in der Bundesrepublik bleiben zu wollen." Die Ehe hielt nicht lange, wurde 1988 nach vielem Hin und Her geschieden.
Da war Mercer schon längst mit seiner jetzigen Frau Cornelia zusammen. Beim Schützenfest in Altkloster hatte es zwischen den beiden gefunkt.
Anfang der 1990er zogen die Mercers nach Sauensiek, wo sie sich später ein Haus kauften. Seinem gelernten Beruf blieb er treu: Mercer war zuletzt bei E.ON als technischer Zeichner angestellt. Seitdem er in Rente ist, widmet sich der Deutsch-Schotte der Familienforschung: Dabei geht es ihm weniger um seine schottischen Wurzeln als vielmehr um einen Vorfahren, der wie er zunächst als Fremder nach Schottland kam. Es handelt sich um einen böhmischen Glasgraveur, der 1866 nach Schottland ausgewandert ist. 1.500 Seiten hat Mercer bereits für sein Buch über den böhmischen Familienzweig verfasst. Jetzt sucht er jemanden, der sich im Programm Indesign auskennt, um das Seitenlayout zu gestalten. Wer helfen möchte, kann sich per Mail an ihn wenden: james.mercer@gmx.de.
Auch mit deutschem Pass fühlt sich Mercer weiterhin mit den Sitten seiner alten Heimat verbunden. Dazu gehört neben dem Tragen des Kilts auch ab und an ein Glas guter Whisky. Da bleibt der deutsche Neubürger eben durch und durch Schotte.
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