Nachgefragt
Sind Gleichberechtigung und Traditionspflege im Schützenverein ein Widerspruch?
Ist das jetzt innovativ oder unerhört spät? Der Bürgerschützenverein von Neuss in Nordrhein-Westfalen hat kürzlich eine Satzungsänderung beschlossen, nach der ab kommendem Jahr auch Frauen als Mitglieder zugelassen werden. Bei einer Mitgliederversammlung votierten 82,6 Prozent der bis dato rein männlichen Mitglieder nach mehreren Jahren der Diskussion für diesen Schritt. Es gibt jedoch Einschränkungen. So dürfen Frauen nach wie vor nicht an Paraden und Umzügen teilnehmen und auch nicht auf eine Königswürde schießen. Der Vereinsvorstand begründet das mit der rund 200-jährigen Tradition. Es gelte, das kulturelle Erbe und Profil der Schützenfeste zu erhalten. Der Neusser Bürgerschützenverein ist einer der größten in der Region und veranstaltet im Bundesland das größte Stadtschützenfest.
Auch im Landkreis Stade hat das Schützenwesen eine lange Tradition, die mit viel ehrenamtlichem Engagement gepflegt wird. Das WOCHENBLATT hat beim Bezirksschützenverband und einigen Vereinen nachgefragt: Ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Schützenwesen ein Bruch mit der Tradition? Und wie sieht es in Ihrem Verein mit der Gleichberechtigung aus?
Uwe Gährs, Präsident des Schützenvereins Altkloster, betont, dass Gleichberechtigung und Tradition kein Widerspruch sein müssen. „Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Schützenwesen ist kein Bruch mit der Tradition, sondern eine zeitgerechte Entwicklung“, sagt Gährs. In seinem Verein wurden viele „Männerprivilegien“ abgebaut, doch einige Unterschiede bestehen weiterhin. Ein Beispiel: In Altkloster werden viele Würden gleichberechtigt vergeben, z.B. König und Damenkönigin oder Bester Mann und Beste Dame. "Das hier für Frauen und Männer zwei gleichberechtigte Würden ausgeschossen werden, liegt an den Disziplinen: Männer schießen 100 Meter Freihand und Frauen 50 Meter Auflage", erklärt Gährs. Die Frauen und Männer seien mit diesem Unterschied einverstanden. Gährs zeigt sich zudem zuversichtlich, dass sich in baldiger Zukunft auch mehr Frauen für Führungspositionen bewerben werden.
Melanie Mohnen, Vorsitzende des Schützenvereins Issendorf, sieht in der Geschichte der Schützenvereine einen Grund für die bisherigen männlichen Domänen. „Ob es zeitgemäß ist, dass ein altehrwürdiger Schützenverein lediglich aus Männern besteht oder Männer Privilegien genießen, muss jeder Verein für sich selber klären“, erklärt sie. In ihrem jungen Verein sind alle Würden geschlechtsneutral. "Bei uns gibt es nur gleichberechtigte Würden. Ob es die Kinder sind, die mit dem Holzvogel zielen, die Jugend, die mit dem Lichtpunktgewehr den Wettkampf austrägt, oder Jung- und Altschützen, die ihre Würden erringen wollen: Es gibt jeweils nur eine Majestät, unabhängig welchem Geschlecht diese Person angehört", erklärt sie. Mohnen betont, dass der Verein sich jederzeit anpassen würde, sollten die Mitglieder dies wünschen.
Silke Peters, Präsidentin des Schützenvereins Hammah, sieht Gleichberechtigung als natürlichen Fortschritt. „Tradition bewahren und durch Neues zu bereichern, steht nicht im Widerspruch, sondern belebt das Schützenwesen“, meint Peters. Ihr Verein praktiziert schon lange Gleichberechtigung. "Unsere Würden sind gleichberechtigt. So wird in diesem Jahr unser Verein von einer Königin angeführt", sagt sie. Die Position der Damenleiterin – in Hammah wurde vor 60 Jahren eine Damenabteilung gegründet – wurde vor einem Jahr nicht wieder besetzt, "weil wir der Meinung sind, dass dafür in unserem Verein kein Bedarf mehr da ist", sagt sie. Peters selbst ist seit fünf Jahren Präsidentin und wurde aufgrund ihrer Fähigkeiten und nicht ihres Geschlechts gewählt.
Jan Steffens, Präsident des Bezirksschützenverbands Stade, unterstreicht die Bedeutung weiblicher Mitglieder im Schützenwesen. Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Von knapp 18.000 Mitgliedern insgesamt (Stand Anfang 2024) sind im Durchschnitt gut 38 Prozent weiblich. Die Schützenvereine Burweg (48 Proze), Gräpel (47 Prozent) und Estorf (46 Prozent) sind Spitzenreiter im hiesigen Bezirksschützenverband beim Anteil weiblicher Mitglieder. Insgesamt 15 Vereine bzw. Gilden liegen oberhalb von 40 Prozent.
"Viele Vereine im Bezirk haben weibliche Vorsitzende, und Frauen sind in allen Bereichen der Vereinsarbeit aktiv", sagt Steffens. Er sieht die Notwendigkeit, Traditionen zu bewahren, aber auch flexibel zu sein, um die Attraktivität der Vereine für alle Mitglieder zu erhalten. "Hier findet jeder Verein seinen eigenen Weg und das finde ich persönlich sehr charmant – sind es doch auch die Unterschiede, die das Vereinsleben und den gegenseitigen Austausch interessant machen."
Landkreis Harburg
Ein ganz aktuelles Beispiel für gelebte Gleichberechtigung im Schützenwesen ist der Schützenverein Elstorf. Seit dem vergangenen Wochenende regiert hier mit Sabine Rüffer erstmalig eine Frau. Die Entscheidung, das möglich zu machen, fällte der Verein im Februar 2023 einstimmig. Das war nur ein Baustein eines Gesamtkonzeptes, das zur Gleichberechtigung innerhalb des Vereins führen soll, erklärt Präsident Mirco Meyer. Dieser Prozess begann schon vor der Corona-Pandemie. So öffnete der Schützenverein Elstorf alle Orden auch für Frauen und führte jeweils das andersgeschlechtliche Pendant zu den verschiedenen Titeln ein - neben einer Besten Dame gibt es nun auch einen Besten Mann und neben einem Vogelkönig auch eine Vogelkönigin. "Es ist wichtig, den Spagat zwischen Tradition und Moderne zu schaffen", erklärt Mirco Meyer. Mit der Öffnung der höchsten Würde für die Frauen und einer diesjährig weiblichen Majestät setzt der Verein damit auch ein Zeichen nach außen. "Ein Verein, der Frauen in die zweite Reihe stellt, ist nicht zeitgemäß und wird es auch in Zukunft schwer haben", sagt Mirco Meyer.
"Wir stehen voll und ganz hinter der Gleichberechtigung von Frauen im Schützenwesen", sagt Volker Höper, Präsident des Schützenverbandes Nordheide und Elbmarsch. Die heutige Zeit ließe keinen Stillstand zu, erklärt er weiter. "Es wäre schlimm, wenn wir dem Thema nicht offen gegenüber stehen würden." Schließlich gebe es in der Region viele Schützinnen - auch in Führungspositionen.
Anette Randt vom Schützenverein Heidenau ist die erste Präsidentin eines Schützenvereins im Landkreis Harburg. Sie werde als Präsidentin sehr gut angenommen und überall freundlich empfangen, erklärt Anette Randt. Durch ihre politische Tätigkeit, unter anderem als stellvertretende Landrätin im Landkreis Harburg, sei sie den meisten auch keine Unbekannte - das helfe natürlich.
Der Schützenverein Heidenau sei in Sachen Gleichberechtigung Vorreiter im Landkreis Harburg, erklärt die Präsidentin, die über 450 Schützinnen und Schützen anführt. Trotz der positiven Mitgliedsstärke müsse man im Verein auch nach vorne blicken. "Die Zukunft der Schützenvereine liegt in der Jugend - männlich und weiblich", erklärt Anette Randt. Vereine, nicht nur die Schützenvereine, müssten das Interesse der jungen Menschen wecken, um zukunftsfähig zu bleiben. "Wir müssen ihnen zeigen, wie wichtig es ist, unser Brauchtum zu pflegen."
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