WOCHENBLATT-Serie Lost Places
Teil 9: Ein geheimnisvoller Tunnel abseits aller Wege
Segelflieger, die in weit gezogenen Bahnen am Himmel kreisen, und Propeller-Maschinen, die mit lautem Dröhnen abheben: Wie das WOCHENBLATT in seiner Mittwochs-Ausgabe berichtete, hat beim Flugplatz Stade-Ottenbeck die Saison begonnen. In dem Artikel ging es auch um die politische Diskussion, die kürzlich um die kleine Start- und Landebahn geführt wurde: Die Grünen halten einen Ausbau der Flugpiste zu einem Verkehrslandeplatz für unrealistisch. Eine entsprechende Option im Regionalen Raumordnungsprogramm sollte daher gestrichen werden. Ausbaupläne gab es für den Ottenbecker Flugplatz schon mal - allerdings unter militärischen Aspekten: Zum Ende des Zweiten Weltkrieges sollte der damalige Luftwaffen-Fliegerhorst fit für die ersten Düsenjäger gemacht werden. Damit im Zusammenhang steht ein "Lost Place": ein kleiner, seit Jahrzehnten nicht mehr genutzter Fußgänger-Tunnel im Bahndamm der Moorexpress-Strecke.
Der Tunnel
"Der Tunnel wurde wahrscheinlich in den letzten Kriegsmonaten angelegt", mutmaßt Dietrich Alsdorf. Der Hobby-Historiker hat eine Chronik über den Fliegerhorst verfasst. Nach seinen Recherchen gab es Pläne, die rund 1,2 Kilometer lange Start- und Landebahn in den letzten Kriegsmonaten zu verlängern, damit dort eine von Hitlers letzten "Wunderwaffen", der von Messerschmidt gebaute Düsenjet "Me 262", abheben kann. Die Jagdflieger sollten von Stade aus Einsätze gegen die alliierten Bomberformationen fliegen.
Für den Untergrund der neuen Betonpiste wurde Sand aus der nahe gelegenen Barger Heide herangeschafft - mittels Kipploren auf einer eigens angelegten Feldbahn-Strecke. Doch dafür musste in Höhe des heutigen Neubaugebietes Stade-Riensförde die Bahnlinie Stade-Bremervörde gekreuzt werden. Es wurde ein Tunnel gebaut, von dem allerdings nichts mehr zu sehen ist. Laut Alsdorf steht aber der etwa 100 Meter nördlich davon gelegene Fußgänger-Tunnel damit in Verbindung: Ihn nutzten wohl die Arbeiter, die zur Erweiterung der Landebahn eingesetzt wurden.
Heute erinnert dort nichts mehr an die einstige Betriebsamkeit: Wer zum Tunnel gelangen will, muss sich durch Gestrüpp zwängen und über matschige Wiesen stapfen. Dann braucht man nur noch dem Bächlein Heidbeck folgen, das gemächlich durch das Gelände plätschert. Das Bauwerk schlägt quasi zwei Fliegen mit einer Klappe: Es unterquert die Bahnstrecke und überquert gleichzeitig die Heidbeck. Irgendwann haben sich Graffiti-Sprayer an den Tunnelwänden verewigt. Fraglich ist nur, wer die bunten Kunstwerke bewundern soll: Der kleine Tunnel liegt abseits aller Spazierwege.
Die Landebahn
An der neuen Landebahn wurde übrigens bis in die letzten Kriegstage gearbeitet. Kurz vor Kriegsende stoppte ein Luftangriff die Baumaßnahmen: Tiefflieger erspähten den aufsteigenden Rauch des Dampfbaggers, der in der Barger Heide den Sand abbaute. Sie hielten den Bagger für eine Lokomotive und zerstörten ihn. In dem Heidegebiet erinnert noch eine langgezogene, schluchtartige Rinne an den Sandabbau und die damit verbundenen ehrgeizigen Ausbau-Pläne für den Stader Flugplatz.
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