Rat stimmte vor zehn Jahren für Dow-Projekt
"Betten-Demo" gegen geplantes Stader Kohlekraftwerk
Es bleibt weiter fraglich, ob Deutschland das gesteckte Ziel erreichen wird, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein. Denn auch der Kohleausstieg, der laut Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung "idealerweise" von 2038 auf 2030 vorgezogen werden soll, dürfte sich verzögern - nicht zuletzt wegen des Protests der ostdeutschen Bundesländer. Ob das letzte Kohlekraftwerk gleich zu Anfang der 2030er Jahre abgeschaltet wird oder erst in der Mitte des Jahrzehnts: Fest steht jedenfalls, dass Kohle als Energieträger vor dem Hintergrund des Klimawandels ein Auslaufmodell ist. Das sah vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aus. In Stade sollte sogar ein neues Kohlekraftwerk gebaut werden - auf dem Gelände der Dow im Industriegebiet Bützfleth. Damals herrschte noch eine andere Stimmung in der Politik: Vor genau zehn Jahren wurden die Kraftwerkspläne des Chemiekonzerns mit der breiten Mehrheit von CDU und SPD im Stader Rat abgesegnet. Ein Rückblick.
Protestler legten sich ins Krankenbett
"Mehrheit stimmt für Kohlekraft - Ausschuss bringt umstrittene Dow-Pläne auf den Weg": So titelte das WOCHENBLATT in seiner Ausgabe vom 23. Juli 2014. Kurz zuvor hatte der zuständige Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt gegen die Stimmen der Grünen beschlossen, die erforderliche Bauleitplanung für das Kraftwerk auf den Weg zu bringen. Während drinnen im Rathaus abgestimmt wurde, postierten sich draußen Gegner der Kraftwerkspläne. Sie machten auf originelle Weise auf ihren Protest aufmerksam: In vier Krankenbetten lagen vermeintliche Patienten, die an dem Ausstoß von Feinstäuben erkrankt sein sollen. An den Betten waren Plakate mit Warnungen wie "Lungenkrebs durch Kohlekraftwerk" angebracht. "Die Aufschrift auf einem Transparent in Schwarz und Leuchtgelb war alarmierend: '75 Tote jedes Jahr?'", heißt es im Artikel.
Breite Ratsmehrheit stimmte für Kraftwerk
Die "Betten-Demo", die von der Bützflether "Bürgerinitiative gegen Kohlerkraft" gemeinsam mit den Umweltverbänden Greenpeace und BUND organisiert wurde, hielt die Stader Ratspolitiker eine Woche später nicht davon ab, dem Dow-Vorhaben den endgültigen Segen zu erteilen. Der Rat "votierte mit 32 Ja-Stimmen der großen Fraktionen SPD und CDU zu acht Nein-Stimmen (Grüne, WG, Linke) für den Bebauungsplan
des umstrittenen Kohlekraftwerkes des Chemiekonzerns Dow", berichtete das WOCHENBLATT am 30. Juli 2014 - versehen mit dem Hinweis: "Es ist das letzte in Deutschland geplante Kohlekraftwerk." Erneut rückten die Kraftwerksgegner an. Für ihren Protest "gegen die aus ihrer Sicht veraltete und gesundheitsgefährdende Technik" ließen sie sich wieder etwas einfallen: Sie rollten mit Steinkohle beladenen Loren durch die Stader Altstadt.
Entscheidung für die kommenden Jahrzehnte
Drinnen im Ratssaal wurden die Bedenken der Umweltschützer weggewischt, wie im WOCHENBLATT nachzulesen ist: "Sozialdemokraten, Christdemokraten und Verwaltungsspitze stellten sich hinter das Kraftwerk, das laut Bürgermeisterin Silvia Nieber (SPD) 'eine der wichtigsten Entscheidungen für
die kommenden Jahrzehnte der Stadtentwicklung' sei und den Industriestandort Stade mit den 1.500 Arbeitsplätzen sichere. Zehn Jahre später wissen wir, dass es inzwischen wesentlich wichtigere Entscheidungen in Hinblick auf den Industriestandort Stade gegeben hat. Zudem sind wir um die Erkenntnis reicher, dass nicht die Entscheidung für ein einzelnes Kraftwerk reicht, um diesen Standort zu sichern. Die Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges hat gezeigt, wie schnell eine florierende Industrie aufgrund äußerer Faktoren in schwieriges Fahrwasser geraten kann.
Pläne wurden ad acta gelegt
Und was ist aus den Kohlekraft-Plänen der Dow geworden? Die Proteste liefen weiter, die Chemiekonzern hielt sich in den Folgejahren bedeckt, was die Realisierung des Vorhabens angeht. Die Kraftwerks-Gegner wiesen auf Demos wiederholt darauf hin, dass sich Investoren im Zuge der Klimawende deutschlandweit von fossilen Energieträgern abwenden, während Stade weiterhin auf das Verbrennen von Kohle setzt. Der Streit wurde auch auf juristischer Ebene ausgetragen und ging bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das letztlich die Klage gegen den B-Plan für das Kraftwerk abwies. Dow vermied in der Folge den Begriff Kohlekraftwerk, da inzwischen geplant war, einen Mix von Brennstoffen - darunter auch Gas - im Kraftwerk einzusetzen. Letztlich führte die Entscheidung der Kohlekommission, aus der Verstromung von Kohle auszusteigen (Kohleausstiegsgesetz) wohl dazu, dass die Dow ihr Kraftwerks-Projekt fallen ließ.
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