Michael Roesberg sorgt sich wegen Corona-Mutationen
"Corona-Jahrestag" im Landkreis Stade: Interview mit dem Landrat
jd. Stade. Anlässlich des "Corona-Jahrestages" im Landkreis Stade lässt das WOCHENBLATT Landrat Michael Roesberg zu Wort kommen. In dem Interview zieht der Chef der Kreisverwaltung Bilanz, übt Kritik am Ankündigungs-Aktionismus der "großen Politik" und gibt eine Einschätzung zur weiteren Entwicklung bei der Pandemie ab. Roesberg rechnet damit, dass es wegen der Mutationen noch eine dritte Corona-Welle geben wird. Nach seinen Angaben wird im Kreishaus gerade darüber nachgedacht, ob Ausflugsziele an der Elbe erneut zu Ostern für touristische Zwecke gesperrt werden.
WOCHENBLATT: Herr Landrat, wissen Sie noch, wann Sie das erste Mal von Corona gehört haben?
Roesberg: Das war in der Tagesschau, Anfang 2020, als Bilder über die ersten Fälle im chinesischen Wuhan um die Welt gingen.
WOCHENBLATT: Wann wurde Ihnen bewusst, dass mit diesem Virus etwas auf uns zukommt, was unser aller Leben umkrempeln wird?
Roesberg: Als im Februar 2020 im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg ein ganzes Dorf betroffen war. Da war mir sofort bewusst: Es ist nur eine Frage der Zeit, dass auch wir im Landkreis Stade den ersten Corona-Fall diagnostizieren würden. Die Kreisverwaltung ist als staatliche Gesundheits- und Katastrophenschutzbehörde für das Wohlergehen von über 200.000 Menschen verantwortlich. Das ist eine enorme Verantwortung. Da lastet einiges auf unseren Schultern.
WOCHENBLATT: Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus dem bisherigen Umgang mit der Pandemie ziehen?
Roesberg: Wir haben gelernt, dass es auf allen Ebenen die Bereitschaft braucht, täglich seine Entscheidungen zu hinterfragen und anzupassen. Jeden Tag gibt es neue Situationen und Vorgaben des Landes, ob nun bei der Nachverfolgung von Infektionsketten oder in jüngster Zeit bei den Impfungen. Alle müssen dazu bereit sein, sich immer wieder auf neue Entscheidungen einzulassen. Die Bürgerinnen und Bürger geht das ja unmittelbar in ihrem Alltag an.
Und doch haben auch wir zu Beginn nicht gewusst, wie sich die Pandemie über Monate hinweg entwickeln würde und welche Herausforderungen wir alle zu bewältigen haben. Gestärkt hat uns die gute und verlässliche Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen im Landkreis – seien es die Städte, Gemeinden, Elbe Kliniken, Pflegeheime, Ärzte, Polizei, Wirtschaftsverbände, Schulen, Kindergärten und andere.
WOCHENBLATT:Was sollte aus Ihrer Sicht besser laufen?
Roesberg: Ich hätte mir gewünscht, dass das Land seine Aufgaben zwischen den Ministerien straffer organisiert. Das ist bis heute ein großes Manko. Außerdem wünsche ich mir, dass sich die große Politik nicht täglich so ins Rampenlicht stellt. Da werden in Pressekonferenzen Vorgaben für die Menschen verkündet, von der wir aber als ausführende Behörden erst am Tag danach konkret erfahren. Das alles braucht ja Zeit zur Umsetzung. Und die Menschen sind verunsichert. Der Impfstart in Niedersachsen beispielsweise war für die betroffenen älteren Menschen einfach nur schlimm.
WOCHENBLATT: Im Frühjahr 2020 war im Sitzungssaal des Kreishauses ein spezieller Corona-Krisenstab eingerichtet worden. Welche Unterschiede gibt es in der Arbeit dieses Stabes im Vergleich zum Vorjahr?
Roesberg: Die Stabsarbeit findet immer noch statt, ist aber heute anders organisiert. Vieles geht auf digitalem Wege. Im Frühjahr hatten wir alle die dramatischen Bilder aus Norditalien vor Augen und planten bereits zur Unterstützung der Elbe Kliniken Notkrankenhäuser und vieles mehr. Das war eine besondere Herausforderung. Heute sind wir insgesamt in Deutschland besser aufgestellt, weil alle wissen, wie wir uns einigermaßen gut vor einer Ansteckung schützen können, von den AHA-Regeln über die Hygienekonzepte für das Wirtschaftsleben, in den Schulen und Kindergärten, am Arbeitsplatz.
In der Kreisverwaltung sind für die Bewältigung unserer Aufgaben inzwischen viele zusätzliche Mitarbeiter/-innen tätig, die in den jeweiligen Bereichen auch außerhalb unseres Gesundheitsamtes ihren unermüdlichen Einsatz leisten.
WOCHENBLATT:Haben Sie überhaupt damit gerechnet, dass die zweite Corona-Welle so heftig sein wird?
Roesberg: Ja durchaus, und ich denke, wir werden noch mit einer weiteren Welle zu tun bekommen, insbesondere wegen der Corona-Mutationen.
WOCHENBLATT: Was bereitet Ihnen bei der Pandemie aktuell die größten Sorgen?
Roesberg: Zunächst: Ich finde die große Disziplin bemerkenswert, die Bürgerinnen und Bürger bis heute zeigen. Die allermeisten Menschen haben viele Monate mit persönlichen massiven Einschränkungen und Veränderungen erlebt, möglicherweise ohne das Virus selbst in der Nähe gehabt zu haben. Und trotzdem nehmen sie notwendige massive Einschränkungen hin. Das offenbart eine große Solidarität.
Es ist aber seit Wochen erkennbar, dass sich viele Menschen seelisch belastet fühlen, und sie werden von den unterschiedlichsten Sorgen getrieben. Darauf hat die große Politik noch keine richtige Antwort gefunden.
Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die vermeintlich letzte Phase der Pandemie, in der es eigentlich um Lockerungen und Impfschutz gehen sollte, für die Behörden die schwierigste Phase sein wird, weil immer mehr Menschen für sich Ausnahmeregeln suchen, um schneller als andere wieder in eine Normalität zu kommen. Das wird schwierig, weil einerseits die Gefahr besteht, die bisherigen Erfolge gegen das Virus wieder zu verlieren. Andererseits dürfen die Menschen erwarten, dass die Politik Perspektiven für sie aufzeigt. Es wäre schlimm, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Maßnahmen nicht mehr mittragen würden.
WOCHENBLATT:Wann rechnen Sie wieder mit etwas Normalität - auch in Hinblick auf den Handel und den Tourismus?
Roesberg: Ich schätze das so ein, dass wir die Welle der Mutationen noch aushalten müssen. Gleichzeitig werden Woche für Woche immer mehr Menschen geimpft. Ich glaube, wir werden in vier bis sechs Wochen erkennen, dass wir tatsächlich Stück für Stück Entspannung bekommen. Dann haben wir den Sommer vor Augen und dürfen uns auf diese Zeit freuen. Das sollte für alle Lebensbereiche gelten.
WOCHENBLATT: Das Impfzentrum hat Mitte Februar endlich seine Arbeit aufgenommen. Wie ist Ihre Einschätzung: Wann kann das Impfzentrum unter “Volllast” fahren? Und wie lange wird es überhaupt in Betrieb sein?
Roesberg: Wir waren am 15. Dezember, gerade mal zwei Wochen nach der Landesanordnung, ein Impfzentrum einzurichten, startbereit! Leider fehlt es an ausreichenden Impfstofflieferungen des Landes Niedersachsen.
Ich bin aber sehr zuversichtlich: In wenigen Wochen wird so viel Impfstoff da sein, dass wir in der Lage sind, im Impfzentrum 1.000 Menschen täglich (!) zu impfen. Zusätzlich wird es aber auch erforderlich sein, dass die impfbereiten Haus- und Fachärzte diese Aufgabe mit erledigen, damit wir insgesamt in Deutschland vorankommen. Die Vorbereitungen dazu laufen auf Hochtouren. Das Impfzentrum arbeitet, solange es gebraucht wird, also zur Not bis Ende des Jahres.
WOCHENBLATT: Eine letzte Frage: Welche wichtigen Themen haben Landrat und Kreisverwaltung eigentlich jenseits von Corona auf der Agenda?
Roesberg: Ich danke für die Frage, denn die zu bewältigenden Sachthemen des Landkreises laufen täglich weiter, in allen Ämtern und Bereichen. Die Autobahnanbindung Buxtehudes, der Bau von Rettungswachen, die Straßensanierung und die Fusionsgespräche zwischen Hansestadt Stade und Landkreis wegen der Elbe Kliniken sind ja aus der öffentlichen Diskussion bekannt.
Aber auch Themen, die nicht so schlagzeilenträchtig sind, werden im Kreishaus angepackt - wie etwa Projekte gegen den Fachkräftemangel, zur Digitalisierung der Kreisverwaltung, der Erweiterung des Glasfasernetzes im Landkreis oder der Ausbau von Kindertagesstätten.
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