Ehrenamtliche Politiker leiden zunehmend unter Wutbürgern im Netz
lt. Dollern. Wer in der Öffentlichkeit steht und Entscheidungen trifft, muss auch Kritik ertragen können. Doch müssen die zahlreichen ehrenamtlich tätigen Politiker aus unseren Kommunen auch persönliche Angriffe, Diskreditierungen, Beschimpfungen, Beleidigungen und Veralberungen hinnehmen?
Diese Frage stellte sich jüngst eine Gruppe um Dollerns Gemeindebürgermeister Wilfried Ehlers, die sich mit der Standortsuche für ein neues Bürgerhaus im Ort beschäftigte und für ihren Vorschlag kurz vor der entscheidenden Ratssitzung so vehement kritisiert wurde, dass alle Mitglieder frustriert zurücktraten (das WOCHENBLATT berichtete).
Das grundlegende Problem, das nicht zum ersten Mal deutlich wurde: Jegliche Kritik wurde nicht in einem offenen Gespräch artikuliert, sondern in Mails mit aggressivem Unterton oder in sozialen Netzwerken. Gemeindepolitikern wird u.a. vorgeworfen, sie kriegten nichts gebacken, seien arrogant und feige oder Lügner.
"Die Mitglieder der Findungskommission für das neue Bürgerhaus wollten mit ihrem Rücktritt auch ein Zeichen für einen respektvolleren Umgang mit Ehrenamtlichen setzen", sagt Wilfried Ehlers. Er erlebe leider nicht zum ersten Mal, dass Bürger im Netz virtuell ihren Frust ablassen und damit die Freizeitpolitiker häufig unter der Gürtellinie treffen. Er selbst sei schon im Zuge einer anderen Diskussion mit einer langen Pinocchio-Nase im Netz dargestellt und veralbert worden, sagt Ehlers.
Die Hemmschwelle sei in den vergangenen Jahren immer niedriger geworden. Ehlers selbst sei nicht in sozialen Netzwerken aktiv, bekomme aber über ehemalige Kollegen oder Bekannte immer wieder mit, dass er öffentlich auf Plattformen wie Facebook als unfähig bezeichnet, zum Rücktritt aufgefordert oder als Karikatur dargestellt werde. Ihn ärgert, dass niemand das persönliche Gespräch suche, um Kritik zu üben, sondern alles hauptsächlich virtuell ablaufe.
Davon kann auch Timo Gerke, Gemeindebürgermeister in Hollern-Twielenfleth, ein Lied singen. "Leider begleitet das Thema mich ständig", sagt der Ehrenamtliche. Egal, was man mache, in sozialen Netzwerken hagele es Kritik. Im Rahmen der von ihm angeschobenen Diskussion um das allgemeine Feuerwerksverbot in der Samtgemeinde Lühe habe es besonders viele virtuelle Angriffe gegeben, er habe sich und sogar seine Familie teilweise regelrecht bedroht gefühlt. Ihn störe vor allem, dass die "Hass-Kommentare" immer nur auf Facebook geäußert würden. Treffe er die Personen dagegen beim Einkauf im Dorf, sei "alles in Ordnung". Gerke gibt zu, dass die Kritik von Menschen, die er kennt, nicht einfach an ihm abperlt. Er überlege häufig, ob er sich unter diesen Umständen weiter für sein Dorf engagieren soll.
Astrid Bade, Kreistagsabgeordnete der SPD und Fraktionsvorsitzende im Buxtehuder Rat, hat ihre eigene Art entwickelt, mit hasserfüllten Kommentaren in sozialen Netzwerken umzugehen. Sie ist in den sozialen Netzwerken nicht aktiv und liest auch keine Beiträge in lokalen Foren. "Dann muss ich mich auch nicht darüber ärgern", sagt sie.
Im Gegensatz dazu ist Gerrit Steffens, Vorsitzender der Jusos im Kreis Stade und seit 2011 politisch aktiv, Mobbing in sozialen Netzwerken schon seit vielen Jahren ausgesetzt. Unvermittelt wurde er zu Beginn seiner politischen Arbeit auf Facebook angeschrieben. "Du bist eine Zecke" und "wir finden Dich". Wer sich an politischen Diskussionen im Netz beteilige, müsse immer damit rechnen, angepöbelt zu werden. "Ein dickes Fell sollte man daher haben", sagt Steffens. Was nichts bringe: mit Pöblern zu diskutieren. "Argumenten sind die nicht zugänglich."
Was für Gerrit Steffens allerdings eine ganz neue Erfahrung war, liegt noch nicht lange zurück: "Kanake, hau ab", raunte ihm ein Mann beim Einkaufen zu. Gerrit Steffens trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Refugees welcome". Das politische Klima, angeheizt durch zahlreiche Hass-Kommentare im Netz, scheint auch Folgen jenseits der virtuellen Welt zu haben.
Redakteur:Lena Stehr |
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