Friseure fühlen sich im falschen Film
Lob und Kritik für neue Corona-Verordnung

Foto: Land Niedersachsen
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(os/jd). Sich durch die neue Corona-Verordnung zu arbeiten, die seit vergangenem Mittwoch in ganz Niedersachsen gilt, ist kein Vergnügen. Schon die Pressemitteilung ließ nichts Gutes ahnen. Auf 13 Seiten wird sich bemüht, die Inhalte der wohl kompliziertesten aller bisherigen Corona-Verordnungen zu erläutern. Statt der uns allen in Fleisch und Blut übergegangenen Inzidenz sollen nun sogenannte Leitindikatoren bestimmen, wie wir uns künftig Corona-gerecht zu verhalten haben.
Ab sofort gilt landesweit ein System mit drei Warnstufen - plus "Zusatzzahl": Das ist die 50. Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz über diesem Grenzwert, greift die sogenannte 3G-Regel (Zutritt nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete). Das klingt alles schwer verständlich. Ist es auch. Deswegen hat das Land der neuen Verordnung bunte Piktogramme beigelegt, die an diesem Artikel anhängen.
Die neue Verordnung sorgt nicht nur für Verwirrung, sondern bei verschiedenen Dienstleistungsbetrieben auch für Ärger. "Wir werden instrumentalisiert, um den Menschen das Leben schwerer zu machen", kritisiert Katharina Kalinowsky, Obermeisterin der Friseurinnung im Landkreis Harburg, stellvertretend für alle Kollegen und Mitarbeiter in anderen Betrieben der "körpernahen Dienstleistung" in der Region. Es sei unverständlich, dass sich z.B. Friseure dem zeitraubenden bürokratischen Aufwand stellen müssten, den Impfstatus der Kunden bzw. deren negativen Schnelltest zu überprüfen. Das sei umso unverständlicher, als bislang kein einziger Corona-Fall nach einem Friseurbesuch nachgewiesen wurde. Es habe schon zahlreiche Absagen in Friseurbetrieben gegeben, weil sich die Kunden nicht testen lassen wollten. "Ich fühle mich wie im falschen Film", erklärt Katharina Kalinowsky.
Es gibt aber auch Zustimmung für die neue Verordnung. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) loben, dass die Landesregierung sich vom bisherigen Stufenplan verabschiedet hat. Das Allerwichtigste sei, einen neuen Lockdown zu vermeiden. Einziger Wermutstropfen sei die Testpflicht für Ungeimpfte und Nichtgenesene, vor allem, wenn ab dem 11. Oktober die kostenlosen Bürger-Schnelltests wegfallen. 

Das ist die neue Verordnung

Grundsätzlich gilt: Werden an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen in einem Landkreis zwei Leitindikatoren überschritten, stellt der jeweilige Landkreis ab dem übernächsten Tag die Warnstufe per Allgemeinverfügung fest. Die Aufhebung der Warnstufe erfolgt nach dem gleichen Prinzip, sofern an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen zwei Indikatoren unterschritten werden. Das sind die Werte für die Warnstufen:

Warnstufe 1: Inzidenz 35 bis 100; Hospitalisierung über sechs bis neun Fälle; Auslastung der Intensivbetten bei fünf bis zehn Prozent

Warnstufe 2: Inzidenz 100 bis 200; Hospitalisierung über neun bis zwölf Fälle; Auslastung der Intensivbetten bei zehn bis 20 Prozent

Warnstufe 3: Inzidenz über 200; Hospitalisierung mehr als zwölf Fälle; Auslastung der Intensivbetten bei mehr als 20 Prozent.

Gleichzeitig wird die 3G-Regel wichtig. Sie gilt unabhängig von der Inzidenz und der Warnstufe in Seniorenheimen sowie in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, bei Zusammenkünften und Sitzungen mit mehr als 1.000 bis zu 5.000 Teilnehmern, bei (sportlichen) Großveranstaltungen bis maximal 25.000 Personen sowie in Diskotheken, Clubs und Shisha-Bars. Befreit von der 3G-Regel sind Kinder bis zum sechsten Lebensjahr sowie ältere Schülerinnen und Schüler, weil diese in der Schule regelmäßig getestet werden sollen.

Bei Warnstufe 1 oder einer Inzidenz von über 50 wird die 3G-Regel erweitert und gilt dann auch:

in Gastronomie und Tourismus

bei körpernahen Dienstleistungen (Friseur, Kosmetik, Massage, Tattoostudio, Prostitution sowie medizinischen Dienstleistungen wie Physiotherapie und Fußpflege)

bei der Nutzung von Sportanlagen (in geschlossenen Räumen) einschließlich Fitnessstudios und Kletterhallen, in Schwimmbädern, Thermen und Saunen

für Zusammenkünfte, Veranstaltungen und Sitzungen in geschlossenen Räumen mit mehr als 25 bis zu 1.000 Teilnehmern.

Offenbar setzt die Landesregierung auf das Prinzip Hoffnung: Die genauen Regelungen für die Warnstufen 2 und 3 wurden noch nicht veröffentlicht.
Unabhängig von den neuen Regelungen appelliert die Landesregierung, weiter auf die allgemein gültigen AHA-Regeln zu achten und z.B. im Öffentlichen Nahverkehr, an Bahnhöfen oder Flughäfen, weiter einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.
Schülerinnen und Schüler müssen sich nach den Sommerferien - letzter Ferientag ist Mittwoch, 1. September, - darauf einstellen, dass sie auch im Unterricht eine Maske tragen müssen, auch Grundschüler. Zudem müssen sie an den ersten sieben Schultagen nach dem Ferienende täglich einen Corona-Test machen.
An der Regelung für Schüler gibt es massive Kritik von der landesweit aktiven Initiative Familie. "Wir sind verwundert, dass unsere Kinder nun noch strengeren Maßnahmen unterliegen als vor den Ferien", erklärt Sprecherin Anne Jansen. Vor allem Kinder und Jugendliche müssten für einen entspannten Sommer, eine angenehme Urlaubszeit und die Durchführung der Fußball-EM in Pandemie-Zeiten büßen, ergänzt Jansens Mitstreiterin Sina Denecke. Ihr Fazit: "Bildung ist und bleibt das Stiefkind der Corona-Politik."

Redakteur:

Oliver Sander aus Buchholz

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