Kein Rechtsanspruch auf Schadensersatz
Lühe-Flut: Land macht Betroffene zu Bittstellern
So werden Geschädigte zu Bittstellern: Die Betroffenen der Lühe-Flut vom 28. Mai sollen keinen Anspruch auf Schadensersatz haben. Die Begründung des Landes: Nach den jetzigen Erkenntnissen sei ein technischer Fehler im Meldesystem und nicht menschliches Versagen dafür verantwortlich, dass die Fluttore des Lühe-Sperrwerks nicht geschlossen wurden. Die Betroffenen, denen insgesamt ein Schaden von mehr als eine Million Euro entstanden ist, sollen jetzt in Demut abwarten, bis das Land ihnen freiwillig etwas zahlt - Stichwort: Billigkeitsleistung. Das wird wahrscheinlich aber nicht vor dem Sommer 2023 passieren, wenn überhaupt (das WOCHENBLATT berichtete).
Die Direktorin des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Anne Rickmeyer, weist nach wie vor jegliche Schuld ihrer Behörde von sich. Dabei ist das NLWKN für den ordnungsgemäßen Betrieb der Sperrwerke zuständig. Rickmeyers Rechtsauffassung sieht aber anders aus: Wenn kein Fehlverhalten eines Mitarbeiters, sondern technisches Versagen vorliege, können auch keine Schadensersatzansprüche gegenüber dem NLWKN geltend gemacht werden.
Ermittlungsverfahren ist eingestellt worden
Im Nachhinein stellt sich die Frage: Wusste Rickmeyer schon mehr, als sie vergangene Woche bei ihrem Sachstandsbericht auf der Kreistagssitzung zugab? Nachdem Abgeordnete nachhaken wollten, verwies sie erneut auf das "laufende Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Stade", das noch nicht abgeschlossen sei. Doch diese Aussage war zu dem Zeitpunkt schon falsch: Laut Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas war das Verfahren - es richtete sich gegen den Sperrwerkswärter als Beschuldigten - bereits eine Woche zuvor eingestellt worden, da kein hinreichender Tatverdacht bestehen soll.
Man könne in diesem Fall niemanden strafrechtlich belangen, so Breas. Die Aussage des Sperrwerkswärters, er habe auf seinem Dienst-Handy keine Benachrichtigung über das Auflaufen einer höheren Flut erhalten, könne nicht widerlegt werden. Breas verweist auf das hohe Alter der vom NLWKN eingesetzten Mobiltelefone: "Es gab hier aus technischer Sicht keine Möglichkeit, die Geräte genau zu überprüfen." Nach WOCHENBLATT-Informationen soll u.a. ein völlig antiquiertes Nokia-Handy im Einsatz gewesen sein.
Wie sind künftig solche Vorfälle zu vermeiden?
Damit wäre das Thema aus strafrechtlicher Sicht abgehakt. Die Frage nach der Verantwortung ist aber nur eine Seite der Medaille. Es muss auch gefragt werden: Wie lassen sich solche Vorfälle in Zukunft verhindern? Dafür habe das NLWKN laut Rickmeyer die bisherige Alarmkette unter die Lupe genommen, die einer Sperrwerksschließung wegen eines zu hohen Wasserstandes vorausgeht. Demnach sollen mutmaßlich Störsignale in der automatisierten Meldekette dazu geführt haben, dass in der Hochwassernacht per Bandansage mitgeteilte Alarme als gehört bestätigt wurden, obwohl der Sperrwerkswärter nach eigener Aussage keinen Anruf erhalten hat.
Um das in der Zukunft zu vermeiden, habe das NLWKN jetzt zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen "in das bisher einwandfrei funktionierende System" eingebaut, so Rickmeyer. So habe der Hersteller der Meldeanlage die Software optimiert, um Störfrequenzen auszuschließen. Außerdem müssen die Sperrwerkswärter jetzt aktiv die aktuellen Pegelstände verfolgen. Die Probleme mit der Meldekette bei Hochwasser-Alarmierungen seien nicht vorhersehbar gewesen, so die NLWKN-Chefin. "Das Sperrwerk hat mit bis zu 190 Schließungen pro Jahr immer einen zuverlässigen Schutz geboten."
Politiker im Landkreis ärgern sich über das Verhalten des NLWKN
Vielen Kreis-Politikern reicht nicht aus, was die NLWKN-Chefin Anne Rickmeyer vortrug. Sie monieren, dass nach wie vor zentrale Fragen unbeantwortet bleiben, und drücken ihre Sorge aus, dass sich so etwas wiederholen könnte. Auch Rickmeyers Aussage, der NLWKN sei nicht schadensersatzpflichtig und daher komme nur eine freiwillige Zahlung des Landes im Rahmen einer sogenannten Billigkeitsrichtlinie in Betracht, stößt auf Kritik.
• Die Aussicht auf freiwilligen Schadensersatz ist nach Ansicht der stellvertretenden Landrätin und CDU-Landtagsabgeordneten Birgit Butter nicht mehr als eine erneute Absichtserklärung. Die Erstattung der Schäden sei noch von vielen Faktoren abhängig und werde sich hinziehen. Butter findet hier deutliche Worte: "Das Hinhalten der Geschädigten ist ungehörig." Es müssten pragmatische Lösungen wie Überbrückungsgelder oder Abschlagszahlungen gefunden werden, um den Betroffenen schnell zu helfen.
• Den FWG-Kreistagspolitiker Gerd Lefers bringen die Ausführungen der NLWKN-Direktorin regelrecht auf Zinne. Die Behauptung, es handele sich um technisches Versagen, könne er nicht akzeptieren. "Es ist Ihr Versagen, das Versagen in Ihrem Haus", wirft der Altländer Politiker Rickmeyer vor. "Dafür haben Sie geradezustehen." Sie könne die Betroffenen nicht ein ganzes Jahr hinhalten. Außerdem müsse der NLWKN jetzt ein schlüssiges Konzept vorlegen, damit "so etwas morgen nicht wieder passiert". Die Menschen müssen geschützt werden: "Das ist schließlich unsere erste Deichlinie."
• Die Unzulänglichkeit der vom NLWKN eingesetzten Technik bemängelt die CDU-Politikerin Silja Köpcke. Sie bringt die Sorgen der Menschen an der Lühe auf den Punkt: "Es macht Angst, wenn man das Gefühl hat, dass eine Geisterhand darüber entscheidet, ob ein Fluttor geschlossen wird oder nicht."
• Landrat Kai Seefried hat gegenüber Rickmeyer noch einmal deutlich gemacht, dass er die Rechtsauffassung des NLWKN, wonach die Landesbehörde nicht haftbar gemacht werden könne, "sehr kritisch" sehe. Es sei durchaus denkbar, dass Anwohner den Klageweg bestreiten. Es müsse überdies auch im Sinne des NLWKN sein, das verlorene Vertrauen bei den Menschen im Alten Land zurückzugewinnen. "Wir erwarten weiterhin vom Land, dass die Betroffenen schnell und unbürokratisch entschädigt werden", so der Landrat.
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