Scheitert die Strecken-Reaktivierung?
Niedersachsen: Zu wenig Geld für den Ausbau der Bahn-Infrastruktur
Niedersachsen hat sich zum Ziel gesetzt, die Fahrgastzahlen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bis 2030 zu verdoppeln. Doch dieses Ziel scheint in weite Ferne zu rücken. Der Landesrechnungshof (LRH) weist in seinem Jahresbericht 2024 auf massive Finanzierungslücken des Landes beim Schienenverkehr hin. Dies betrifft auch die Reaktivierung alter Bahnstrecken. Die Moorexpress-Strecke, auf der künftig wieder Personenzüge zwischen Stade und Bremervörde rollen sollen, wird zwar nicht explizit erwähnt. Doch auch deren Reaktivierung könnte gefährdet sein, wenn dem Land das Geld dafür fehlt.
Laut Landesrechnungshof werden in den kommenden Jahren schlichtweg nicht genügend Landesmittel für den Ausbau, die Modernisierung und den Erhalt der Bahn-Infrastruktur bereitgestellt. Besonders betroffen: der Fahrzeugpool der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG), dessen Funktionsfähigkeit auf dem Spiel steht. Die LNVG stellt den einzelnen Bahngesellschaften wie EVB, Start Unterelbe oder Metronom die Lokomotiven, Waggons und Triebwagen für den Betrieb der jeweiligen Strecken gegen ein Nutzungsentgelt zur Verfügung.
Finanzierungslücke von hunderten Millionen Euro
Die Finanzplanung des Landes weise in Hinblick auf die LNVG erhebliche Defizite auf, so die Kritik der obersten Finanzhüter. Zwischen 2023 und 2029 übersteigen die geplanten Ausgaben der LNVG konstant die Einnahmen. Besonders drastisch wird die Lücke im Jahr 2025 sein, wenn Ausgaben von 551,9 Millionen Euro lediglich Einnahmen von 258,6 Millionen Euro gegenüberstehen. "Der von der LNVG prognostizierte Ausgabenüberschuss entsteht insbesondere aufgrund der vielen vom Land vorgesehenen Vorhaben", heißt es im LRH-Jahresbericht. Neben der Ersatzbeschaffung für den Fahrzeugpool geht es um die Verbesserung der Bahn-Infrastruktur und die Reaktivierung alter Strecken. Diese Vorhaben werden vom Land zum Teil als "künftige, mögliche" Angebote klassifiziert. Diese Maßnahmen sind aber "zwingend", wenn die Fahrgastzahlen verdoppelt werden sollen, hält der Landesrechnungshof dagegen.
1,5 Milliarden Euro bis 2029 erforderlich
Die Rechnungsprüfer machen sich auch ernsthafte Sorgen um den Fahrzeugpool der LNVG. Ab dem kommenden Jahr seien "nicht aufschiebbare Ersatzbeschaffungen" notwendig. Bis 2029 müssen mindestens 146 Triebzüge ersetzt werden, da viele Fahrzeuge das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben oder aus Umweltschutzgründen durch emissionsfreie Alternativen ersetzt werden müssen.
Die dafür notwendigen knapp 1,5 Milliarden Euro sind in der Finanzplanung jedoch nur völlig unzureichend berücksichtigt. Lediglich 200 Millionen Euro sind verbindlich eingeplant, weitere 840 Millionen Euro fallen in die Kategorie der "möglichen" Ausgaben. Dann bleibt aber immer noch eine Finanzierungslücke von mindestens 437 Millionen Euro.
Neben den Ersatzbeschaffungen stellt der Einbau des Europäischen Zugbeeinflussungssystems (ETCS) eine weitere erforderliche und nicht aufschiebbare Investition dar. Die Deutsche Bahn modernisiert derzeit auf viele Strecken die Leit- und Sicherungstechnik nach diesem Standard. Ohne entsprechende Anpassungen können die Züge der LNVG diese Strecken künftig nicht mehr befahren. Die dafür veranschlagten 170 Millionen Euro sind jedoch nur teilweise in der LNVG-Finanzplanung berücksichtigt. Fazit des Landesrechnungshofes: "Es besteht also ein beträchtlicher zusätzlicher Finanzbedarf, der bisher
nicht abgebildet ist."
ÖPNV-Ausbau droht zu scheitern
"Derzeit gibt das Land jährlich mehr für den ÖPNV aus, als ihm an Einnahmen zufließen", so die obersten Rechnungsprüfer. Dies sei aktuell möglich, weil Rücklagen aus nicht ausgegebenen Regionalisierungsmitteln verwendet werden. Diese finanziellen Puffer schmelzen jedoch rapide dahin und werden laut Prognosen spätestens 2026 vollständig aufgebraucht sein. Die ambitionierten Pläne zur Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, der Ausbau der Infrastruktur und die Taktverdichtung auf wichtigen Linien drohen zu scheitern, so die Kritik des Landesrechnungshofes, der klare Worte findet: "Die verfügbaren Haushaltsmittel reichen nicht einmal für den Erhalt der vorhandenen ÖPNV-Infrastruktur aus."
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.