Bewohner einer Stader Notunterkunft kritisieren das Betreuungsangebot
Obdachlose fühlen sich nicht ausreichend betreut
jd. Stade. Fredenbecker Weg in Stade: Menschen mit dieser Wohnadresse sind quasi gebrandmarkt. An dem holperigen Feldweg befindet sich ein Teil der Obdachlosenunterkünfte der Stadt Stade. Wer dort gemeldet ist, hat erfahrungsgemäß große Schwierigkeiten, eine richtige Wohnung, geschweige denn einen Job zu bekommen. Es gibt aber Bewohner, die aus den kargen Behausungen gar nicht ausziehen wollen. Sie haben sich dort mit ihren wenigen Habseligkeiten in den nur ein paar Quadratmeter großen Zimmern eingerichtet. Doch wie kann man diesen Menschen helfen? Lassen sie sich überhaupt helfen? Diese nicht leichte Aufgabe hat seit Anfang des Jahres der Verein "Lebensraum Diakonie" übernommen. Aber nicht jeder ist zufrieden mit dessen Arbeit.
"Aufsuchende Hilfen für Obdachlose" nennt sich das seit mehr als einem halben Jahr laufende Projekt, mit dem die Stadt Stade den Diakonie-Verein mit Hauptsitz in Lüneburg betraut hat. Der Stader Ableger des Vereins ist aus dem früheren Herbergsverein hervorgegangen. Sieben Stunden pro Woche betreut eine Mitarbeiterin im Auftrag der Stadt rund 40 Bewohner in den Notunterkünften am Fredenbecker Weg und im "Haus Nr. 200" an der B 73. Für die zunächst auf ein Jahr befristete Maßnahme zahlt die Stadt 27.500 Euro.
Vor knapp zwei Monaten hatte die Verwaltung ein durchweg positives Fazit zu den "aufsuchenden Hilfen" gezogen. Eine Diplom-Sozialpädagogin nehme sich "der kleinen und großen Sorgen" der Bewohner der Notunterkünfte an. "Sie leistet dabei aktive Unterstützung, um den Obdachlosen zu ermöglichen, wieder Tritt zu fassen, Probleme zu bewältigen und möglichst wieder in ein selbstbestimmtes Leben in einer eigenen Wohnung zu finden", hieß es in einer Mitteilung der Stadt. In sechs Fällen habe man bereits Wohnraum vermitteln können. Nach den aktuellen Zahlen sollen inzwischen neun Personen den Weg aus der Obdachlosigkeit gefunden haben.
Bewohner üben Kritik
Doch diese "Erfolgsbilanz" wird getrübt durch massive Kritik von Bewohnern der Unterkünfte am Fredenbecker Weg. Sie werfen der Sozialarbeiterin des Vereins "Lebensraum Diakonie" vor, sich nicht ausreichend um sie zu kümmern und die Bewohner von "Haus Nr. 200" zu bevorzugen. "Bei uns am Fredenbecker Weg ist eigens ein Büro eingerichtet worden, in dem jeden Dienstag eine zweistündige Sprechstunde abgehalten werden soll", berichtet Joachim Kruse.
Das Büro sei aber seit Wochen nicht mehr zu den Sprechzeiten besetzt gewesen. "Außerdem hat mich die Dame mehrfach bei fest vereinbarten Terminen versetzt." Sie habe ihn zur Arbeitsagentur fahren wollen, wo er dringend einen Antrag stellen müsse, weil er seit Wochen kein Geld mehr bekomme. Allein könne er sich wegen eines Rückenleidens nicht auf den Weg machen.
Auch Kruses "Nachbar" Sven Kiaups lässt kein gutes Haar an den "aufsuchenden Hilfen". Er hat sich in seinem Zimmerchen einen letzten Rest seiner früheren bürgerlichen Existenz bewahrt. Seine Schallplattensammlung nebst einem in die Jahre gekommenen Plattenspieler gehören zu den wenigen Utensilien, die daran erinnern, dass es für ihn bessere Zeiten gab. Trotzdem hat sich Kiaups mit seinem Leben am Fredenbecker Weg, wo er seit sechs Jahren wohnt, arrangiert. Was ihm aber nicht passt: "Von Anfang an bin ich in ein Durchgangszimmer einquartiert worden." Obwohl es freie Unterkünfte gebe, dürfe er nicht umziehen. Seine Hoffnung, dass sich die Sozialarbeiterin darum kümmert, habe er aufgegeben. "Die Frau interessiert das nicht."
Der dritte im Bunde ist Herbert Neumann. Er wirft der Vereinsmitarbeiterin vor, ihn bedrängt zu haben, in ein möbliertes Zimmer in der Stadt umzuziehen. "Ich durfte das Zimmer vorher nicht einmal besichtigen." Außerdem habe er gehört, dass es dort ziemlich beengt zugehe und selbst das Rauchen verboten sei. "Wenn es mir dort nicht gefällt, bin ich ganz schnell wieder weg."
Sie würden ohnehin nicht verstehen, so das Trio, dass Bewohner, die sich am Fredenbecker Weg wohlfühlen, wegziehen müssen, während dort Personen untergebracht werden, die gewalttätig oder psychisch krank seien.
Stundenzahl ist zu gering
Diese Kritik will Matthias Lauer, leitender Mitarbeiter bei "Lebensraum Diakonie" in Stade, so nicht stehen lassen. "Wir bemühen uns um die Menschen in beiden Unterkünften gleichermaßen." Niemand werde bevorzugt, auch wenn es dieses subjektive Empfinden gebe. "Die Betroffenen stecken oft aber auch zu hohe Erwartungen in unsere Arbeit." Sieben Stunden pro Woche seien einfach zu wenig, um jedem gerecht zu werden. "Ich verstehe schon, dass dann einige enttäuscht von uns sind."
Auf die konkreten Fälle wolle er nicht eingehen, so Lauer. Entschieden weise er aber den Vorwurf zurück, Terminabsprachen seien nicht eingehalten worden. "Auch unser Büro draußen am Fredenbecker Weg ist grundsätzlich planmäßig besetzt." Hin und wieder könne es aber vorkommen, dass Mitarbeiter wegen anderweitiger Verpflichtungen keine Sprechstunden abhalten. Wenn es eine intensivere Betreuung durch die "aufsuchenden Hilfen" geben soll, müsse die Stundenzahl deutlich aufgestockt werden, so Lauer. "Aus unserer Sicht wäre das jedenfalls wünschenswert."
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