Nach Ärger um NS-Straßennamen: Historikerin soll Nazi-Zeit in Stade aufarbeiten
Stades braune Vergangenheit wird erforscht
jd. Stade. In der Stader Politik wurde im Herbst 2019 heftig und fast leidenschaftlich diskutiert. Es ging um die Frage, ob die Ostmarkstraße umbenannt werden soll. Denn der Begriff "Ostmark" ist Nazi-Vokabular. Eine Mehrheit im Stader Rat lehnte eine Umbenennung schließlich ab. Stattdessen sollte eine Arbeitsgruppe einen Text für einen Gedenkstein entwerfen, den man in der Straße aufstellen wollte. Im Auftrag der AG begab sich die Stader Stadtarchivleiterin Dr. Christina Deggim auf Recherche. Das Ergebnis ließ aufhorchen: Die Ostmarkstraße wurde 1938 als SA-Siedlung angelegt. Diese Tatsache ist so wie vieles aus Stades NS-Zeit bisher noch nahezu unerforscht. Das soll sich ändern: Eine junge Wissenschaftlerin beschäftigt sich jetzt mit der braunen Vergangenheit der Hansestadt.
"Der Nationalsozialismus und seine Folgen in der Hansestadt Stade" – diesem Thema wird die Historikerin Anne Lena Meyer für ihre Dissertation an der Universität Hamburg auf den Grund gehen. Sie ist im Rahmen eines drei Jahre laufenden Werkvertrags bei der Hansestadt Stade beschäftigt. Die genaue Fragestellung der Dissertation ist allerdings noch nicht festgelegt.
"Frau Meyer hat alle Freiheiten. Was die Fragestellung und die Schwerpunkte ihrer Arbeit angeht, machen wir seitens der Verwaltung keine Vorgaben", sagt Bürgermeister Sönke Hartlef (CDU). Die angehende Doktorandin hat aber schon eine Vorstellung über die Ausgestaltung ihrer Dissertation. Dabei wird Meyer nicht nur die Zeit von 1933 bis 1945 in Stade und den Ortschaften beleuchten. Sie wird sich auch mit den Fragen beschäftigen, wann und wie die NSDAP in Stade erstarkte und welche Rolle ihre Mitglieder in der Nachkriegszeit spielten.
Mit ihrer Arbeit hat die Historikerin bereits begonnen: "Ich verschaffe mir derzeit einen Überblick über die Literatur – über Stade, den Nationalsozialismus und über die Verwaltungsgeschichte." Was aber hat sie dazu bewogen, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben? "Ich finde das Thema des Nationalsozialismus auch heute noch wichtig, gerade in Zeiten, in denen es einen Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft zu beklagen gibt." Zudem sei es spannend, Geschichte auf der Mikro-Ebene zu erforschen, weil diese so für die Menschen vor Ort erfahrbarer werde. "Im Übrigen habe ich einen Bezug hierher", sagt Meyer, "Ich bin in Harsefeld aufgewachsen und zeitweise in Stade zur Schule gegangen."
Fachlich zur Seite steht Meyer bei ihrer Forschung der Beirat Nationalsozialismus, dessen Vorsitzende Stadtarchivarin Deggim ist. "Wir freuen uns sehr, mit Frau Meyer eine junge, aber schon erfahrene Wissenschaftlerin gewonnen zu haben, die mit frischem Blick bekannte und neu erschlossene Archivalien untersuchen wird", meint Deggim.
Die Ergebnisse von Meyers Forschungsarbeit sollen als Buch veröffentlicht werden. Ziel der Stadt sei es, dass die Dissertation verlegt und verkauft werde, so Hartlef. "Schließlich ist das Thema hochinteressant, es hat eine historische und gesellschaftliche Bedeutung."
Wie eingangs erwähnt, ist die Diskussion über eine mögliche Umbenennung der Ostmarkstraße Ausgangspunkt für die Entscheidung des Verwaltungsvorstandes, die NS-Zeit in Stade eingehender wissenschaftlich zu beleuchten. Die Nachforschungen im Stadtarchiv hatten ergeben, dass es sich um eine sogenannte SA-Dankopfersiedlung handelt.
Als Dankopfer wurden die Geldspenden bezeichnet, die jährlich zu Hitlers Geburtstag eingetrieben wurden, um davon Siedlungshäuser für verdiente NSDAP- und SA-Mitglieder zu finanzieren. Den Parteigenossen und Angehörigen der Nazi-Kampftruppe SA wurden die Häuschen kostenlos überlassen. Die Stadt musste die Grundstücke unentgeltlich zur Verfügung stellen.
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